„Energiepolitische Ahnungslosigkeit“

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Wir legen eine Schippe (Kohle?) drauf!

Auf Antrag von Bündnis 90/Die Grünen debattierte der Bundestag am Donnerstag in einer aktuellen Stunde zum Thema Klimapolitik und Kohlekraftwerke. Da einen Tag vorher der 51 Seiten umfassende Entwurf für das „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“ aus dem Bundesumweltministerium vom BUND veröffentlicht wurde [1], dessen Endfassung im Kabinett am 03. Dezember geplant ist, können die Wähler inhaltlich nachvollziehen, was geschrieben steht und was nicht. Deshalb wurde die Aktuelle Stunde aber nicht langweilig. Einen wirklichen Schlagabtausch lieferten sich Dirk Becker, der seit 2005 für die SPD im Bundestag sitzt, und Annalena Baerbock, die für die Bündnisgrünen ihr erstes Bundestagsjahr absolviert.

„Energiepolitische Ahnungslosigkeit“

Becker empfindet die ständigen Angriffe der Grünen und Linken als „populistisch“ und forderte engagiert und wütend von der Opposition, endlich einmal klar darzulegen, welche Kraftwerkskapazitäten an welchen Standorten bis wann abgeschaltet werden sollen. Das aber sei ihnen zu kompliziert und warf den beiden Fraktionen „energiepolitische Ahnungslosigkeit“ vor. Man müsse zur Kenntnis nehmen, dass mittlerweile auch KWK-Anlagen wegen Unwirtschaftlichkeit vor der Abschaltung stünden.

„Sie wissen es eigentlich besser“, erwiderte Baerbock. Die Überkapazitäten, von denen 32 TWh exportiert werden, stammten nicht von den Windkraftwerken, sondern vor allem aus der Kohleverstromung. Die Braunkohle verstopfe die Netze in Polen und Tschechien und wegen ihr werden die Windräder abgeschaltet. Die Grünen haben vor der Sommerpause Instrumente wie CO2-Grenzwerte vorgeschlagen, mit denen die Energiewende in Schwung kommen soll. Doch warte die Regierung „auf die Reform des ETS, die irgendwie vom Himmel fallen“ soll.

Eine Schippe mehr

Weil weder Bundesumweltministerin Barbara Hendricks als Autorin des Klimapaketes noch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel an der Debatte teilnahmen, durfte der Unionspolitiker Andreas Jung das veröffentlichte Papier verteidigen. „Wir werden noch eine Schippe drauflegen“, sagt er und verwies auf die Vollständigkeit des Programmes. Die steuerliche Förderung bei der Gebäudesanierung steht genauso drin wie die Energieeffizienz. „Wir wollen die Trendwende beim CO2-Ausstoß“, die mit der Reform des Zertifikathandels gelingen soll.

Es bleibt allerdings die Frage, wie mit den Kohlekraftwerken umgegangen wird. Oliver Krischer (Bündnis 90/Die Grünen) verweist auf Unstimmigkeiten zwischen Umwelt- und Wirtschaftsministerium. Die Kohlekraftwerke aus den Zeiten Ludwig Erhards verhindern moderne Gaskraftwerke. Das sei genauso wenig eine Energiewende wie das fehlende Programm für die Realisierung von einer Million Elektrofahrzeuge, die 2025 auf den deutschen Straßen fahren sollen [2].

Wende oder wenden lassen?

Die Koalitionspolitiker setzen auf die marktwirtschaftliche Energiewende wie beim ETS (Hubertus Heil, SPD) und auf Maßnahmen, die nicht auf Zwang und Verbote setzen, sondern Anreize geben (Dr. Anja Weißgerber, CSU). Die energiepolitische Sprecherin der Linken, Eva Bulling-Schröter, sieht die Koalition bereits im Fahrwasser des ehemaligen Wirtschaftsministers Philipp Rösler schwimmen. Ihr Parteikollege Hubertus Zdebel weiß auch, was bei der aktuellen Klimapolitik „hier wirklich gespielt wird“: Weil die Aktienkurse der Energiekonzerne RWE und EON in den Keller sinken, unternehme die Koalition „lebensverlängernde Maßnahmen für eine sterbende Branche auf Kosten der Allgemeinheit“. Die Energiekonzerne seien „systemrelevant“ geworden. Die Energiewende müsse sich gegen diese Strukturen durchsetzen.

