Die private Energiewende
Handel
In die Selbstversorgung investieren
Der generationenübergreifende Auftrag Energiewende: Streit um das Atom, die Netze, die Förderungen im EEG und zuletzt die kritischen Äußerungen des Bundesumweltministers, die Zweifel am Masterplan gestreut haben. Die Energiewende ist jedoch auch eine individuelle Aufgabe, die vom Einsatz der Energiesparlampe über umweltfreundliche Mobilität bis zum Bürgerwindpark reicht. Und das scheint besser zu klappen als in der großen Politik.
Die Deutschen werden zu Genossen
Aktuell halten mehr als 80.000 Bundesbürger Anteile an Energiegenossenschaften. Seit 2005 haben sich mehr als 500 Genossenschaften gegründet, alleine 160 im letzten Jahr. Rund 800 Millionen Euro sind auf diese Wiese für erneuerbare Energien investiert worden. „Energiegenossenschaften werden zum Treiber der Energiewende. Sie bieten Bürgern einen idealen Rahmen, sich vor Ort für den Umbau der Energieversorgung zu engagieren und sie steigern damit die Akzeptanz für Energieprojekte in der Region“, stellte Dr. Eckhard Ott, Vorsitzender des Vorstands des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbandes (DGRV) am Donnerstag in Berlin fest. Vor allem seit 2008 boomen die neuen Beteiligungsmöglichkeiten. Meist werden sie von wenigen gegründet, die Verwaltung, Struktur und Organisation umsetzen. In der Gründungszeit besteht eine Energiegenossenschaft durchschnittlich aus 29 Mitgliedern, wächst aber in der Folgezeit um das Fünffache an und kann bis zu 4.000 Mitglieder umfassen. 90 Prozent der Mitglieder sind Privatpersonen und in den allermeisten Fällen kommen sie aus dem Ort, wo das Windrad, die Solar- oder die Biogasanlage mit Wärmenutzung entsteht. Die durchschnittliche Beteiligung beträgt nach einer Analyse der Energiegenossenschaften 3.172 Euro.
Direkt beteiligt und nah dran
Es gibt Möglichkeiten der Beteiligung. Eine GmbH, die Gründung einer GbR, eine AG oder eine Inhaberschuldverschreibung. Offenbar hat aber die Genossenschaft eine besondere Attraktivität. Gründungs- und Verwaltungsaufwand sind zwar sehr hoch, aber es gibt Modelle, da sind die Bürger mit 50 Euro Einlage dabei. Die Anlagen entstehen direkt vor Ort, so dass Beteiligte sehen, was entsteht, erhöhen die Akzeptanz von erneuerbaren Energieanlagen und profitieren direkt davon. Die produzierte Energiemenge kommt der gleichen Anzahl Personen zugute, die in die Anlagen investiert haben. Und mit einer dreimonatigen Kündigungsfrist kann jeder Unzufriedene jederzeit wieder aussteigen.
So spielt die Erwartung an eine Dividende auch nicht die größte Rolle für eine Beteiligung. An erster Stelle steht der Wunsch, erneuerbare Energien zu fördern, aus der Atomkraft auszusteigen und etwas für den Umweltschutz zu tun. An zweiter Stelle wollen die Menschen ihre regionale Wertschöpfung fördern. Direkter als über den Umweg der großen Politik mit individueller demokratischer Willensbildung.
Das Potenzial ist ausbaubar. Die installierte Leistung der Energiegenossenschaften beläuft sich auf rund 223.000 kWp [1]. Das reicht für den Bedarf der Energiegenossen und ist eine Investition in die Selbstversorgung – nicht mehr.
Nach Philipp Vohrer, Geschäftsführer der Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) liegt das vor allem daran, dass noch zu wenige diese Möglichkeit der Energiegewinnung kennen. Das wiederum liege auch daran, dass zu viel über Kosten der erneuerbaren Energien und Kosten der Energiewende gesprochen werde und nicht über die Möglichkeiten, sie vor Ort in die eigene Hand zu nehmen. Aber gerade das genossenschaftliche Modell zeige, dass Energieerzeugung nicht nur etwas für Reiche ist.
Energie von zu Hause
Erneuerbare Energien versprechen viel Geld. Die Anlagemöglichkeiten sind zahlreich und wo viel Geld im Spiel ist, treten auch unseriöse Fonds auf, sagt Philipp Vohrer zu Herd-und-Hof.de. Es geht um die „Anlagen“-Beratung der Anleger. So raten die Windgenossen beispielsweise, erst dann Geld zu investieren, wenn die Planung abgeschlossen und die Baugenehmigung erteilt ist.
Aus diesem Grunde bieten die Genossenschaften nach Vohrer geradezu vorbildlich ein ordentliches Beteiligungsmodell, ohne auf die Nase zu fallen. Durch die Beteiligung an der Planung und durch Mitspracherecht vermindern Genossenschaften die Konflikte um die Anlagen. Die oft gepriesene Bürgerbeteiligung ersetzt die protestierende Bürgerinitiative bei Fremdbestimmung. „Die Genossenschaften sind ein bewährtes und gutes Modell“, so Vohrer.
