Die Hand auf dem Weizensilo

Handel

Russlands Raketen, Ägyptens Nachfrage und die ukrainische Ernte

Am Wochenende druckten Zeitungen das Foto von einem erntereifen goldgelben Weizenfeld unter einem allerdings nicht ganz blauen Himmel. Sonst hätten sich in dem Foto die Nationalfarben der Ukraine widergespiegelt. Doch nicht nur der Himmel war getrübt; sehr befremdlich stehen zwei russische Soldaten vor dem Weizenfeld, Maschinengewehr nach unten gerichtet und den Zeigefinger neben den Abzug gelegt. Das Foto aus einer von Russland besetzten Region warnt: „Hier wachen wir!“.

Raketen auf Odessa

Die rund 20 Millionen Tonnen Lagergetreide in der Ukraine sind schon seit Beginn des russischen Überfalls  auf das Land zu einer weltweiten Versorgungsbedrohung geworden, weil viele Länder, die sich von Schwarzmeergetreide abhängig gemacht haben, plötzlich ohne Lieferanten dastehen. Die Verwerfungen reichen bis zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union, die Umweltziele befristet aufweichen will, um den globalen Getreidesilo zu füllen. Umso drängender zwischen allen drängenden Krisen, je näher der Erntezeitpunkt rückt. Wo soll die neue Ernte hin, wenn alle Silos voll sind?

Der Ukraine hat zur Sicherung ihrer Häfen Minen verlegt. Bislang hat sich trotz dringendem Appell  der Vereinten Nationen Russland nichts bewegt, Getreide aus der Ukraine zu lassen.

Das Wochenende war ein Zeitraffer der russischen Invasion. Russland wird doch Getreide nicht als Waffe einer weltweiten Hungersnot einsetzen? In der Türkei redeten beide Seiten unter Druck der Vereinten Nationen über einen Export des ukrainischen Getreides über das Schwarze Meer. Und beide Seiten erzielten einen getrennten Kompromiss. Denn sowohl die Ukraine als auch Russland haben nur bilateral jeweils mit der Türkei die Räumung von Minen, die Frachtübernahme des Getreides und die Kontrollen der Schiffe im Schwarzen Meer vereinbart. Russland würde gerne ankommende Schiffe in den ukrainischen Häfen kontrollieren, die Kontrollen sollten dann doch schon in türkischen Gewässern stattfinden. Und zu allererst müsste die Ukraine einen Korridor entminen, was zeitlich kaum einzuschätzen ist.

Die fragile Ahnung einer Lösung hat Russland 22 Stunden nach der Vereinbarung mit Raketen auf den Hafen Odessa in Trümmern gelegt. Einmal mehr passt der Satz aus dem Februar 2022: Man darf Putin nicht trauen.

Zwei von vier abgeschossenen Marschflugkörpern trafen den Hafen. Es gab keine Verletzte und auch die Getreidesilos wurden nicht zerstört. Doch Russland hat UN-Generalsekretär António Guterres und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gezeigt, was seine Worte Wert sind. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock spricht es aus: „Die feigen Raketenangriffe auf den Hafen von Odessa zeigen, dass die Unterschrift der russischen Führung derzeit wenig zählt.“ Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir fordert per Twitter auf, weiter auf die Alternativrouten zu setzen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrel bezeichnete den Angriff als „verwerflich“ und zeige „erneut Russlands völlige Missachtung des Völkerrechts und seiner Verpflichtungen.“

Am Sonntagabend hat Russland den Angriff auf militärische Ziele im Hafen von Odessa zugegeben.