Kohleflecken auf allen Westen

Doch niemand hat eine reine Weste. Anja Weißgerber zeigt auf die Grünen, die sich im Bundesrat lange gegen die steuerlich absetzbare Gebäudesanierung gewehrt haben [3]. „Bitte bewegt euch“, appellierte sie. Auch Dr. Matthias Miersch (SPD) hat einen Zeigefinger parat: Sowohl die Grünen in NRW als auch die Linken in Brandenburg haben sich bislang wegen ungelöster Strukturfragen für einen langsamen Kohleausstieg in ihren Bundesländern eingesetzt.

Er bittet, die Opposition auf den 03. Dezember zu warten, wenn das Papier endgültig für die Diskussion frei gegeben wird. Ein „wirkliches Klimaprogramm“ erwartet dann auch Oliver Krischer.

Lücken im Programm

Der BUND hat in seiner ersten Stellungnahme die Lücken des Programms aufgezeigt. Klimaexpertin Antje von Broock bemängelt Fehlstellen im Energie-, Verkehrs- und Agrarsektor. Um die Reduktion der Treibhausgase um 40 Prozent tatsächlich zu erreichen „muss der deutsche Energiemix viel weniger Kohlestrom enthalten als derzeit.“ Wünschenswert wäre auch die Steichung von Subventionen bei der Diesel-Befreiung, der Mehrwegsteuerbefreiung internationaler Flüge sowie des Dienstwagenprivilegs. Auf seiner Internetseite hat der BUND ein eigenes Klimaaktionspapier veröffentlicht www.bund.net .

Ein Drittel der CO2-Emissionen Deutschlands stamme aus der Kohleverstromung. Der dringend erforderliche schrittweise Ausstieg aus der Kohleverstromung sei mit einem Gesetz zum Abschalten der ältesten Braunkohlemeiler besonders wirksam zu bewerkstelligen. Neben der nötigen Minderung der CO2-Emissionen werde ein solches Gesetz außerdem moderne Gaskraftwerke wettbewerbsfähiger machen, die für eine Übergangszeit bei der Energiewende erforderlich seien.

Pro Braunkohle

Vattenfall wird zwar aus der Braunkohle aussteigen, hat aber am Montag noch ein selbst geführtes Interview lanciert, warum die Braunkohle zur Energiewende passe. Die Gefahr von Stromausfällen sei gering. Aber es gebe ein Problem, weil es mehr Strom als Netzkapazitäten gibt: „Bildlich gesprochen, will dann zu viel Strom durch zu enge Netze. Um diesen Stromstau aufzulösen, muss einer Platz machen.“ Alternativen für Braunkohle sieht Vattenfall nur in Steinkohle oder Erdgas, was „jedoch zu deutlich höheren Stromerzeugungskosten für das System und letztlich für die Endverbraucher führt“. Lediglich Braunkohle sei in der Lage, Grundlast sicher zu stellen [4].

Der Wirtschaftsrat der CDU hält eine „Zwangsabschaltung“ von Kohlekraftwerken für „ein gefährliches Signal an alle Investoren. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat Recht, wenn er die Umweltministerin und offensichtlich auch Teile seines eigenen Hauses zur Ordnung ruft.“ Gabriel bleibe selbst aber auch inkonsequent, wenn die Exportfinanzierung von Kohlekraftwerken streicht. Weil die ausländischen Kohlekraftwerke „mit Sicherheit nicht weniger“ Kohlendioxid ausstoßen werden.

Schnelles Handeln

Das Deutsche Klima Konsortium hatte ebenfalls am Donnerstag zu einem Gespräch eingeladen, um auf die bevorstehende Klimakonferenz in Lima hinzuweisen. Für Lima und Paris werden große und nicht kleine Schritte erwartet, um innerhalb der Zwei-Grad-Grenze zu bleiben. Prof. Dr. Ottmar Edenhofer vom Potsdam Institut für Klimafolgeforschung zeigte die Bedeutung der Treibhausgasreduktionen auf. Die klare Botschaft der Wissenschaft laute: Um einen gefährlichen Eingriff in das Klimasystem zu vermeiden, müssen wir den Pfad „Business as Usual“ verlassen. Doch BIP und steigende Bevölkerungszahlen führen zu einem Anstieg der Treibhausgase. „Der Dekarbonisierungstrend kehrt sich um.“ Vor allem sinke die Rente auf fossile Energieträger, je ehrgeiziger die Klimaziele sind.

Lesestoff:

[1] Verschaffen Sie sich ein detailliertes und eigenes Bild über die Klimapläne der Bundesregierung [PDF]: „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“

[2] Der Bundesrat hat in seiner letzten Sitzung das Programm für Elektrofahrzeuge als unzureichend bezeichnet

[3] Aus für die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung

Traditioneller Gegenwind bei Gabriels Kohlepolitik

[4] Braunkohletagebaue verhindern die Klimaziele

www.deutsches-klima-konsortium.de

Roland Krieg

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