Die Zukunft der Charta
Handel
Armut bis 2030 beenden
Im nächsten Jahr wird ein Schlussstrich unter die Millenniumsziele gezogen. Nicht alles wurde erreicht, aber einzelne Länder liegen im Plan, den Hunger halbiert zu haben oder Kinder in die Schule zu senden. Das nächste Jahr steht daher im Zeichen der „post-2015-Agenda“. „Sustainable Development Goals“ (SDG) werden die Millenniumsziele ablösen und sollen die Weltgemeinschaft noch ein Stück mehr von Armut und Hunger befreien. Eine unendliche Geschichte, bei der ein wirklicher Anfang nicht auszumachen ist.
Über sieben Monate lang fand vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ein Dialogprozess statt, der am Montag in der Formulierung einer Zukunftscharta endete, die an Bundeskanzlerin Angela Merkel übergeben wurde. Ressortleiter Dr. Gerd Müller hat sich mit der Zukunftscharta schon in die politischen Tagebücher verewigt. Doch was bringt sie wirklich?
Anstrich für den Rahmen
Acht Handlungsfelder sind in der Zukunftscharta beschrieben. Selbst in den Details steht nichts Neues drin, was nicht bereits in Abschlusskapiteln von Entwicklungsberichten resümiert wurde: Stärkung der Frauenrechte, technologischer Fortschritt, die Würde des Menschen beachten und Investitionen in den ländlichen Raum forcieren. Eine bunte Broschüre mit lachenden Kindern, neugierigen Studenten, High-Tech auf den Feldern und zufriedene Markthändler.
Zwischen der Zukunftswerkstatt und der zweiten
Welternährungs-konferenz in Rom lag nur ein Wochenende [1]. Die Kritik an der
Deklaration von Rom lautete unter anderem: Schon wieder ein Aktionsplan. Doch
selbst Bundesland-wirtschafts-minister Christian Schmidt zeigte sich in der
Zukunftswerkstatt überrascht, dass Armut und Hunger seit 1992 erst zum zweiten
Mal international zu einer großen Konferenz geführt haben.
Für die Zukunftscharta gilt das gleiche was WHO und FAO zur zweiten Ernährungskonferenz sagten: Die Länder sind wohlhabender geworden und haben die Mittel, die Menschen von Armut und Hunger zu befreien.
Dann darf der notwendige Rahmen immer wieder durch einen neuen Anstrich betont werden, muss sich am Ende aber im Detail noch beweisen.
Die Menschenrechtsorganisation Oxfam sagt es so: „Ohne Umsetzungsplan bleibt die BMZ-Zukunftscharta bloße Absichtserklärung“. Geschäftsführerin Marion Lieser wünscht sich, dass das Dokument nicht eines des BMZ bleibt, sondern mit der Übergabe an die Kanzlerin zu einem Handlungsauftrag der Bundesregierung wird. Dr. Müller war auf der Zukunftswerkstatt ständig, eingeladene Bundesminister zu den Gesprächsforen zu führen. Ein Anfang.
Grüne Zentren
Das BMZ steht im Detail doch besser da, als es die Zukunftscharta vermuten lässt. Der Aufbau „Grüner Zentren“ in Afrika bündelt Programm vor Ort und bindet lokalen Akteure wirklich ein [2].
Dieser Ansatz bekommt Lob von Kanayo F. Nwanze, Präsident des Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung, der sich in Berlin selbstbewusst zeigte, Armut bis 2030 beenden zu können. Der IFAD hat mehr als 600 Projekte in über 100 Länder initiiert.
