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Bundesregierung beschließt Strommarkt 2.0

Den inhaltlich größten Teil des Mittwochskabinett der Bundesregierung nahm das Thema Energie ein. Auf dem Plan standen zwei Gesetzesentwürfe, zur Weiterentwicklung des Strommarktes und der Digitalisierung der Energiewende, und eine Verordnung zur Regelung, Beschaffung und des Einsatzes einer Kapazitätsreserve.

Für Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel gleich „ein neues Kapitel für den Strommarkt der Zukunft. „Mit der heute beschlossenen Energierechtsreform schafft die Bundesregierung die Voraussetzungen für ein Marktmodell mit hoher Flexibilität und optimaler Einbindung der erneuerbaren Energien.“ Das Kabinett habe damit die Basis für die weitere Energiewende geschaffen.

Strommarkt 2.0

Das Weißbuch des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) konkretisiert die Grundsatzentscheidungen für den Strommarkt der Zukunft. Auf der Basis von Marktmechanismen werden freie Preisbildung und stärkere Flexibilisierung des Stromsystems festgelegt. Zudem förderten die Maßnahmen die Integration in den europäischen Binnenmarkt zu „den elektrisch verbundenen Nachbarn“.

Kapazitätsreserve

Ohne Energie da zu stehen macht Angst. Die Versorgungssicherheit hat einen besonders hohen Stellenwert, den das Kabinett mit einer Kapazitätsreserve begegnet. Diese Absicherung regelt, wie Braunkohlekraftwerke bis zur Abschaltung in die Reserve eingebunden werden. Sie kommen dann zum Einsatz, wenn trotz freier Preisbildung an der Strombörse kein ausreichendes Angebot zur Verfügung steht. Die Reservekapazität umfasst 4,4 GW und steht außerhalb des Marktes. Es heißt im BMWi aber auch, dass damit „ein ohnehin sicheres System noch sicherer“ gemacht werde. Die Reservekapazität hat auch eine Binnenmarktkomponente. Als grenzüberschreitender „Energiepool“ sorge dieser für Kosteneffizienz. „Denn die Nutzung grenzüberschreitender Kapazitäten ist viel kostengünstiger, als sämtliche Kapazitäten national vorzuhalten.“

Intelligente Netze

Digitale Systeme übernehmen die handwerkliche Bedienung von Knöpfen und Schaltern. Die Variabilität der Energienutzung und die diskontinuierliche Erzeugung durch Sonne und Wind, aber auch die Einsatzplanung können digitale Systeme viel effizienter regeln als der Strommanager am Lichtschalter. Daher erhalten Großkunden ab 10.000 Kilowattstunden Jahresverbrauch einen so genannten „Smart Meter“. Private Haushalte folgen 2020 verpflichtend ab 6.000 kWh Jahresverbrauch. Wer weniger verbraucht kann den Smart Meter freiwillig einbauen. Der Einbau soll möglichst kostengünstig für Verbraucher und Erzeuger verlaufen.

Der Einbau eines „Smart Meters“ führt zu erheblichem Datenverkehr, da das Gerät das Verbrauchsverhalten abbildet und personenbezogen äußerst sicherheitsrelevant ist. Jede digitale Kommunikation setzt deren Infrastruktur „zwangsläufig den Gefahren von Hacking-Angriffen“ aus, heißt es im Papier. Aus diesem Grunde musste im Gesetzentwurf ein umfangreiches Paket techischer Richtlinien und Schutzprofile des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) eingebaut werden.

Demnach ist die Datenerhebung ohne Zustimmung der Verbraucher erlaubt, sofern sie „für energiewirtschaftliche Zwecke erforderlich ist.“ Die Ableseintervalle sind so zu gestalten, dass keine Rückschlüsse auf das Nutzerverhalten gezogen werden können. Konkret dürfen die Daten, die viertelstündlich „vor Ort“ ermittelt werden bis 10.000 kWh Stromverbrauch pro Jahr nur einmal jährlich abgelesen und über das Gateway des Smart Meters übertragen werden. Allerdings gibt es auch Tarife, bei denen der Versorger öfters ablesen soll.

