Dressings und Aromen aus Berlin

Handel

Ernährungsindustrie in Berlin

Mit den in dieser Woche veröffentlichten Zahlen über das Berliner Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent sind die Hauptstädter zufrieden. Wenn auch noch immer ein Viertel unter dem Bundesdurchschnitt von 2,5 Prozent, ist es immerhin schon das vierte Wachstumsjahr innerhalb der letzten elf Jahren. Das verarbeitende Gewerbe jedoch wächst mit 2,2 Prozent überdurchschnittlich, stellte gestern Berlins Wirtschaftssenator Harald Wolf auf einer Besichtigungstour in der Berliner Ernährungsindustrie fest.

Spezialisierung stärkt die Branche
Rund 11.000 Beschäftigte erzielen in der Berliner Ernährungsindustrie 11 Milliarden Euro Umsatz. Seit 2000 haben die Firmen jährlich mehr als 100 Millionen Euro in neue Anlagen und Maschinen investiert. Das entspricht einem Anteil von mehr als 10 Prozent der Berliner Gesamtinvestitionen im verarbeitenden Gewerbe. 2006 wurden mit 115 Mio. € sogar 11,9 Prozent Investitionsanteil erreicht.

Ernährungsindustrie in Berlin und Brandenburg

Berlin

Brandenburg

Beschäftigte

10.100

11.000

Betriebe > 50 MA
Betriebe > 20 MA

46
115

70
185

Exportquote

19 %

15 %

Umsatz Nov. 2007

9,2 Mrd. € (inkl. Tabak)

2,1 Mrd. €

nach: Wirtschaftsvereinigung der Ernährungsindustrie

Christian Amsinck, Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung der Ernährungsindustrie in Berlin und Brandenburg benennt auch die Gründe für den Erfolg: „Die Ernährungsindustrie in Berlin-Brandenburg ist eine innovative Branche mit hohem Spezialisierungsgrad, die im internationalen Wettbewerb steht.“ Gerade was Forschung und Entwicklung betrifft bieten Berlin und Brandenburg einen Standortvorteil. Zudem ist die Metropole Berlin ein guter Testmarkt für neue Produkte. Voraussetzung für den weiteren Erfolg ist aber die Bereitstellung von Industrieflächen für Erweiterungen. Sorgen bereiten der Wirtschaft die steigenden Rohstoff- und Energiepreise. Viele Berliner Unternehmen schlagen den hohen Wasserpreisen durch eigene Brunnen noch ein Schnippchen. Seit Januar 2008 müssen aber private Haushalte, die dem Anschlusszwang an die Berliner Wasserbetriebe auf gleiche Weise entgingen, die mittlerweile unausgelastete aber teure Infrastruktur nutzen. Noch können die wasserintensiven Betriebe auf eine Schonfrist hoffen.
Die Nutzungskonkurrenz zwischen den agrarischen Rohstoffen erhöht auch die Einkaufskosten. Realistisch schätzt Geschäftsführer der Spandauer Wild Flavors Berlin, Thomas Eller, die Situation ein. Er bezieht die Rohstoffe aus der ganzen Welt und versucht durch intelligentes Einkaufen und besseres Extrahieren, vorhandene Einsparpotenziale zu nutzen. Was dann nicht mehr geht, müsse über einen höheren Preis weitergegeben werden.
Thomas Eller benennt gegenüber Herd-und-Hof.de noch weitere Standortvorteile für Berlin. Mit Hamburg und Bremen liegen zwei Überseehäfen für die Einfuhr in guter Entfernung und in der anderen Richtung sind die Absatzmärkte im Osten nicht weit. Deswegen wird gerade im brandenburgischen Nauen ein neues Werk zur Fruchtaufbereitung hochgefahren.

Die Aromajäger
Produkte der Firma Wild verzehrt jeder täglich. Als weltweite Marke ist den meisten aber nur die Capri-Sonne ein Begriff. Doch hat Wild der Bonner Haribo vor vier Jahren auch den grünen Gummibär gerettet. Das Bärchen verlor nach dem Einfärben langsam seine Farbe, bis eine neue Rezeptur den grünen Kiwifarbstoff so weit stabilisiert hat, dass es auch in der Verpackung noch grün bleibt. Das Geheimnis sind die Zusammensetzungen, denn nur rund 40 Prozent der Farbstoffe und Aromen sind die eigentlichen Wirkstoffe. Den Rest bilden Emulsionen und Lösung.

FNTF-Aromen
Weil die industrielle Verarbeitung von Getränken und Fruchtprodukten die typischen Geruchs- und Geschmacksprofile beeinträchtigen können, werden Aromen vielfach den Produkten wieder zugesetzt. Wild nimmt während der Saison frische, außerhalb der Saison tiefgefrorene Früchte auf und gewinnt in einem mehrstufigen Prozess im Vakuum die Aromastoffe, die anschließend kalt konzentriert werden. Die Firma legt Wert auf die Natürlichkeit der Aromen, die auch in Bioprodukten zum Einsatz kommen. So beschreibt die Abkürzung FTNF (From the Named Fruit) dieses Qualitätsmerkmal. Vor der Verarbeitung alle nicht essbaren Teile abgetrennt,. So können die Aromen auch nach Vorgaben der Fruchtsaftverordnung eingesetzt werden.

