„Ein Prozent ist genug“
Handel
Wirtschaft in der Sackgasse
„Die wirtschaftliche Entwicklung ist weltweit noch schwach und die Volatilität der internationalen Finanzmärkte bedrohen den Weg aus der Krise. Einige Länder sind von steigender Arbeitslosigkeit gezeichnet. Geopolitische Entwicklungen, die Zahl der Flüchtlinge als auch Terrorismus und Konflikte bedrohen die wirtschaftliche Stabilität.“ So beginnt das Abschlusskommuniqué der G20-Länder, die sich Anfang September im chinesischen Hangzhou trafen. Wie vorgesehen [1] haben sich die Länder für einen Wandel der Wirtschaft ausgesprochen. „Inklusiv“ soll es werden: „Wir wollen sicher stellen, dass unser Wachstum allen Bedürfnissen dient, in allen Ländern wirkt und allen Menschen zu Gute kommt.“
Der Kreis hat sich geschlossen. „Wohlstand für Alle“ heißt das Buch, das Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard 1957 geschrieben hat und „Reichtum für Alle“ lautete das Motto der Linkspartei im Bundestagswahlkampf 2009. Gerechte Verteilung der Gewinne ist ein Bestreben von Gesellschaften, sobald die Schere von Arm und Reich zu weit auseinanderklafft. Seit der Umweltbewegung hat die sozioökonomische Umverteilung noch eine ökologische Dimension hinzugewonnen. 1972 warnte der Club of Rome vor den „Grenzen des Wachstums“.

Skepsis gegen den Markt
Der Markt regelt einiges besser als die Politik. Die Politik aber regelt manches Notwendige, was der Markt vernachlässigt. Sowohl im Manchester-Kapitalismus des 19. Jahrhunderts als auch im Staatsmonopolkapitalismus des 20. Jahrhundert gab es Fehlallokationen. Dem einen fehlte der soziale Ausgleich, dem anderen die Wirtschaftlichkeit. Seit der Begriff Nachhaltigkeit in die Wirtschaft eingezogen ist, werden Schwächen in der Ressourcennutzung wie sinkende Biodiversität, verschmutztes Wasser oder Raubbau endlicher Ressourcen wichtiger. Die Erkenntnis eines anthropogen verursachten Klimawandels hätte die Ökonomie auf einen Korrekturkurs schicken können. Doch die Globalisierung hält nicht inne und die Skepsis gegenüber dem Markt verdeutlicht sich in den Demonstrationen gegen TTIP und CETA.
Seit mehr als 40 Jahren versucht Jorgen Randers vom Club of Rome die Wirtschaft auf ein nachhaltiges Fundament zu stellen. Außer in kleinen Gruppen sowie grünen Parteien findet die Umsetzung allerdings kaum Widerhall, beklagte er in Berlin. Zusammen mit Graeme Maxton hat er deshalb ein Buch der Lösungen geschrieben und mit dem Titel „Ein Prozent ist genug“ die Umverteilung neu angestoßen.
„Ein Prozent ist genug“
„Die Ungleichheit in der Welt ist heute größer als im Jahr 1820“, sagte Maxton. In den letzten Jahrzehnten hat sich in den reichen Industrieländern „Wachstum“ als Lösung aller Probleme erneut etabliert. Doch Mechanisierung und Roboterisierung erhöhen eher die Arbeitslosigkeit, die eine weitere Herausforderung der Menschheit ist. Der Klimawandel und seine ökologische Auswirkungen zeigen, dass der eingeschlagene Weg eine „ökonomische Sackgasse“ ist.
Randers und Maxton geht es nicht um ein erneutes Aufzeigen, warum es einen Wandel geben muss; es geht den Autoren um das Aufzeigen von kurzfristigen Lösungen, die von der Politik sofort umgesetzt werden können. 13 sind es an der Zahl, die Wachstum neu definieren und dessen Grundlage die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ im Bundestag in Berlin bereits hoffähig gemacht hat [2].

