Energie: Unbekannte Wende
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Energie: Unbekannte Wende
Ein Windrad hier, eine Solarpaneele dort. Die Bauern finden mit den Kommunen neue Geschäftspartner für den Bau einer Biogasanlage, weil fossile Energieträger niemand mehr haben will. Jeder will die Treibhausgase reduzieren. Damit ist die Energiewende noch längst nicht fertig. Die Debatte um die Erhöhung der EEG-Umlage in dieser Woche ist eine Wiederholung aus dem letzten Jahr [1]. Die Energiewende wird normativ aufgeladen und die einzelnen Parteien tauschen „Lagerargumente“ aus. Doch die Energiewende im Ganzen ist damit alles andere als erfasst, beklagte Dr. Timothy Moss, Leiter der Forschungsabteilung „Institutionenwandel und regionale Gemeinschaftsgüter“ des Leibniz-Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS), dass am Mittwoch seine Jahrespressekonferenz in den Mittelpunkt der Energiewende stellte. Die Energiewende ist mehr als Kilowattstunde und Umlagepreis. Sie ist auch sozialwissenschaftlich zu untersuchen, weil es um die Menschen geht. Als beteiligte Akteure und Mitgerissene, die am Ende eine neue Landschaft vorfinden, die Zeche bezahlen oder eine neue Arbeitsstelle gefunden haben.
Energie für die gesellschaftliche Wende
Die Energiewende ist so umfassend, dass noch viele
Fragen offen. Die „Zeitasymmetrie“ zwischen Grundlagenforschung und „rasantem
politischen Handeln“, so Dr. Moss, wird derzeit eher größer. Zeit inne zu
halten, Ergebnisse zu reflektieren und in die politische Tagesarbeit „einspeisen
zu lassen“ gibt es kaum. Die sozial-ökonomischen Aspekte kommen zu kurz.
Doch sie sind tiefgreifend. Auf der Produktionsebene
stellt sich den zentralen Energieversorgern ein dezentrales Element entgegen.
Auf der Verbrauchsebene klagen die einen gegen hohe Preise, die anderen um eine
ungleiche Verteilung und auf der Regulierungsebene verfolgt die Bundesregierung
eine reine Energiepolitik, doch die Kommunen in den Bundesländern müssen ihren
eigenen Gestaltungsräumen folgen.
Daher muss die Energiewende Antworten finden, wie sie von
wem gesteuert wird und welche Auswirkungen die Umsetzungen auf den und im
ländlichen Raum haben. Das ist die Domäne der Sozialwissenschaften, die bislang
in der Energiewende noch keinen Platz gefunden hat.
Allein in Brandenburg haben sich 47 Bürgerinitiativen
gegen Windräder gebildet. Denen steht eine zunehmende Anzahl von Energiegenossenschaften
gegenüber, die sich aus der Energiewende vor Ort einen direkten Vorteil erhoffen
[2].
Bei der Energiewende geht es um Macht, um Materialität und
um Gemeinwohl.
Die vier Spannungsfelder
Obwohl die erneuerbaren Energien zum Mainstream geworden sind, bleibt die Frage nach ihrer Dezentralität noch immer ungelöst. Selbst regionale Inseln beginnen sich wegen der ungleichen Verteilung von Strom- und Wärmenutzung überregional zu vernetzen. Die Kommunen vor Ort sehen sich mit ganz anderen Problemen konfrontiert. Sie müssen die verschiedenen Politikfeder Tourismus, Landwirtschaft und ländlichen Raum austarieren und fühlen sich von der Bundesebene oftmals allein gelassen.
Die Energiewende ist vordergründig ein ländliches Thema, wo auch der Handlungsdruck steigt. Sind es die traditionellen Dorfeliten, die über die Energiewende die Weiterentwicklung des Dorfes vorantreiben oder sind es die Städte, die den technischen Fortschritt vorantreiben, weil sie mit Energieeffizienz und Gebäudesanierung die Energiewende auf der Nachfrageseite beeinflussen?
Demzufolge bietet sich eine neue Einteilung in Installations- und Gestaltungsräume an. Gibt es Regionen, die nur passiv ihre Energie geliefert bekommen oder wie sind die Menschen zu motivieren, die Gestaltung selbst in die Hand zu nehmen? Es gibt kaum Kriterien, die über Erfolg und Misserfolg von Energiegenossenschaften und Bürgerinitiativen entscheiden. Steckt hinter dem Argument „hoher Preis“ nicht doch die Ablehnung des Großinvestors oder heimischen Landwirts, der eine große Biogasanlage baut?
Räume typisieren sich in Produktions-, Durchleitungs- und Verbrauchsregionen. Bleibt das bestehen? Die Infrastruktur der fossilen Energieträger hat für Großkraftwerke in Bergbaunähe und bei Ballungszentren gesorgt. Jetzt muss der Offshore-Strom von der Nordsee bis an die Donau geleitet werden und führt an hessischen Gärten vorbei.
Aktuelle Forschungen
Ludger Gailing untersucht in einem Forschungsprojekt,
das noch bis Ende 2014 läuft, die Gemeinschaftsgutaspekte der Energiewende. Zum
einen blickt er auf der Region des Barnim, der sich nordöstlich von Berlin
befindet und in die Hauptstadt hineinreicht. Wird die Energiewende Stadt und Land
gleichermaßen Vorteile bringen und wie entwickelt sich das Verhältnis zueinander?
Die andere Region ist die Prignitz, wo Großinvestoren Windparks errichtet haben
und die Gewinne schon aus der Region abfließen.
In den nächsten Tagen wird ein Grundlagenpapier
veröffentlicht, das einen Blick auf den Strom als öffentliches Gut wirft.
Wind und Sonne sind öffentliche Güter, die Solarpaneele
auf dem Dach hingegen Privateigentum. Die großen Übertragungsnetzte erfüllen
die Aufgabe der Daseinsfürsorge des Staates, wie es bei der Wasser- und
Abwasserstruktur vergleichbar ist, erklärt Dr. Moss. Ähnlichkeiten sind da. Bei
der Abwasserversorgung wurde das Maß vor dem Hintergrund des demografischen
Wandels übererfüllt und belastet jetzt die Gemeinden. Diese Gefahr besteht auch
bei den überregionalen Energietrassen.
Die Ebenen Gemeinwohl und Privates verschieben sich
ineinander, ergänzte Ludger Gailing. Aus Sicht der Raumordnung sind private
Großwerke anders zu bewerten als Allmende-Systeme, bei denen
Energiegenossenschaften für sich und andere Energie erzeugen.
Erst im August 2013 begann das Projekt „EnerLOG“ von
Dr. Moss.
Hier geht es um die Lösung von
lokalpolitischen Konflikten durch neue Organisationsformen im Energiebereich“.
Am Ende soll ein Praxisleitfaden für die Konfliktlösung bereit stehen.
Forschung mitten drin
Die sozialwissenschaftlichen Aspekte des demografischen Wandel haben die Politik mittlerweile erreicht. In der Diskussion um die Energiewende sind sie noch nicht angekommen und gehen in den Streitdebatten unter. Doch so leicht wie jetzt findet sozialwissenschaftliche Forschung nicht immer Platz auf der Regierungsbank. Das IRS wirbt mit ausgezeichneten Post-Doc-Programmen in interdisziplinären Studien.
Lesestoff:
Das IRS finden sie mit seiner aktuellen Forschung unter www.irs-net.de
[2] In die Selbstversorgunginvestieren
Roland Krieg; Fotos: roRo