Aromen sind bereits aus durchschnittlich 22 Komponenten zusammengesetzt und können im Einzelfall bis zu 140 Bestandteile haben.
Bis zu 120 Anfragen erreichen die Essenzerie in Spandau, wo acht Mitarbeiter mit der Entwicklung und Zusammensetzung des Aromas beschäftigt sind. Schließlich wird dem Kunden eine Testauswahl zusammen gestellt, aus der er sein Wunscharoma wählen kann.
Ein Barcode sorgt dann in der Produktion für die Auswahl aus über 400 Essenzen, die in Druckbehältern von 900 ml auf ihren Einsatz warten. Bis auf 0,004 Gramm genau werden die Aromen in die Rezeptur gemischt.
Neben Aromastoffen bietet Wild natürliche Lebensmittelfarben an. Nicht zuletzt, weil künstliche Farbstoffe durch neue Bewertungen vom Markt genommen werden müssen. Unternehmen bietet Wild ein breites Farbenspektrum als wasser- oder öllösliche Flüssigkeit und Pulver an. Auch Farbnuancen können entwickelt werden. Ein Kilo grüner Farbstoff aus Brennnesseln reicht für mehrere Tonnen Fruchtringe in der Süßwarenbranche. In 10 Tagen schafft Wild 350 kg Farbstoff.
Insgesamt stellt die Firma aus 15.000 Tonnen Früchten und Pflanzen im Jahr 1.400 Rohstoffe, 2.100 Zwischenprodukte und 3.100 Fertigprodukte her.

Kompetenzzentrum für Dressing
Einer der ältesten Nahrungsmittelhersteller der Welt ist die Firma Kühne, die 1722 in Berlin als Essigbrauerei gegründet wurde. Nach dem zweiten Weltkrieg ging der Sitz des Unternehmens nach Hamburg, weil Standorte im Osten verloren waren und sich Kühne auf die Fischerei und deren Belieferung mit Essig und Marinaden konzentrieren wollte. Der Standort Berlin blieb aber für die Essig und Sauerkonservenproduktion erhalten und soll in den nächsten Jahren zu einem Kompetenzzentrum für Saucen und Dressing ausgebaut werden, sagte Werksleiter Christian Keller: Sucht irgendjemand für seinen Salat oder Grill eine Lösung für das Dressing, dann soll er sich an das Berliner Kühne-Werk als Ansprechpartner erinnern.
Mit Dressing, Saucen, Mayonnaisen und Ketchup bedient Kühne neben dem Lebensmitteleinzelhandel auch Industrie (11 Prozent) und Systemgastronomie (14 %). Gerade der letzte Bereich boomt, weil die Deutschen immer öfter auswärts essen. Für die Systemgastronomie gibt es Würzsaucen in Zweilitergebinden und 5 kg-Schlauchbeutel. Jährlich verlassen 16.000 Tonnen Dressing und 7.000 t Waren für die Systemgastronomie das Werk im Wedding.
Angeliefert, gemischt und zubereitet wird in der zweiten Etage. Hier sind die Küchenrezepte in Kilogramm-Dimensionen ausgeführt. Gekocht wird im Erdgeschoss. 4.800 kg fasst ein „Kochtopf“, der in einer Steuerungsanlage auf Druck und Temperatur überwacht wird. 10 bis 12 Tonnen fährt die Gesamtanlage – je Stunde. Bis zu 20 Mal in der Woche wird das Rezept gewechselt, um die gesamte Angebotspalette bereit zu stellen.
Auf fast allen Bereichen im Feinkostgeschäft ist Kühne Marktführer. Mit 37,7 Prozent Marktanteil bei Rotkohl, 33,3 % bei Flüssigdressing oder mit 25,5 % bei Essig.
Wie stark der Markt in anderen Bereichen aufgeteilt ist, zeigen die Würzsaucen. Neun Prozent Marktanteil reichen hier noch für den zweiten Platz. Billigangebote gibt es bei den Discountern und schnell ist das Geschäft dahin. Der verregnete Sommer 2007 hat die Grillsaison einbrechen lassen. Dafür kann Kühne im Bereich der Systemgastronomie um 30 Prozent wachsen.
Wachsen wird auch das Betriebsgelände. Vor zwei Jahren drängelten sich morgens noch 40 Lkw zur Warenanlieferung in der einspurigen Provinzstraße. Kühne hat aber noch Gelände hinzukaufen können und bietet den Fahrern eine neue Anfahrt und den Bewohnern eine staufreie Straße. Dort wo die Lastwagen Leergut anliefern entsteht ein neuer Werksbereich. Bis zur Füllung der Flaschen braucht die Produktionsanlage höchstens zwei Stunden. Wegen der heißen Einfüllung müssen derzeit die täglich 65 Paletten Dressing noch im Lagerraum abkühlen. Zwei neue Kühltunnel aber sollen diesen Prozess auf 15 bis 20 Minuten verkürzen. So kann der Leergut-Lkw nach zwei Stunden gleich wieder frische Ware mitnehmen und Kühne spart sich den Lagerplatz.

Roland Krieg

Zurück