„An der Weggabelung des Planeten“
Ob Bundessentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) das Buch vor seiner Rede gelesen hat? Auf jeden Fall bescheinigte er dem „Club of Rome seiner Zeit immer voraus“ zu sein. Die Menschheit stehe an einer Weggabelung und habe mit den Sustainable Development Goals und dem Klimavertrag in Paris, dem am Wochenende auch Brasilien beigetreten ist, die Zeichen erkannt. „Wir haben verstanden, was zu tun ist, damit wir nicht im Abgrund landen“, lobte der Minister die Vereinbarungen der Politik. Müller weiß, dass Wissen nicht gleich Handeln ist und weist richtigerweise über die internationalen Wertschöpfungsketten auch den Industrieländern Verantwortlichkeiten zu: „Wir verbrauchen 80 Prozent der Ressourcen und lassen die anderen zurück?“. Die Schere zwischen Arm und Reich müsse endlich geschlossen werden. Die Wirtschaft müsse in ihrem Wachstum vom Ressourcen- und Naturverbrauch entkoppelt werden. So will das nächste Zukunftsforum des Ministeriums sich um ein nachhaltiges globales Finanzsystem kümmern. Die Welthandelsorganisation WTO solle zu einer „Fairhandelsorganisation“ umgebaut werden.
Welche Maßnahmen?
Randers und Maxton betonen, dass die 13 Lösungen des Buches nicht für die Entwicklungsländer geschrieben sind, sondern die Politik in den Industrieländern kurzfristig ändern sollen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen seien keine Wunschliste, sondern realpolitisch umsetzbar. So sollen fossile Brennstoffe besteuert und die Mehrerlöse fair zwischen allen Bürgern verteilt werden. Arbeitnehmer, die in grüne Berufe gehen, sollen gefördert werden. Die Einkommenssteuer soll durch eine Verbrauchssteuer auf Ressourcen ersetzt werden. Die alternden Gesellschaften in den Industrieländern sollen Menschen, die zu Hause Pflegetätigkeiten ausüben fördern. Reiche und das Erbe sollen höher besteuert werden.
Am Vorabend der Berliner Abgeordnetenwahl geht es in dem Buch um nicht weniger als „Die Welt retten“. Die Weltgesellschaft habe ökonomisch so sehr aufs Gaspedal gedrückt, dass die Natur damit nicht mehr unbeschadet zurechtkommt, heißt es im vorletzten Kapitel. Die Autoren verkennen keineswegs die Fortschritte. Der ökologische Fußabdruck pro Kopf sei in den letzten 50 Jahren mehr oder weniger konstant geblieben. Aber, da die Weltbevölkerung gewachsen ist, hat die Ökobilanz aller Menschen die Grenzen des Planeten gesprengt. Die Folge ist ein Kollaps, den die Menschen in der reichen Welt spüren werden und der in der armen Welt bereits vorhanden ist. „Der Kollaps ist eingetreten, wenn ein erheblicher (über 50 Prozent) Verlust in Bereichen verzeichnet wird, die Bewohner der reichen Welt wertschätzen – Vermögen, Einkommen, Berufsaussichten, Gesundheit, Sicherheit; oder auch die Freiheit zu reisen, unberührte Natur zu genießen oder die eigene Meinung frei zu äußern.“
Geburtenkontrolle
Jorgen Randers (links im Bild) und Graeme Maxton haben auch ein äußerst kontroverses Thema in ihre Maßnahmen aufgenommen. Die Förderung kleiner Familien umschreibt das Tabu Geburtenkontrolle. Auch dieses Thema fokussieren sie auf die Industrieländer. Hier verbraucht jedes Kind ein Mehrfaches der Ressourcen, die ein Kind aus den Entwicklungsländern nutzt, erklärt Randers. In den armen Ländern verkleinert die Verbesserung des Gesundheitssystems die Familien. In den Industrieländern werde der Effekt kleinerer Familien durch die ältere Bevölkerung wieder ausgeglichen. So sollen, nach Randers und Maxton, Frauen, die mit 50 Jahren nicht mehr als ein Kind zur Welt gebracht haben, gefördert werden.

Maxton weiß, dass das Thema sehr kontrovers ist. Doch: „The population is too large!“. Randers hat in dem Buch auch zur Ein-Kind-Politik in China Stellung genommen: „Diese Politik ist zwar bis heute hochumstritten und sie hat unerwünschte soziale und wirtschaftliche Nebenwirkungen, ist aber dennoch eins der besten Beispiele dafür, wie eine Generation ein Opfer zugunsten künftiger Generationen bringt.“ Heute muss China den neuen Wohlstand nicht auf 1,7, sondern braucht ihn nur auf 1,3 Milliarden Menschen verteilen, sagte er in Berlin. Heute hat China den Familien zwei Kinder zugestanden.
Im Buch beschreiben die Autoren, dass in Europa die Zahl der Kinder pro Familie in den 1970er Jahren unter durchschnittlich 2,1 gefallen ist. Mit dieser Quote bleibt eine Bevölkerung stabil. Versuche, die heutige Quote von 1,3 zu steigern, habe lediglich in Norwegen mit hohen Fördergeldern Erfolg gehabt. So ungewöhnlich ist die Forderung also nicht. Randers und Maxton wollen mit ihr „zu einem neuen Denken anregen“ und betonen, dass die Menschen selbst ihre Entscheidung treffen. Mit dem Kapitel holen sie das Thema aus der Tabuzone heraus.
Gegen Radikalisierung
Aktuell sind es nicht nur die Linken und die Grünen, die gegen die Gesellschaft und ihre Ausrichtung aufstehen. Das Fass der Unzufriedenen verbirgt hinter Trump und AfD und deren offenen Ablehnung anderer Menschen ihre wirtschaftliche Angst, zu den Verlierern zu gehören. Die weiße Mittelschicht in den USA hat ihr Debakel in den Wohnwagensiedlungen bereits erlebt. Vergleichbare Ängste, ohne realen Hintergrund, grassieren derzeit in Deutschland.
Hinter diesen Radikalisierungen steckt die Wahrnehmung eines Politikversagens, erklärte Maxton. Das Buch will auch diesen Menschen Lösungen aufzeigen, wie sie gerechte Umverteilung in der ganzen Welt gegen Fluchtursachen umsetzen können.
Statt Mauern in den Köpfen zu bauen.
Lesestoff:
Jorgen Randers und Graeme Maxton: „Ein Prozent ist genug. Mit wenig Wachstum soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Klimawandel bekämpfen“. ISBN 978-3-86581-810-2-. 22,95. Auch als E-Book erhältlich www.clubofrome.org
[1] G20-Gipfel beginnt mit einem Erfolg
[2] Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität
Roland Krieg; Fotos: roRo