„Die Lebensmittelwirtschaft“ zum Pferdefleischskandal
Handel
+++ 14:30 Uhr
„Die Lebensmittelwirtschaft“: Pferdefleisch ist Betrug und kein SystemfehlerNicht nur, dass Pferdefleisch im Rindfleisch Europa in Atem hält, das Pferdefleisch enthielt auch noch Phenylbutazon, das als Dopingmittel eingesetzt wird.
Nach Auskunft von EU-Verbraucherkommissar Tonio Borg wird das Ständige Komitee zur Lebensmittelsicherheit heute noch zwei verpflichtende Tests vorschreiben. Zum einen sollen DNS-Tests die Herkunft des Fleisches feststellen und zum anderen die Anwesenheit des Dopingmittels feststellen.
Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner betont nach den Festnahmen in England und Frankreich den kriminellen Akt der Fleischpanscherei: „Deshalb ist dieser Skandal nicht nur ein Fall für die Lebensmittelbehörden, sondern auch ein Fall für Polizei und Justiz.“
Landauf und Landab argwöhnen die Medien einen grundlegenden Systemfehler, den nicht überraschend die eng verflochtene Fleischbranche hervorgebracht hat. Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) hingegen spricht lieber von „einzelnen Kriminellen“, die eine ganze Wertschöpfungskette in Verruf bringen.
„Die Lebensmittelwirtschaft“ hat sich erst jüngst als gemeinsame Stimme der Branche etabliert [1]. Herd-und-Hof.de hat deshalb bei Geschäftsführer Stephan Becker-Sonnenschein nach seiner Sicht der Dinge gefragt.
Becker-Sonnenschein: Die Diskussion um mögliche nicht deklarierte Anteile von Pferdefleisch in Tiefkühlkost hat europäische Ausmaße. Die Hintergründe und Zusammenhänge müssen lückenlos aufgeklärt werden, denn dies gefährdet das Vertrauen der Verbraucher in die Nahrungsmittelindustrie. Es muss auch in Deutschland schnell Klarheit geschaffen werden, wie diese Beimischung zustande gekommen ist. Es ist nicht akzeptabel, wenn in einem Produkt, das man kauft, nicht deklariert ist, was enthalten ist. Das gilt für den Unternehmer, der einkauft, ebenso wie für den Verbraucher. Eine gesundheitsgefährdende Situation ist wohl nicht gegeben. Pferdefleisch ist auch in Deutschland eine übliche Lebensmittelspezialität.
HuH: Marketingexperte Thomas Herschel stellte auf dem Frische Forum Fleisch fest, dass zu viele Markenprogramme „Qualitäten zweiter Wahl“ schaffen [2]. Der Betrug mit Pferdefleisch in der Lasagne trifft die billigen Eigenmarken des Handels. Hat Herschel damit Recht? Und sollte der Lebensmittelhandel die ewigen Preisrunden im eigenen Interesse nicht endlich beenden?
Becker-Sonnenschein: Ein Betrug ist eine unakzeptable Täuschung und das Motiv ist noch unbekannt. Ob obige Fragestellung hier eine treibende Rolle spielt, bezweifele ich.
HuH: Gefühlt immer mehr Kontrollen, gefühlt immer mehr Gesetze beenden die Skandale nicht. Sind es nicht doch grundsätzliche Probleme gerade in der Fleischwirtschaft statt immer nur einzelne schwarze Schafe?
Becker-Sonnenschein: Ein solcher Vorfall löst immer wieder das berechtigte Verlangen aus, alles in Frage zu stellen. Auf EU und Bundesebene sind Maßnahmen ergriffen worden, um diesen konkreten Fall aufzuklären. Dabei werden sicher auch Veränderungen des Systems diskutiert werden, die es dann vor dem Hintergrund bestehender Systeme zu überprüfen gilt. Dieser Prozess ist in Gang gesetzt, aber es wird einige Zeit dauern. Bis dahin werden die Gefühle die Stimmung beherrschen.
HuH: „Die Lebensmittelwirtschaft“ ist angetreten, „Das Gute aus der Branche“ zu beschreiben. Nach einigen Begleitkommentaren zur Grünen Woche ist das Pferdefleisch die erste echte Herausforderung für den neuen Verein: Was wird national und europäisch getan?
Becker-Sonnenschein: Der Verein begleitet den Dialog und wird in Deutschland mitreden.
Vielen Dank für die Antworten
Die Fragen stellte Roland Krieg
Lesestoff:
[1] „Die Lebensmittelwirtschaft“ stellt sich vor
[2] Frische Forum Fleisch auf der Grünen Woche
Roland Krieg; Foto: roRo