Die Biozid-Regulierung
Handel
Fresenius-Tagung zur EU-Biozid-Verordnung
Seit dem 1. September 2013 gilt die neue EU-Biozidverordnung (BPR, Biocidal Products Regulation) - die vorherige BPD (Biocidal Products Directive) hat keine Bedeutung mehr. Welche Themen der neuen Verordnung auch nach ihrem Inkrafttreten für Diskussionsstoff in der Fachwelt sorgen, zeigte die 13. Internationale Fresenius Fachkonferenz „The Biocidal Products Regulation“, die am 10. und 11. September in Düsseldorf stattfand.
Wahl der Zulassung
Die BPR bietet der Industrie die Möglichkeit, unter verschiedenen Zulassungsverfahren zu wählen. Neben der nationalen Zulassung und der wechselseitigen Anerkennung dieser zwischen den EU-Mitgliedsstaaten, kann ebenso von Anfang an eine Verbundzulassung angestrebt werden, über die die Europäische Kommission entscheidet. Die Verbundzulassung ist möglich, wenn die Nutzungsbedingungen des Biozidprodukts überall gleich sind und sofern das Produkt keine aktive Substanz gemäß Artikel 5 der BPR enthält und nicht zu den Produkttypen 14,15,17,20 oder 21 zählt. Erfüllt ein Produkt die genannten Bedingungen, kann die Kommission dieses für die gesamte Union oder lediglich für einzelne Teile von ihr zulassen. Gosia Oledzka (International Association for Soaps, Detergents and Maintenance Products, A.I.S.E.) machte auf der Konferenz deutlich, dass die Frage des richtigen Zulassungssverfahrens nur im Zusammenhang mit der Vermarktungsstrategie des jeweiligen Produkts geklärt werden könne. Der Hersteller müsse sich fragen, wie und wo er sein Produkt auf den Markt bringen wolle, so Oledzka. Dies setze voraus, sich vorher eingehend mit dem Markt auseinandergesetzt zu haben, bevor eine Entscheidung über die Produktzulassung fallen könne. Daneben riet die Expertin, ebenfalls im Vorfeld die Frage zu klären, ob nicht ein gemeinsames Zulassungsverfahren mit anderen Unternehmen sinnvoll sein könne, um Arbeitsaufwand und Ressourceneinsatz zu begrenzen. Praktisch sei dies über die Anfertigung eines gemeinsamen Dossiers des Biozidprodukts möglich, gefolgt von separaten Zulassungsanträgen der jeweils einzelnen Unternehmen.
Gruppierung von Bioziden: Was ist neu?
Passend zum Vortrag von Oledzka ging auch der nächste Redner der Konferenz auf die Thematik der Produktgruppierungen ein. Dr. Michael Werner (SCC) erklärte die Unterschiede zwischen dem Konzept der Biozid-Produktfamilien (biocidal product families) im Rahmen der BPR und dem alten Gruppierungskonzept der Rahmenrezeptur (frame formulation), welches noch in der Biocidal Product Directive (BPD) verwendet worden war und nun durch die Produktfamilien ersetzt werden wird. Kennzeichnend für Produktfamilien sei vor allen Dingen die ähnliche Nutzung der darin eingegliederten Produkte und der erlaubte Austausch von nicht-aktiven gegen andere spezifizierte nicht-aktive Substanzen mit gleichem oder niedrigerem Risiko, erläuterte Werner. In der BPD war der Austausch noch auf Pigmente, Farb- und Parfumstoffe beschränkt gewesen. Damit sei das neue Konzept deutlich flexibler als das alte, so Werner. Eine Produktfamilie zeichne sich ferner dadurch aus, dass jedes ihrer Produkte die gleiche Klassifizierung sowie das gleiche Risikopotenzial besitze und dass für alle die gleichen Anwendungsvorschriften gelten würden, fuhr Werner fort. Das Einstufungs- und Kennzeichnungskriterium stellt nach Werner die größte Hürde bei der Bildung einer Produktfamilie dar. Ein weiterer Unterschied zur BPD: Produktfamilien benötigen - anders als beim Konzept der Rahmenrezepturen - kein bereits zugelassenes Referenzprodukt, um sich als Gruppe konstituieren zu können. Die Familie wird aufgrund der Definition erlaubter Konzentrationen und der Zusammensetzung der einzuordnenden Produkte zusammengestellt. Werner wies darauf hin, dass bei Produkten, die unter einer Rahmenrezeptur zusammengefasst und bis zum 1. September 2013 noch nicht zugelassen gewesen seien, eine Zulassung nach der neuen BPR erfolgen werde. Rahmenrezeptur-Produkte, die ihre Zulassung noch unter der BPD erhalten haben, dürften jedoch bis zum Auslaufen oder der Rücknahme ihrer Zulassung weiterhin auf dem Markt angeboten und benutzt werden, schloss Werner.
Biozidprodukten oder behandelter Artikel?
