Die Tücken im TTIP-Deal
Handel
USA-EU und NGOs wappnen sich für die Verhandlungsjahre
Heute können die USA grünes Licht für die Aufnahmen des Transatlantischen Freihandels- und Investitionsschutzabkommen (TTIP) zwischen den USA und der EU geben. Ein Gastgeschenk des amerikanischen US-Präsidenten, der am Abend für zwei Tage in Berlin anreist. Nur drei Tage nachdem die EU bereits grünes Licht für die Verhandlungen gegeben haben. Aber auch die Kritiker wappnen sich, werden im weiteren Jahresverlauf Kontakte für eine Atlantikbrücke der Nichtregierungsorganisationen gegen das Freihandelsabkommen knüpfen. Heute um 11:00 Uhr machen sie sich lautstark auf dem Pariser Platz bemerkbar. Gestern haben sie ihre Gründe ausführlich dargelegt.
Entscheidung der EU
Am Freitag stand bei der Europäischen Union das Freihandelsabkommen auf dem Programm. Die Bundesrepublik hatte im Vorfeld angekündigt, ihre Vorbehalte zurückzuziehen und damit der Mandatserteilung grünes Licht zu geben. Für Deutschland ist das Abkommen ein „wichtiges Signal für die Vertiefung der transatlantischen Partnerschaft“. Die audiovisuellen Medien sind derzeit als einziges Thema ausgeklammert, aber die EU-Kommission hat die Möglichkeiten, weitere Verhandlungsthemen nachzureichen [1].
Transparenz und Rücksicht
Die EU hat für ihr Verhandlungsmandat drei
Schlüsselfelder definiert: Marktzugang, Verordnungen und nicht-tarifäre
Handelsbarrieren sowie Handelsregelungen. Die EU ist der größte Handelspartner
der USA, die wiederum der zweitwichtigste Handelspartner der Europäer ist. Auf
den alten Kontinent fließen 17,6 Prozent des US-Exports, die Europäer führen
13,9 Prozent ihres Exports auf den neuen Kontinent aus. Der neue Markt umfasst
dann 800 Millionen Menschen und die Hälfte des weltweiten Sozialproduktes - ein
Drittel des Welthandels. Das Abkommen soll wirtschaftliche Effekte hervorbringen.
Das Bruttosozialprodukt der EU soll zwischen 0,27 und 0,48 Prozent steigen, was
zusätzliches Einkommen um 86 Milliarden Euro pro Jahr generiere.
Der Vorsitzende des EU-Handelsausschuss im
Europaparlament, Vital Moreira, Sozialdemokrat aus Portugal, begrüßt die
Entscheidung. Der Ausschuss will die Verhandlungen so dicht als möglich
begleiten und für Transparenz sorgen. Moreira warnt die Verhandlungspartner.
Das Parlament gibt seine Zustimmung nur unter der Bedingung, dass die
europäischen Interessen der Wirtschaft, Arbeiter und Verbraucher nicht
beschnitten werden [2].
EU-Präsident José Manuel Barroso glaubt, dass das
Freihandelsabkommen ein „Wegweiser“ sein kann. Rechnerisch würde für nahezu
umsonst ein Wohlfahrtsgewinn in Höhe von 545 Euro pro Haushalt erreicht. Jede
Seite starte mit eigenen Interessen. Barroso gibt sich zuversichtlich, dass die
Partner sensibel auf die gegenseitigen Wünsche Rücksicht nähmen.
Die ökonomische Bindung der beiden Wirtschaftsräume
soll auch nicht auf Kosten der restlichen Welt realisiert werden. Eine
Handelsliberalisierung zwischen den USA und der EU würde dem Rest der Welt
einen Wirtschaftsbonus von 100 Milliarden Euro bringen.
Die Verhandlungen starten ohne „rote Linien“. Nach
Ansicht der EU stehen die hohen Standards beim Umwelt,- Gesundheitsschutz, in
der Privatsphäre und bei Verbraucher- und Arbeitsrechten nicht auf dem Spiel.
Die Schlüsselthemen
Marktzugang: Die Zölle zwischen beiden Wirtschaftsräumen sind mit 5,2 auf europäischer und mit 3,5 Prozent im Durchschnitt schon relativ niedrig. Dennoch können sie weiter gesenkt werden. Für die Europäer sind die engen Bestimmungen der Herkunftskennzeichnungen von Bedeutung [3]. Beide Wirtschaftsräume haben ihre Sorgen mit chinesischen Billigprodukten. Die EU möchte im Abkommen regelmäßige Dialoge zum Thema Dumping installieren [4].
Investitionen sind Namensgeber des Abkommens und erhalten eine hohe Priorität. Die EU möchte in dem Abkommen sicher stellen, dass es einen Schutz gegen Enteignung gibt, Fondsgelder frei fließen können und dass die europäischen Unternehmen in den USA auf Augenhöhe mit den amerikanischen Wettbewerbern investieren können. Darin eingeschlossen ist auch die für Europa neue Möglichkeit des Klagerechts von Unternehmen gegen den Staat (s. weiter unten).