Interkommunale Genossen
Eine der größten Energiegenossenschaften in Deutschland hat sich auch gleich eine Struktur gegeben, die bis hin zur Regionalplanung alles in die eigene Hand genommen hat. Im Jahr 2008 legten die Städte Grafenwöhr, Eschenbach und Pressath den Grundstein für NEW – Die Neue Energien West eG, deren Abkürzung gleich das identitätsstiftende Autokennzeichen für den Landkreis Neustadt an der Waldnaab aufgenommen hat. Der Landkreis um Weiden in der Oberpfalz reicht bis an die Tschechische Grenze heran, ist waldreich und hat 144.000 Einwohner. NEW will bis 2030 seine eigene Energiewende umgesetzt haben und hat gleich zwei Genossenschaften gegründet.
Die NEW eG ist die gestaltende Genossenschaft in der die Kommunen und juristische Personen teilhaben können. Nach Gründungsmitglied Helmut Amschler ist mnit einer Mindesteinlage von 5.000 Euro auch die Teilnahme eine kleinen Dorfes gesichert. Jeder Bürgermeister ist gleich Mitglied im Aufsichtsrat. Es werden nur sachbezogene Beschlüsse gefasst, so dass überparteilich die Kommunen nebenbei auch lernen, ihre Zusammenarbeit zu verbessern.
Die zweite Genossenschaft West eG ist den Bürgern vorbehalten und fingiert als finanzierende Genossenschaft.
Die NEW eG startete am 29. Februar 2009 mit elf Kommunen mit 23 Anteilen zu jeweils 5.000 Euro und besitzt derzeit ein Gesamtkapital in Höhe von 8,7 Millionen Euro.
Im Juni des gleichen Jahres folgte die Gründung der Bürger-Energiegenossenschaft West eG mit 77 Gründungsmitgliedern mit jeweils 500 Euro Anteil. Aktuell gehören ihr 953 Mitglieder mit 17.308 Anteilen an.
Im Gründungsjahr gab es drei Photovoltaikanlagen mit 50 kWpeak. Bis Ende 2011 erhöhte sich die Anlagenleistung auf 6,285 MWpeak und in diesem Jahr kam der Solarpark Hütten mit 16 MWpeak hinzu. Damit liefern die Genossen 52 Prozent des gesamten Stroms aller Privathaushalte im westlichen Landkreis.
Energiewende von unten
Amschler hat noch viel vor. NEW erstellt gerade ein interkommunales Energiekonzept für elf Kommunen und ist an am Rückerwerb der Stromnetze dran.
Damit sind sie den großen Energieversorgern auf die Füsse getreten, die NEW zu Beginn eher belächelt haben, so Amschler. Sie können zwar die Arbeit nicht behindern, aber erschweren. Sie wählen immer, so Amschler, den am weitesten gelegenen möglichen Einspeisepunkt für die Anlagen aus. Für Philipp Vohrer liegt hier die Nagelprobe für die Politik: Wenn die vorrangige Einspeisung erneuerbarer Energien gestrichen werde, dann fällt die Politik allen Bürgerengagements in den Rücken und legte die Energiegenossenschaften trocken.
In der Oberpfalz sind auch zwei Stadtwerke am Start. Das zeigt für Amschler auf jeden Fall, dass das „Bürgerengagement mit Stadtwerken funktioniert“ und appellierte an die Stadtwerke, das Modell stärker zu nutzen.
Dass es funktioniert, bestätigte auch ein Sprecher des Verbands kommunaler Unternehmen gegenüber Herd-und-Hof.de: „Das müssen die entsprechenden Kommunen vor Ort überprüfen. Eine Pauschallösung gibt es da sicherlich nicht. Das hängt immer von den konkreten Gegebenheiten ab.“
Contracting-Offensive in BW
Die Energiegenossenschaften sind für die kleinen Anlagen geeignet. Nach Vohrer werden Großprojekte wie Offshore-Anlagen über andere Modelle finanziert werden müssen. Baden-Württemberg hat in dieser Woche die „Contracting-Offensive Baden-Württemberg“ gestartet, die Privathaushalten, Kommunen und Unternehmen neue Perspektiven bieten soll. Die Offensive setzt am Flaschenhals Finanzierung an. „Contracting“ ist dabei eine Dienstleistung, bei der sachkundige Dritte die Energieleistungen wie Gebäudesanierung oder Energieanlagen umsetzen. Geeignet ist das „Contracting“ bei fehlenden Finanzmitteln oder bei Anlagen, die größer werden sollen. Das am Dienstag gestartete Modell „soll das Instrument des Contracting bekannter machen, aber auch gezielt die Beteiligten zusammenbringen“, erläuterte Umweltminister Franz Untersteller.
Lesestoff:
[1] kWp steht für Kilowatt Peak. Das entspricht der Spitzenleistung bei optimaler Sonneneinstrahlung von 1.000 Watt je Quadratmeter in Deutschland und wird in der regel in der Mittagszeit erreicht. Abweichend von dieser Nennleistung wird durch die Erwärmung der Solarzellen ein realer Wert von 15 bis 20 Prozent weniger erzielt.
Roland Krieg