Ägyptens Suche

Zu Beginn der vergangenen Woche war der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi in Berlin. Vor 70 Jahren haben beide Staaten die ersten diplomatischen Beziehungen aufgenommen. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach mit al-Sisi auch über die Ukraine. Der russische Angriffskrieg „stellt die Welt vor enorme Herausforderungen. Viele Länder, die weit weg vom Konfliktgeschehen liegen, spüren die Herausforderungen.“ Es gehe um steigende Lebensmittelpreise und immer öfter um den Mangel. „Moskau scheut nicht davor zurück, Getreide- und Energielieferungen als Waffe einzusetzen.“

Ägypten als weltweit größter Importeuer von Getreide ist davon schwer betroffen. al-Sisi formuliert es so: „Wir waren uns einig, dass die aktuelle Situation von allen internationalen Akteuren verlangt, dafür verantwortlich zu sein und praktische Mechanismen zu finden.“ Die Ukraine war bislang der größte Getreidelieferant für das Land am Nil.

In der Praxis hat die Oberste Behörde für Rohwarenbedarf (GASC) in Kairo Mitte Juli ein Weizen-Angebot in nicht genannter Liefermenge an Argentinien, Australien, Brasilien, Kanada und den USA gestellt. Marktanalysten sprechen von einer „aggressiven Suche“ nach Getreide zur Deckung der Bedarfslücken.

Zwischen Juli und Oktober treffen bereits Schiffsladungen aus Bulgarien, Frankreich, Rumänien und Russland mit einer Gesamttonnage von 1,28 Millionen Tonnen Weizen in Kairo ein. Der Preis soll nach Händlerangaben bei 480 US-Dollar pro Tonne liegen. Für das Geschäftsjahr 2022/23 sollen dem Land nach offiziellen Angaben rund fünf Millionen Tonnen Weizen fehlen. Zusätzlich will Ägypten den eigenen Weizenanbau um 900.000 Tonnen auf 9,8 Millionen Tonnen gegenüber 2020/21 ausdehnen. Die aktuellen Vorräte in den Lagern reichen für rund sechs Monate.

Anfang Juni hat Ägypten einen Fonds in Höhe von 500 Millionen US-Dollar für die kurzfristige Getreideversorgung aufgelegt. Ziel ist vor allem die preisliche Absicherung des Brotpreises für ärmere Bevölkerungsschichten.

380 Millionen US-Dollar fließen in Maßnahmen gegen einen Importausfall und in die Stärkung der Subventionsprogramme für Brot. Dafür kauft der Staat rund 700.000 Tonnen Getreide ein. Weitere 117,5 Millionen US-Dollar sind als Mittel gegen Angebotsschocks vorgesehen. Das Geld fließt in Maßnahmen gegen Getreideverluste, Stärkung der heimischen Produktion und Liquiditätshilfe für die Getreidebauern. Die restlichen 2,5 Millionen US-Dollar stehen für Verwaltung und Wissensmanagement zur Verfügung.

Landwirtschaft in der Ukraine

Das ukrainische Ministerkabinett hat Exportlizenzen für Mischungen aus Weizen und für Roggen widerrufen und das Exportverbot für Hafer aufgehoben. Für Hafer muss allerdings jetzt eine Exportlizenz beantragt werden. Für mineralische und chemische Stickstoffdünger wurde ein Exportverbot verhängt.

Das Landwirtschaftsministerium teilt das Ende der Wintergerstenernte auf 254.300 Hektar mit einem Gesamtertrag von 747.800 Tonnen mit. Das sind rund 2,9 Tonnen pro Hektar. Winterweizen wurde auf 147.900 Hektar geerntet und 355.800 Tonnen bei einem Hektarertrag von 2,4 Tonnen eingeholt. Von 15.100 Hektar Erbsen wurden 24.600 Tonnen Erbsen geerntet. Das entspricht einem Ertrag von 1,6 Tonnen pro Hektar.

Im zweiten Quartal wurden mit 22.000 Tonnen Milch rund drei Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum exportiert. Marktanalyst Maksym Hopka sagt gegenüber dem Deutsch-Ukrainischen Agrarpolitischen Dialog (APD) dass die Exporte im Juni aber weiter gestiegen sind. Rund 9.300 Tonnen Milchprodukte wurden nach Litauen, Moldawien und Polen exportiert.

Roland Krieg

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