Anders als ihr Vorgänger enthält die BPR spezifische
Bestimmungen für das Inverkehrbringen von behandelten Artikeln, das heißt von
Materialien, die mit Biozidprodukten behandelt wurden oder in welchen diese
willentlich enthalten sind. Nach der neuen Verordnung werden behandelte
Produkte als Biozidprodukte eingestuft, wenn diese eine „primäre Biozidfunktion“
besitzen. Wie eine „primäre Biozidfunktion“ zu definieren ist, ist jedoch seit
Bekanntwerden der BPR ein unklares und stark umstrittenes Thema.
Oliver Bisazza (EDANA/CheMI) wies auf der Konferenz
darauf hin, dass die BPR die „primäre Biozidfunktion“ zwar nicht definiere,
aber der Leitfadenentwurf der Europäischen Kommission zu behandelten Artikeln
klar besage, dass ein behandelter Artikel eine oder mehrere Biozidfunktionen
haben könne ohne automatisch eine „primäre Biozidfunktion“ zu besitzen. In
direkter Konsequenz könne die Frage, ob ein behandelter Artikel ein
Biozidprodukt sei oder nicht, letztendlich nur je nach Einzelfall und unter Berücksichtigung
verschiedener Elemente des behandelten Artikels wie seiner Komposition und seiner
Präsentation entschieden werden. Bisazza erläuterte anschließend die Schwierigkeit
dieses Einzelfall-Ansatzes. Er gebe Herstellern von behandelten Artikeln nur wenig
brauchbare Anleitung um zu evaluieren, ob ihre Artikel als Biozidprodukte angesehen
werden und damit unter die Zulassung der BPR fallen, so Bisazza.
Auch Maartje Nelemans (Ministerium für Infrastruktur
und Umwelt, Niederlande) äußerte sich in ihrem Vortrag zum Thema. Hersteller
sollten ihr Augenmerk auf das zentrale Verkaufsargument für ihren Artikel
legen, um zu bestimmen, ob es sich um ein Biozidprodukt handele oder nicht. Die
Frage müsse lauten, ob der Artikel auch ohne Biozidbehandlung auf den Markt
gebracht werden könne oder nicht, so die Expertin. Generell seien alle
Behandlungen zu jedem Zeitpunkt der Herstellung für die Einstufung des Artikels
relevant, so Nelemans weiter. Neben der Behandlung des fertigen Produkts mit
Bioziden seien demnach auch Behandlungen an einzelnen Komponenten des Artikels
zu berücksichtigen. Eine Ausnahme von der Regel würden jedoch behandelte
Rohmaterialien bilden, die am Anfang des Produktionsprozesses zum Einsatz
kommen, erklärte Nelemans. Hinsichtlich des Labellings von Biozidprodukten
gelte diese Ausnahme allerdings nicht: Auch Rohmaterialien müssten genau wie
bereits fertige Produkte bzw. Artikel mit entsprechenden Labels gekennzeichnet
werden, wenn sie mit einem Biozidprodukt behandelt worden seien.
Grenzfälle: Künftig Sache der Kommission?
Neben der grundsätzlichen Verwirrung um die Unterscheidung von Biozidprodukten und behandelten Artikeln sorgt die BPR auch durch die Exklusion zahlreicher Produkte für Kontroversen. Biozidprodukte und behandelte Artikel, die bestimmten Produktgruppen angehören, werden nicht durch das neue Regelwerk abgedeckt. Zu den Produktgruppen, auf die die BPR nicht anwendbar ist, gehören unter anderem Kosmetika, Pflanzenschutzmittel, Arzneimittel und Medizinprodukte sowie Nahrungs- und Futtermittelzusatzstoffe. Lena Gruhn (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) gab in Düsseldorf zu bedenken, dass es durch die vorhandene Regelung viele Grenzfälle gebe, auf die keine klaren Zuordnungsregeln anwendbar seien. Ein Beispiel für derlei Abgrenzungsschwierigkeiten seien Mittel zur Desinfektion der Hände. Je nachdem, ob die Prävention von Krankheiten oder die generelle Desinfektionswirkung in den Vordergrund gestellt werde, könnten diese Mittel je nach Einzelfall entweder als Arzneimittel und damit als nicht BPR-relevant oder als Biozidprodukt eingestuft, erklärte Gruhn. Ergänzend führte Gruhn an, dass die meisten EU-Mitgliedsstaaten derartige Mittel bislang als Biozidprodukt betrachten würden. Die meisten dieser Grenzfälle seien schon zu Zeiten der BPD bekannt gewesen und die BPR habe keine Lösung für diese bereits bekannten Probleme gebracht, verdeutlichte Gruhn. Zwar existierten Leitfäden zur korrekten Zuordnung der Grenzfälle, doch seien diese nicht rechtsverbindlich - es herrsche dementsprechend Unsicherheit. Um eine Lösung für Grenzfälle herbeizuführen und die Rechtssicherheit zu erhöhen, schlug Gruhn vor, dass die Frage, was ein Biozidprodukt sei und was nicht, künftig auf Antrag eines Mitgliedsstaats von der Europäischen Kommission entschieden werden solle.
Lesestoff:
Den Tagungsband können sie unter www.akademie-fresenius.de erwerben.
Monika Stratmann (Akademie Fresenius)