Nicht-tarifäre Hemmnisse: Die größten Gewinne aus der Vereinbarung erhofft sich die EU aus der Beseitigung von nicht-tarifären Handelshemmnissen, wie Sicherheits- und Umweltstandards. Unternehmen, die auf beiden Seiten des Atlantiks verkaufen, müssen ihre Produkte gleich zweimal zertifizieren lassen, was die Kosten unnötig in die Höhe treibe. Die hohen EU-Standards sollen dabei aber nicht geopfert werden. Das betrifft vor allem die Bereich der Lebensmittelsicherheit und phytosanitäre Standards bei der Einfuhr von Pflanzen. Hier sollen keine finalen Grenzen am Ende des Abkommens realisiert werden. Die EU will „Landezonen“ definieren, mit denen beide Seiten „leben“ können. Das soll verhindern, dass bestehende durch neue Barrieren ersetzt werden.
Weltmarkt: Beide Seiten wollen eine Balance finden, sowohl die eigenen Interessen als auch gleichzeitig den Weltmarkt zu stärken. So soll das Abkommen auch das derzeit brach liegende multilaterale Handelssystem stärken [5]. Hier sollen die geistigen Eigentumsrechte, die geschützten geografischen Angaben und der nachhaltige Handel auf der Agenda stehen.
„Wirtschafts-Nato“
Die meisten Einschätzungen vor Start der Verhandlungen malen ein schwarz-weiß-Bild. So auch der Bundestag am vergangenen Freitag, als das TTIP auf der Agenda stand. Dr. Frithjof Schmidt (Bündnis 90 / Die Grünen) betonte die Gefahren. „Bauernverbände und Gewerkschaften, Umweltschützer und Verbraucherinitiativen, Datenschützer und Lebensmittelproduzenten und manche Industrieunternehmen“ einigte die Sorge, dass wichtige europäische Standards unterlaufen werden. Schmidt forderte die Bundesregierung auf, das Mandat der Öffentlichkeit vorzulegen: „Es darf keine geheime Verschlusssache sein.“
Das teilt auch Peter Beyer (CDU/CSU). Die Bundesregierung solle in „vertretbaren Zeitabständen Berichte an den Bundestag“ geben. Beyer will aber mehr die Chancen des Abkommens in den Vordergrund gestellt wissen. Vor allem gehe es um „um Jobs, Jobs, Jobs“. Durch den Abbau der nicht-tarifären Handelshemmnisse würde vor allem der Mittelstand profitieren. Das Abkommen sieht Beyer als komplementär zum multinationalen Handelsrahmen und nicht als Gegensatz. Wegen der wirtschaftlichen Vertiefung auf beiden Seiten des Atlantiks zog Beyer den Vergleich zur Nato und bezeichnete das TTIP auch gleich als „Wirtschafts-Nato“.
Rolf Hempelmann von der SPD unterstreicht, dass das Abkommen nicht mit einem Verzicht auf die WTO verbunden ist. Hempelmann schlug vor, bilaterale Verträge bei der WTO vorzulegen und ratifizieren zu lassen.
Dr. Martin Linder von der FDP warnte vor der Herausnahme einzelner Verhandlungspunkte. Das würden die Amerikaner mit gleichem vergelten, was aus dem TTIP einen „Schweizer Käse“ machen. Im Gegenteil biete das TTIP eine Chance, dem zunehmenden Protektionismus auf der Welt etwas entgegenzusetzen [6].
Für Ulla Lötzer (Die Linke) ist das Abkommen jedoch Protektionismus pur: „Sie schotten sich damit auch gegen den Rest der Welt ab“. Lötzer fürchtet Gegenmaßnahmen der BRICS-Länder und damit eine Abschottungsrunde verschiedener Wirtschaftsblöcke.
Eine andere Partnerschaft
In Deutschland haben sich mittlerweile 22 Umwelt-, Landwirtschafts-, Entwicklungshilfe- und Kirchenverbände zu einem Bündnis gegen TTIP zusammengeschlossen. Sie fürchten um Errungenschaften der hohen europäischen Umwelt- und Sozialstandards und fürchten, das Hormonfleisch, gentechnisch veränderte Pflanzen und Chlorhähnchen auf den deutschen Tellern landen. Der Gegenentwurf ist die große Transformation im Einklang der biologischen Grenze und des sozialen Ausgleichs [7]. Der Teufel beim TTIP stecke im Detail.
Peter Fuchs von Power Shift des Forums Umwelt und Entwicklung warnt genau vor dem Abbau der nicht-tarifären Handelshemmnisse, die den Schutz der Standards bewahren. Es sei vor allem die EU, die den Investorenschutz voranbringe und weniger die Amerikaner. Dabei geht es um das Klagerecht von Unternehmen gegen den Staat. So hat der Bundestag über das demokratisch gewählte Parlament den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen und sieht sich jetzt der Klage von Vattenfall gegenüber, die wegen des Ausstiegs 3,7 Milliarden Euro Entschädigung haben wollen. Das amerikanische Unternehmen Lone Pine klagt gegen Kanada, das ein Moratorium gegen das umstrittene „Fracking“ in Kraft gesetzt hat [8]. Für entgangenen Gewinn will Lone Pine 250 Millionen US-Dollar einklagen. Solche „privilegierten Klagerechte sind unnütz wie ein Kropf“, so Fuchs.