Die verschlüsselt gesendeten Daten sind anonymisiert und werden im Smart Meter vor Ort aufbereitet. Damit soll der Schutz der Privatsphäre Rechnung getragen werden. Beim Versorger werden die Daten nach Verrechnung gelöscht. Eine Speicherung erfolgt nicht. Mit Hilfe des Datenlogbuchs vor Ort sollen Berichtigung und Widersprüche gegen die Verrechnung leichter sein. Als weiteren Sicherheitsaspekt wird für den Datenverkehr eine Einbahnstraße hinterlegt. Alle Kommunikationswege gehen vom Gerät aus. Nur in begründeten Fällen kann der Messstellenbetreiber das Gerät in umgekehrter Richtung von außen ansteuern.

Kritik an der Kapazitätsreserve

Anfang Oktober hatte die Monopolkommission in ihrem Sondergutachten die geplante Kapazitätsreserve als ineffizient bezeichnet. Größe und Zeit der Reserve müssten eng begrenzt sein und die Einbindung von Braunkohlekraftwerken sei grundlegend falsch [1].

Letzteres teilt auch der BUND: Die „Kohlekraftwerksreserve versilbert alte Braunkohlemeiler“. Das sei ein „Goldener Handschlag für Alt-Kraftwerke“. Verbraucher müssten nicht nur sieben Gigawatt vorhandene Kraftwerkskapazität bezahlen, sondern zusätzlich 4,4 GW Kapazitätsreserve. Gerade die Braunkohlekraftwerke seien für eine Reservefunktion nicht ausgelegt. Im Vorfeld des Klimagipfels in Paris sei der Entwurf ein falsches Signal.

Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) knöpft sich die Braunkohle-Kapazitätsreserve vor. „Die Bundesregierung leistet Sterbehilfe für alte Braunkohlemeiler und hat sich für die teuerste Option beim Klimaschutz entschieden“, rügt Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. Die DUH rechnet vor: „Nach einer Vereinbarung zwischen dem Wirtschaftsministerium und den drei Energieerzeugern RWE, Mibrag und Vattenfall erhalten die Kraftwerksbetreiber für die Stilllegung alter Braunkohlekraftwerke eine vertraglich fixierte Entschädigung. Auf diese Weise sollen 12,5 Millionen der 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid vermieden werden, die der Stromsektor zusätzlich einsparen muss, um die Klimaschutzziele bis 2020 zu erreichen. Im Ende 2014 veröffentlichten Klimaschutzplan der Bundesregierung war für den gesamten Stromsektor eine Einsparung von 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid jährlich bis zum Jahre 2020 vorgesehen. Übrig geblieben ist die beschlossene Kapazitätsreserve, mit der nur 12,5 Millionen Kohlendioxid vermieden werden. Als Kompensation zahlen die Stromkunden den Besitzern der stillgelegten Kraftwerke insgesamt 1,6 Milliarden Euro. Umgerechnet auf die Tonne vermiedenes Kohlendioxid ergibt das einen Preis von 128 Euro pro Tonne. Aktuell liegt der Preis für Kohlendioxid -Zertifikate an der Börse bei 8,65 Euro.“

Weitere Kritik

Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) vermisst im Kabinettsbeschluss Inhalte aus dem Weißbuch. So fehle die stärkere Flexibilisierung der Regelenergie. Zur Weiterentwicklung des Strommarktes fehle grundsätzlich auch ein funktionierender Grünstrommarkt. Die Einführung des Smart Meters werde Verbraucher unnötig belasten. Die angedachte Sicherheitsarchitektur bei der Datenübertragung lasse viele Fragen offen. Der Der BEE sieht bei Kunden, die weniger als 20.000 kWh Strom pro Jahr verbrauchen, „keinen dauerhaften Nutzen für einen Smart Meter“.

Lesestoff:

www.bmwi.de

[1] Sondergutachten Energiemärkte der Monopolkommission

Roland Krie; Fotos: roRo

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