Die Große Transformation
Handel
Brauchen wir einen neuen Gesellschaftsvertrag?
Der Mensch hat die Erde an ihre „planetaren Grenzen“ gebracht. Das Klima ändert sich zu seinen Ungunsten, die Arten sterben, es wird zu viel gedüngt, die Atmosphäre ist voller Aerosole. Nur noch 23 Prozent der Erde ist „echte Wildnis“. Den Rest hat sich der Mensch untertan gemacht, domestiziert und geschädigt.
Das Anthropozän
Prof. Dr. Reinhold
Leinfelder aus dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale
Umweltveränderungen (WBGU) kann das in Zahlen wiedergeben: Die Hälfte des
vorhandenen Trinkwassers wird von Menschen verbraucht, nur noch sechs Prozent
der Fischbestände könnten noch stärker befischt werden, seit dem Jahr 1900 hat
sich der Energieverbrauch versechszehnfacht und während die Erosionsrate seit
500 Millionen Jahren bei 24 Meter pro eine Million Jahre lag, sind es heute 700
Meter auf eine Million Jahre.
Der Mensch hat so tief
in die Natur und Erdgeschichte eingegriffen, dass der Begriff des Anthropozän
das derzeitige Erdzeitalter Holozän ablösen sollte. Ein Begriff der versöhnt.
Nach Prof. Reinhold gibt es keinen Weg mehr zurück ins Holozän, das die letzten
11.000 Jahren seit Ende der Weichseleiszeit beschreibt. Aber es gibt auch
keinen Gegensatz zwischen „guter Natur“ und „böse Menschheit“. Der Begriff soll
signalisieren, dass die Menschen eine nachhaltie Ausgestaltung des Anthropozäns
in der Hand haben.
Die Menschheit muss
sich in den Bereichen Energie, Urbanisierung und Landnutzung auf den Weg in
eine klimaverträgliche Gesellschaft machen. Eine Transformation auf der Basis
eines neuen Gesellschaftsvertrages.
Gesellschaftsvertrag
Das Wort hat es in
sich. Deswegen hat der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) es auch
zum Motto seiner Herbsttagung am Mittwoch gemacht hat.
Im engeren Sinne ist
der Gesellschaftsvertrag eine juristische Beziehung zwischen Geschäftsleuten,
der das Außen- und Innenverhältnis regelt, die Haftung beschreibt und die
Gewinne verteilt.
Im weiteren Sinne ist
der Gesellschaftsvertrag die politische Vision Rousseaus. Er ist die
Voraussetzung der menschlichen Gemeinschaft und basiert auf dem „volonté
générale“, dem unfehlbaren Allgemeinwillen.
Für Dr. Alexander
Gerber, Geschäftsführer des BÖLW, ist es nicht der juristische Begriff, erklärt
er gegenüber Herd-und-Hof.de. Alle Beteiligten kommen in einem Prozess zu einem
„Commitment“ zusammen, das den Gesellschaftsvertrag auch von einem „Runden
Tisch“ unterscheidet. Es ist das Commitment zum Überleben der Menschen in einer
klimaverträglichen Lebensqualität. Es enthält Dinge, die wie der Bereich der
erneuerbaren Energien, wachsen müssen. Andere Dinge wie der Fleischkonsum werde
Schrumpfen müssen. Man werde sich nicht fleischlos ernähren, aber dem
„Sonntagsbraten“ als Genuss wieder mehr schätzen lernen.
Der politische Weg
Ulrike Höfken hat sich als Landwirtschaftsministerin in Rheinland-Pfalz auf den Weg gemacht, die Transformation umzusetzen und den „Kampf mit den politischen Möglichkeiten“ aufzunehmen. Denn die „großen Diskussionen“ gehen nicht in Richtung ökologischen Landbau, erklärte Höfken auf der Tagung. Zusammen mit Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg will sie das Greening in der heute beginnenden Agrarministerkonferenz stärker einbringen. Auch die Diskussion um die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) müsse in den nächsten Monaten transformiert werden. Derzeit sieht die die Entwicklung hin zu einer intensiven Landwirtschaft.
Die Rolle der Landwirtschaft
Auf der Basis eines
Gesellschaftvertrages mit einem gestaltenden Staat und verbesserter Begleitung
der Zivilgesellschaft wird sich auch die Landwirtschaft verändern müssen,
erklärt Prof. Leinfelder. Sie müsse klimaverträglich umgestaltet, die Entwaldung
muss gestoppt und die Ernährungsstile verändert werden.
Integrative Regelungen
unter dem Dach der Vereinten Nationen bekämpfen die Armut und verbinden Umwelt-
und Klimaschutz. Falsche Subventionen müssten abgebaut und der Weltmarkt
reformiert werden. Die ressourcenarme kleinbäuerliche Landwirtschaft dient als
Blaupause.
Der unternehmerische Weg
Die Praxis braucht „Pioniere des Wandels“, wie die Neumarkter Lammsbräu, die mit einem Nachhaltigkeitsmanagement den Wasser- und Energieverbrauch bereits transformiert habe, erläutert Geschäftsführer Dr. Franz Ehrnsperger. Die Rohstoffe stammen zu hundert Prozent aus dem Ökolandbau und das Produkt wird über einen Nachhaltigkeits- und nicht Marktpreis vermarktet. Als großen Hebel für die Transformation dient das Biomineralwasser der Oberpfälzer. Aber, so schränkt Ehrnsperer ein: Die Transformation durch die Unternehmen brauche auch eine Transformation der gesetzlichen Rahmenbedingungen durch den Staat.
Lesestoff:
Das WBGU-Gutachten „Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ ist bereits ein Beitrag für die Rio +20 Konferenz im Jahr 2012. Es steht im Internet unter www.wbgu.de zur Verfügung
Roland Krieg (Text und Fotos)