Claudia Baitinger vom BUND sieht durch das TTIP das europäische REACh gefährdet [9]. Durch REACh werden gefährliche Stoffe schneller erkannt und aus dem Verkehr gezogen. Das amerikanische Pendant sei weniger wirksam. Vor allem fehlten die Bewertungen zum Arbeitsschutz. Die Amerikaner hatten die EU beim Implementierungsprozess bedrängt, REACh weniger straff zu gestalten.
Bernd Voß, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) fokussiert sich auf die erlaubten Unterschiede zwischen den USA und der EU im Bereich der Lebensmittelzulassungen. Es stehen zwei gegensätzliche Agrarstrukturen gegenüber. Auf vergleichbarer Fläche wirtschaften in Europa 14 Millionen Bauern, während es in den USA nur noch zwei Millionen sind [10].
Der 51. US-Bundesstaat?
Die Kritik legt nahe, dass die Europäer von den USA
überrollt und den US-Wirtschaftsstempel aufgedrückt bekommen. Ob die EU am Ende
der 51. Bundesstaat der USA ist, bleibt dennoch zweifelhaft. Gegenüber
Herd-und-Hof.de räumt Peter Fuchs ein, dass die Europäer nicht überrollt
werden. Es fehlen aber klare „rote Linien“, weswegen alles eine
Verhandlungsoption geworden ist. Den vollen Investorenschutz wollen auch mehr
die europäischen Unternehmer nach amerikanischem Vorbild, die in dem TTIP eine
Chance für mehr Freihandel sehen. Hier werden nach Fuchs „aggressive
Europainteressen“ vertreten.
Kritisch ist der wenig öffentliche Umgang mit dem
Verhandlungsmandat. Das sei „anti-demokratisch“, so Fuchs weiter. Daher will
sich die Zivilgesellschaft „kräftig mit einbringen“ ergänzte Bernd Voß.
Vorrangiges Ziel ist ein Abschluss der Doha-Runde.
Für Claudia Baitinger ist das TTIP ein Fall für die
Juristen. Nach Paragraph 192 des
Lissabon-Vertrages gibt es besondere Schutzmaßnahmen für Raumordnung,
Bewirtschaftung der Wasserressourcen oder die Bodennutzung. Der Paragraph 193
legt dann fest, dass ein Mitgliedsstaat verstärkte Schutzmaßnahmen im Einklang
mit dem Lissabon-Vertrag treffen darf. So hat beispielsweise in einer
Popularklage gegen das bayerische Naturschutzgesetz eine Privatperson im Jahr
2009 eine Geldbuße bezahlen müssen, weil er Feldgehölze, die durch die
natürliche Sukzession auf Brachland wuchsen, fällte. Dieser Artikel sei
wichtig, um der Erosion des Umweltschutzes durch die Hintertür Einhalt zu
bieten.
Welche Wirtschaft?
Die wirtschaftlichen Prognosen des Abkommens machen
skeptisch. Für Baitinger sind die Grenzen des Wachstums längst erreicht und
Peter Fuchs bezeichnet die Zahlenspiele als „Ritual“, solche Abkommen zu
begründen [11]. Fuchs glaubt auch nicht, dass das Abkommen innerhalb von zwei
Jahren zum Abschluss kommt.
Den Organisationen geht es dabei nicht um die Reform
des TTIP. Bernd Voß sagt es klar: „Ein Scheitern wäre das vernünftigste. Dann
kann es neu aufgesetzt werden.“
Wie weit sich die Amerikaner und Europäer noch von den
internationalen Befindlichkeiten beeinflussen lassen bleibt offen. Die
Klimaverhandlungen in Warschau und die WTO-Runde in Bali könnten noch in diesem
Jahr auf das TTIP-Geschehen wirken. Peter Fuchs ist aber skeptisch. Zu
Herd-und-Hof.de sagte er, die Klimadelegierten reisen unter Aufsicht der
Ökonomen nach Warschau und in Bali treffen sich nur „kleine Delegationen“ für
eine Liberalisierung im Dienstleistungsbereich.
Lesestoff:
Die EU hat eine neue Webseite für die Verhandlungen eingerichtet: http://ec.europa.eu/trade/policy/in-focus/ttip/
[1] SPD-Antrag zur Herausnahme der audiovisuellenMedien
[2] Die Größe von TTIP schürt Ängste
[3] EU-Studie zum Wert dergeschützten Angaben
[4] EU-CN: Globaler Handelbraucht keine Retourkutschen
[5] Roberto Carvalho de Azevedo wird WTO-General-Direktor
[8] Fracking erschöpft sichschnell
[9] REACh: Kompromiss zwischen Verbraucher und Industrie
[10] US-Freihandelsabkommen und Agrar-Exportniveau
[11] Leitindikatoren für einneues Wachstumsmodell
Roland Krieg