Der Weg zum globalen Umweltrechtsstaat

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Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie 2021

Am Mittwoch wurde im Bundeskabinett die Weiterentwicklung der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie 2021 vorgestellt. Nach Vorgabe der Vereinten Nationen mit den Sustainable Development Goals (SDG) sind alle Staaten verpflichtet ihre Agenda für die Nachhaltigkeit bis 2030 zu formulieren und umzusetzen. Die Pandemie hat, so Kanzlerin Angela Merkel im Vorwort, „den Handlungsdruck weltweit erhöht“.

Der Bericht weist die das Jahrzehnt für die Politik als „Dekade des Handelns“ aus. Im September 2019 haben die Länder auf dem UN-Gipfel in New York festgestellt, dass die Ziele bei gleichbleibendem Tempo nicht erreicht würden. Daraus folgern die Autoren: „Wir müssen jetzt die Weichen für ein Jahrzehnt der Nachhaltigkeit stellen“.

Die Architektur

Der verabschiedete Bericht gilt im Wesentlichen für die neue Bundesregierung und müsste bereits in den Koalitionsverhandlungen integriert werden, erläuterte Dr. Imme Scholz, stellvertretende Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) und des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) am Donnerstag bei der Erstbewertung. Im Koalitionsvertrag vom März 2018 haben sich CDU, CSU und SPD zur Umsetzung der Agenda 2030 mit ihren 17 globalen Nachhaltigkeitszielen und zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung als Maßstab des Regierungshandelns bekannt. Die Agenda 2030 ist Richtschnur deutscher Politik. In die Weiteentwicklung 2021 sind Stellungnahmen der Öffentlichkeit eingeflossen. Der Bericht weist sechs Transformationsbereiche aus: menschliches Wohlbefinden und Fähigkeiten, soziale Gerechtigkeit, Energiewende und Klimaschutz, Kreislaufwirtschaft, nachhaltiges Bauen und Verkehrswende, nachhaltige Agrar- und Ernährungssysteme sowie schadstofffreie Umwelt.

Die Neufassung ist nach Imme Scholz eine grundlegende Generalüberholung und richte den Blick auf die zahlreichen Zielkonflikte. Das „Ob“ und „Wann“ steht nicht mehr in Frage und wird von den Wissenschaftlern als Erfolg gewertet. Neu hinzugekommen sind Bereich wie die globale Pandemievorbeugung und der Bodenschutz. Das Interesse der Deutschen an der Nachhaltigkeit ist groß.

Architekturskizze statt Bauplan

Trotz der Vorteile sieht Wolfgang Lucht, Mitglied des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU), in der vorliegenden Strategie mehr eine Architekturskizze als einen konkreten Bauplan. Die europäische Aufklärung habe zu einem sozialen Rechtsstaat geführt. Die ungebremste Umweltzerstörung müsse jetzt zu einem globalen Umweltrechtsstaat führen. Die Aufgabe sei ähnlich groß dimensioniert, wie das Projekt Deutsche Einheit oder der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Es gebe zwar zahllose Einzelbeispiele, aber deren Summe reiche nicht für eine Lösung der der Umwelt- und Klimakrise nicht aus. Diese würden nicht als Krise oder historische Herausforderung verstanden. Lucht spricht sich wie im Finanzsektor für ein ökologisches Maßstäbegesetz [1] aus, in dem der Gesetzgeber nach Artikel 20a des Grundgesetzes den Schutz der Ressourcen ausformulieren könnte.

Defizit bei der Governance

Um die Vorgabe politisch zu stärken fehlten nach Imme Scholz Kohärenz zwischen den Ressorts und die Stärkung der Koordinationsfunktion des Kanzleramtes. Auch die Verknüpfung zu Finanzmitteln im Bundeshaushalt sei zu schwach ausformuliert.

Es geht um ein großes Paket. Sabine Schlacke spricht als Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) von notwendigen Wenden und Kehrtwenden. Dafür müssten sich mehr als 50 Prozent der Bundesbürger für die Nachhaltigkeit interessieren. Für disruptiven Wandel muss nach Anna-Katharina Hornidge von Direktorin des DIE und Ko-Vorsitzende vom Sustainable Development Solutions Network (SDSN Germany), die sozial-kulturwissenschaftliche Forschung zusammen mit dem Bildungsbereich gestärkt werden. Nur wenn die Menschen mitgenommen werden, akzeptierten sie die Veränderungen und die politischen Vorgaben. Immerhin wurde das menschliche Wohlbefinden als erste Kategorie der Transformationsbereiche festgelegt, betont Christa Liedtke, Ko-Vorsitzende der Wissenschaftsplattform 2030 (wpn2030).

Beispiele

Deutschland müsse sein Klimaschutzgesetz an die offenbar neuen Vorgaben der EU, die noch im ersten Halbjahr abgestimmt werden, für die Reduktionsziele von Treibhausgasen auf 65 Prozent anpassen und weiter steigern, forderte Liedtke. Für den Bereich der Kreislaufwirtschaft bedeutet die Nachhaltigkeit ein konkretes Umdenken. Bislang werde sie vom Ende her, von der Abfallwirtschaft und des Recyclings her gedacht. Aber die Wirtschaft brauche eine Sekundärmaterialwirtschaft, die bis zu 80 Prozent der Emissionen einsparen könne. Hier seien vor allem die Kommunen mit Dienstleistungen und dem Handwerkbereich gefordert und stärker zu unterstützen.

Agrar- und Ernährungssysteme: Schlacke bekennt zwar, dass mittlerweile die beiden Bereiche mehr zusammengedacht werden. Es fehle aber die Integration des Biodiversitätsaspektes. Es müssen in beiden Bereichen Ökosystemdienstleistungen mit ausreichender Honorierung für die Akteure bedacht werden. Es fehle noch der nachhaltige Umgang mit Land, das als Senke für Kohlendioxid wichtig ist. Die bisherige Ökologisierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) sei gut, müsse aber jetzt auch national umgesetzt werden. Ein große Nachholbedarf sei bei der Änderung des Ernährungsstils zu erkennen. Hier steht nach wie vor der übermäßige Fleischkonsum in der Kritik. Für die internationale Dimensionierung müsste es „Freiwillige Allianzen der Willigen“ geben, die Nachhaltigkeitsstandards setzen und verbessern.

Lesestoff:

Den Nachhaltigkeitsbericht 2021 finden Sie unter : https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/nachhaltigkeitspolitik

[1] Gesetz über verfassungskonkretisierende allgemeine Maßstäbe für die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens, für den Finanzkraftausgleich sowie für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen (Maßstäbegesetz - MaßstG) vom 09.09.2001

Roland Krieg

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