Doppelstandards bei Lebensmittel
Handel
Same, same, but different
„Zwei verschiedene Produkte in derselben Markenverpackung anzubieten, ist irreführend und unfair gegenüber den Verbrauchern. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass wir grenzübergreifende Probleme nur lösen können, wenn wir auf EU-Ebene zusammenarbeiten.“ Das sagte 2017 EU-Verbraucherschutzkommissarin Vera Jourová und nahm die vielfach von osteuropäischen Ländern geäußerte Vermutung auf, das internationale Konzerne zwei Standards für ihre Markenprodukte herstellen: Ein gutes teures Produkt für den Westen und ein Billigimitat für den Osten [1]. EU-Präsident Jean-Claude Juncker ging der Sache auf den Grund. Diesen Montag hat die Gemeinsame Forschungsstelle der EU (JRC) das Ergebnis aus einer europaweiten Testreihe veröffentlicht. Es wurden Unterschiede festgestellt.
Die Ergebnisse
Nahezu 1.400 Lebensmittelprodukte aus 19 EU-Ländern wurden analysiert und tatsächlich bei neun Prozent der Produkte eine unterschiedliche Zusammensetzung gefunden. Das Ergebnis wird Kritiker nicht zufrieden stellen.
In den meisten Fällen entsprach die Zusammensetzung der Produktaufmachung: Bei 23 % der Produkte waren sowohl die jeweilige Packungsvorderseite als auch die Zusammensetzung identisch; bei 27 % der Produkte wurde die je nach EU-Land unterschiedliche Zusammensetzung durch eine andere Packungsvorderseite signalisiert.
Neun Prozent der Produkte wurden als in der gesamten EU identisch angeboten, wiesen aber unterschiedliche Zusammensetzungen auf: Bei diesen Produkten sah die Packungsvorderseite gleich aus, während die Zusammensetzung nicht identisch war.
Weitere 22 Prozent der Produkte wiesen eine ähnliche Aufmachung, jedoch eine unterschiedliche Zusammensetzung auf: Bei diesen Produkten sah die Packungsvorderseite ähnlich aus, während die Zusammensetzung nicht identisch war.
Es gibt kein einheitliches geografisches Muster bei der Verwendung derselben oder einer ähnlichen Verpackung für Produkte mit unterschiedlicher Zusammensetzung. Darüber hinaus bedeuten Unterschiede in der Zusammensetzung der geprüften Produkte nicht zwangsläufig einen Unterschied in der Produktqualität.
Das Fazit
Der Lebensmittelverband Deutschlands (ehemals Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde – BLL) macht es sich einfach: Die Gemeinsame Forschungsstelle hat „den Vorwurf eines qualitativen „Ost-West-Gefälles“ bei Lebensmitteln in Europa widerlegt“. Es gebe allerdings regionale Rezepturunterschiede, die keinen Einfluss auf die Qualität haben. Das Qualitätsversprechen „macht nicht an der Grenze halt“, betont Peter Loosen vom Brüsseler Büro des Verbandes.
Loosen: „Die Rezepturunterschiede bei einzelnen Marken hinsichtlich der Inhaltsstoffe oder der Nährwerte haben ganz andere und sehr verschiedene Gründe. Hier geht es beispielsweise ganz einfach um geschmackliche Präferenzen und Gewohnheiten der Verbraucher in den verschiedenen Ländern, oder es müssen nationale Vorschriften und Empfehlungen, z. B. hinsichtlich des Zucker-, Fett- oder Salzgehalts beachtet werden. Aber auch die Verfügbarkeit von Rohstoffen oder die Unterstützung lokaler Lieferketten spielen eine große Rolle. Und nicht zuletzt Unterschiede bei der Rechtsanwendung wie die unterschiedliche Interpretation von Rundungsregeln im Rahmen der Nährwertkennzeichnung können für unterschiedliche Angaben verantwortlich sein.“
Das sieht die EU anders, wenn auch nicht bezogen auf Rezepturvariationen und Qualitäten. Unternehmen dürfen ihre Produkte länderspezifisch gestalten. Sie dürfen die Verbraucher allerdings nicht in die Irre führen. Die Kunden müssen auch im Sinne der Hersteller über das Produkt Bescheid wissen. Nur dann können sie eine informierte Entscheidung treffen, ob sie das Produkt mit geänderten Zutaten auch wirklich kaufen wollen.
Daher bemängelt Tibor Navracsics von der JRC: „Zwar ist zu begrüßen, dass sich hinsichtlich der Zusammensetzung von Markenlebensmitteln keine Anzeichen für eine Kluft zwischen Ost und West feststellen ließen, doch erfüllt es mich mit Sorge, dass knapp ein Drittel der geprüften Produkte eine unterschiedliche Zusammensetzung aufwies, aber als identisch oder ähnlich vermarktet wurde.“
Damit ist das Thema noch nicht vorbei. Doppelstandards stehen neuerdings unter Strafe. Ob und welcher Missstand abgestellt werden kann, bleibt abzuwarten. Vera Jourová versichert jedenfalls die Kunden, „dass der Packungsinhalt des von ihnen gekauften Produkts den Angaben auf der Packung genau entspricht.“ Dann gibt es künftig ein „Nutella Magyar“?
Ebenfalls am Montag hat die EU den Abschlussbericht über ein besseres Funktionieren der Lebensmittelkette verabschiedet. Der Bericht startete allerdings bereits 2015 und hat sich im Verlauf auch der Doppelstandards angenommen. Und darin heißt es, dass Verbraucher ein europaweit vertriebenes Markenprodukt als identisch in allen EU-Ländern wahrnehmen. Konsumenten in den mediterranen Ländern bevorzugen süßere Konfitüre als die Skandinavier. Zudem können regionale Geschmacksmuster sich schneller verändern, als Unternehmen das wahrnehmen und darauf regieren können. Daher sollten Unternehmen auf ihre unterschiedlichen Rezepturen hinweisen. Wenn die Rezepturen „deutlich“ voneinander abweichen. Ohne diesen Grad näher zu bestimmen. Das wird noch schwieriger, wenn die EU-Länder unterschiedliche Reformulierungsstrategien bei der Reduktion von Zucker, Salz und Fett umsetzen. Der Abschlussbericht stellt vorsorglich fest: Sofern Rezepturveränderungen im Rahmen der EU-Gesetzgebung liegen, sind sie im Rahmen der EU-Kommissions- Mitteilung C(2017) 6532 legal.
Lesestoff:
[1] Es kann nur ein Nutella geben: https://herd-und-hof.de/ernaehrung-/es-darf-nur-ein-nutella-geben.html
Roland Krieg