Die späte Einsicht
Der Nigerianer legte den Finger in die Wunde der Industrieländer: Ebola ist nicht neu. Die tödliche Krankheit wurde aber von der Weltgemeinschaft ignoriert, weil sie nur lokal auftrat und Menschen betraf, die keine mediale Öffentlichkeit genossen. Erst seit die Krankheit in Europa und den USA aufgetaucht ist, gibt es eine kollektive Aktion gegen das Virus. Solange der Aufmerksamkeitsmechanismus auf diese Weise läuft, finden Armut und Hunger in einer „unsichtbaren Welt“ statt. Länder mit den notwendigen Hilfskapazitäten greifen erst ein, wenn eine wirkliche Krise eintritt und versäumen die Vorbeugung, beklagte sich Nwanze. Afrikanischen Regierungen haben jedoch die meiste Verantwortung. Sie stehen in der ersten Reihe, Frauenrechte zu stärken, Zugang zu Land und Krediten zu gewähren oder Infrastruktur aufzubauen. Zudem müsse Entwicklungshilfe komplexer sein: Es reiche nicht, den Bauern eine Kuh zu geben, wenn die Elektrizität fehlt, den zusätzlichen Liter Milch im Lager zu kühlen.
Richtige umgesetzt, halten Projekte, und vor allem in der Zeit danach, die Menschen auf dem Land. Erst wenn sie das Land wegen Perspektivlosigkeit verlassen, geraten sie in eine besonders verletzliche Position in den Städten und migrieren am Ende nach Europa.
Schon alleine deshalb haben auch die Industrieländer ein Interesse, Entwicklungshilfe als Wirtschaftshilfe für den ländlichen Raum zu verstehen. Nwanze erklärte es am Beispiel von Vietnam. Das Land war früher Nettoimporteur von Nahrungsmittel gewesen und ist jetzt ein wichtiger Lieferant für den weltweiten Reishandel. Investitionen in den ländlichen Raum und Stärkung der Kleinbauern waren der Schlüssel für diese Entwicklung.
Vorurteile überwinden
Entwicklungshilfe fängt schon in heimischen Köpfen an. Dort sind noch falsche Vorstellungen vorhanden. Eine junge Frau fragte Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt nach den marktzerstörerischen Effekten von subventionierten Lebensmittelexporten aus der EU. Mittlerweile können sich die Politiker leicht zurücklehnen. Schmidt verwies auf die neue Agrarpolitik, die das nicht mehr vorsieht und auf das Ende der letzten Exportsubventionen in diesem Jahr. Die europäischen Agrarminister waren sich auch darüber einig, dass sie wegen des russischen Importembargos keine überschüssigen Äpfel auf dem Weltmarkt absetzen wollen, sondern primär die Vermarktung im Binnenmarkt unterstützen.
Eine Schule in Sri Lanka hat diese Toilette für 200 Schüler „eingerichtet“. Wasserversorgung und Abwasserentsorgung sind in weiten Teilen der Welt ein großes Problem. Täglich sterben 5.000 Menschen an unsauberem Trinkwasser. www.sanitation-is-dignity.org
Übrigens: Kanayo F. Nwanze warnt, dass nach Ebola durch die Zerstörung der Wirtschaft in der Region dort die nächste Hungersnot sein wird.
„Fantasie, Idealismus, Engagement und Zeit“
Vier Worte mit denen Bundeskanzlerin Angela Merkel die Zukunftscharta in Empfang nahm. Die sind notwendig, die Ziele in die Praxis umzusetzen. Merkel blickte auf die Millenniumsziele zurück. Damals galt der Ost-West-Konflikt überwunden und die Weltgemeinschaft machte sich auf, die Kluft zwischen reichem Norden und armen Süden zu schließen. Die Anschläge in New York haben jedoch neue Bedrohungen auf die Agenda gesetzt. Dennoch wollte Merkel die Millenniumsziele und deren Umsetzung loben. Deutschland übernimmt im nächsten Jahr die G7-Präsidentschaft und Merkel versprach auf die Ausformulierung der post-2015-Ziele hinzuarbeiten: „Wir wollen in Deutschland eine globale Partnerschaft, die eben nicht nur auf dem Papier steht, sondern die sich auch im Alltag von möglichst vielen Menschen auswirkt, ob das eben die Näherinnen in Bangladesch oder die Bewohner in Megacities betrifft, die vielleicht sauberes Wasser oder besseren Zugang zu Gesundheitsmöglichkeiten bekommen.“ Merkel ermahnte die Verbraucher: Wer faire Arbeitsbedingungen fordert, der muss auch einen fairen Preis für die Ware bezahlen.
Lesestoff:
Roland Krieg; Fotos: roRo