Energiewende als Chance begreifen
Handel
Energietage der Fraunhofer-Gesellschaft
Zu fast jeder Frage innerhalb der Energiewende gibt es mindestens eine technische Lösung. Forschung und Entwicklung erweitern die Alternativen und ein Netzwerk zwischen Wissenschaft und Wirtschaft bringen sie auf den Markt. Vor allem bei den kleinen und mittleren Unternehmen, die außerhalb des Tagwerks nur wenige Kapazitäten erübrigen können. Der Blick auf die Entscheidungsgremien der Energiewende, Ausschüsse und Bundestag, lassen davon kaum etwas erahnen. Öffentlichkeitswirksam wird die Energiewende als Kostentreiber und Wachstumshindernis abgestempelt und überwiegend werden nur exportorientierte Wertschöpfungsketten vor angeblichen Bürden geschützt. Der Mittelstand und seine Nöte sowie die Chancen werden kaum kommuniziert. Daher legen seit Mittwoch die 3. Energietage der Fraunhofer-Gesellschaft in Berlin den Fokus auf Energieeffizienz für den Mittelstand und begreifen das als Chance für die Wirtschaft des Landes – auch international.
Energie-Allianz
Mit 67 Instituten bietet die Fraunhofer-Gesellschaft maßgeschneiderte Lösungen für den Mittelstand nach Vorbild des Schweizer Netzwerks. Deutschland hat im Bereich der Energiewende viel erreicht und sollte den Vorsprung in der Technik international nicht verspielen, warnte Prof. Dr. Eicke Weber, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg. Die Tagung widmet sich der Stabilität von Energiepreisen, dem Strommix, der Integration erneuerbarer Energien in den Strommarkt sowie Netzausbau und Speicher [1]. Für Prof. Dr. Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, werden die Chancen derzeit zu wenig in den Vordergrund gestellt: Da wären Mehrwerte für die Bereiche Produktion und Prozesse, die Erschließung neuer Märkte und Energieunabhängigkeit zu nennen. Neu in der aktuellen Hightech-Strategie der Bundesregierung sind die gesellschaftlichen und sozialen Anforderungen der Energiewende, da die Akzeptanzthematik beim Faktor Mensch-Maschine oder Auswirkungen auf die Gesellschaft durch neue Energien bearbeitet werden muss. So wird Kohlendoxid nicht nur in Deutschland, sondern für Länder, die länger auf Kohle als Energiequelle setzen müssen, die Erschließung als Rohstoff ein wichtiger Part sein. Deutschland könnte hier Vorarbeit für Schwellen- und Entwicklungsländer leisten.
Wirtschaft sind alle
Meist stehen exportorientierte Konzerne im Fokus der Energiedebatte. Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) vertritt auch 290.00 Unternehmen und drei Millionen Beschäftigte. Vorstand Dr. Jochen Leonhardt erläutert, dass bereits 41 Prozent der Unternehmen in Energieeffizienz investiert haben und neun Prozent das in den beiden nächsten Jahren vorhaben. Für die anderen ist die Rentabilität allerdings unklar definiert und sie reagieren verhalten. Der BVMW fordert daher eine größere Transparenz bei Fördermitteln und Beratungsangeboten. Dann würden für Investitionen in die Energiewende Anreize statt Ordnungsrecht ausreichen.
Strukturell sind die kleinen Betriebe benachteiligt. Oft hat der Energieverantwortliche keinen Einfluss auf die Beschaffung von Produktionsanlagen, beklagt Prof. Weber. Netzwerke sollen Informationsbarrieren überwinden. Bis 2020 sollen rund 500 Netzwerke entstehen und eine Milliarde Euro an Energiekosten einsparen. Die Analyse aus 360 bestehenden Netzwerken habe bereits eine interne Verzinsung von 30 Prozent ergeben. Pro Betrieb wurden nach vier Jahren durchschnittlich 180.000 Euro Energiekosten eingespart. „Die Energieeffizienz ist der ungehobene Schatz der Energiewende“, unterstreicht Weber. Selbstlernende Effizienznetzwerke sind der letzte Schrei.
In Zusammenarbeit mit einer Firma für technische Keramik und Kunststoff-Formteile haben die Fraunhofer-Forscher neue Systeme zur Energiemessung an den Maschinen entwickelt, die gezielt nachgerüstet werden konnten. Im Zusammenspiel mit eigenem Strom konnte ein intelligentes Lastsystem aufgebaut werden.
Zu wenig Revolution
Der Politik hingegen fehle eine klare strategische Ausrichtung, weswegen die Energiewende so zögerlich daherkommt. China hingegen habe klar signalisiert, dass Solarstrom strategisch für das Land wichtig ist und die Entwicklung finanziell unterfüttert. Deshalb haben sie die Markt- und Kostenführerschaft bei Solaranlagen übernommen. Ähnlich geht China derzeit auch bei der Elektromobilität hervor. Leonhardt fordert eine bessere Industriestrategie. Neugebauer weiß aber auch, warum Deutschland so zögerlich wirkt. Es gebe zwar weltweit die meisten „Hidden Champions“ im Bereich der Energiewende, aber Deutschland bevorzuge von der Mentalität her eine Evolution auf stabilem Fundament: „Wir springen nicht von einem wippenden Ast zum nächsten!“. Die Absage an risikofreudiger Investition muss nicht zwangsläufig schlecht sein. Das Sicherheitsdenken habe zur Technologieführerschaft im Bereich er Nachhaltigkeit in der Welt geführt. Aber zwischen den Worten, ist der Wunsch nach mehr Risiko herauszuhören.
Veränderungen
Das schließt die Energieversorger mit ein. Wissenschaftler und Energiekonsumenten sind sich beim Thema Effizienz einig: Es geht darum, so wenig Strom wie möglich zu verbrauchen. Das Geschäftsmodell der Energieversorger jedoch basiert auf der Idee so viel Strom wie möglich zu verkaufen. Nur langsam bewegen sich die Energieriesen um. Sie und die Stadtwerke müssen in die Energiedienstleistung einsteigen: Dazu gehören neben der Erzeugung neuer Energien, das Contracting für den Bau mit Bürgergenossenschaften und Beratungsdienstleistungen.
Am Mittwoch hat die Bundesnetzagentur die Ergebnisse der ersten Ausschreibung für Photovoltaik-Anlagen veröffentlicht. 170 Gebote für das Pilotprojekt Ausschreibung sind eingegangen. Durchschnittlich wurden 6,3 MW für 9,17 Cent je kWh bezuschlagt. Eigentlich eine Enttäuschung. Der Preis liegt nicht unterhalb der festen Einspeisevergütung. Prof. Weber ist davon nicht überrascht. Insgesamt werden nur 100 MW ausgeschrieben. Das ist viel zu wenig, um einen echten alternativen Marktpreis zu ermitteln. Das spreche nicht für die Beibehaltung der Einspeisevergütung, aber erneut mehr für die Zögerlichkeit der Energiewende-Politik. Ein bisschen Energiewende reicht halt nicht.
Lesestoff:
Roland Krieg