Energiewende zwischen Top Down und Anarchie

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Die gesellschaftliche Sicht auf die Energiewende

Früher gab es ein Oligopol von Energiekonzernen und der Strom kam aus der Steckdose. Zwar haben die Ölkrisen der 1970er Jahre den Begriff der Energiewende geprägt, aber außer einzelnen Personen hat sich nie jemand ernsthaft um Solarkollektoren, Windräder oder Biogasanlagen gekümmert. Erst der Klimawandel und die Erkenntnis der Endlichkeit fossiler Energiereserven hat Schwung in die Energiewende gebracht. Schnell wurde dabei ein gesellschaftliches Gegenbild mit entworfen: Bürger und Kommunen decken ihren Strom- und Wärmebedarf aus der Nachbarschaft. Die Energiewende wurde dezentral und basisdemokratisch mit der Auflösung des Energieoligopols verbunden angelegt. Möglicherweise ein gesellschaftspolitisches Missverständnis, dass die Energiewende mit der Demokratisierung der Energiewende gleich gesetzt wurde. So lautete am Mittwochabend ein Kommentar in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften zum Thema Energiewende und Gesellschaft. Zur Diskussion eingeladen hatte die Humboldt Universität Berlin.

Neue Begeisterung…

Dr. Antje Bruns von der HU Berlin blickte auf die Geschichte der Energiefragen in Deutschland zurück. Die Ölkrisen und ansteigenden Emissionen von Treibhausgasen erschlaffen als Motivation für die aktive Begeisterung in der Gesellschaft. Trotz Zunahme des Wissens über neue Energien und Klimawandel. „Daher“, so Dr. Bruns, „reiche es nicht, dass wir uns auf einen ausschließlich erfolgreichen Weg befinden. Wir brauchen neue Dynamiken.“ Zum Mitreißen, zur Teilhabe, zur Partizipation an der Energiewende. Wie beispielsweise die Bürgerenergiegenossenschaften [1].

… and alte Sensibilitäten

Der Blick aufs Land aber zeigt, dass die Begeisterung ihre Grenzen hat. Allein in Brandenburg gibt es mehr als 70 Bürgerinitiativen gegen Windräder. Der Streit findet aber nicht nur auf der Bürgerebene statt. Nach dem Prinzip „Not in my backyard“ beharken sich auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Seehofer will statt der dritten Trasse durch seinen Freistaat lieber Gaskraftwerke bauen. Gabriel hingegen hält am aktuellen Netzplan fest.

Zu kurz gesprungen

So diskursiv die Eingangsthese zur Energiewende gemeint war, so leicht fällt sie auch zusammen. Die Energiewende ist technisch früher oder später lösbar, meinte Georg Schütte, Staatssekretär im Bundesforschungsministerium. Sie bestehe aber auch aus sozialen, rechtlichen und politischen Aspekten, die andere Zeithorizonte benötigen. Unterstützt wird er von Dr. Jan-Ulrich Olbertz, Präsident der HU Berlin. Die Energiewende hat einen philosophischen Teil-Charakter. Es gehe nicht nur darum, ein bald leeres Ölfass mit etwas Neuem zu füllen. Die Energiewende müsse in den Köpfen der Menschen stattfinden. Auch Dr. Udo Niehage von der Energiesparte Siemens glaubt nicht, dass Technik alleine die Probleme löse. „Es ist deutlich mehr“. Für Niehage sind Wahlperioden und der Föderalismus die größten Herausforderungen für die stabile Umsetzung der Wendepläne.

Deutschlands Abkürzung

Dr. Wolf Spieth gehört der Low Carbon Group der Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer an. Während andere Länder noch Übergansphasen für Kernkraftwerke einplanen, wird nach Willen der Bundesregierung 2022 das letzte AKW abgeschaltet. Bis dahin müssen sieben Gigawatt Energieersatz zur Verfügung stehen, mahnt Spieth.

Die Energiewende stand nach Sigmar Gabriel vor dem Aus. Nicht nur wegen der Kosten, sondern auch wegen des drohenden Verfahrens wegen verbotener Beihilfe über das EEG. Die Reform und die Einigung mit der EU auf das EEG 2014 wäre demnach eine „Atempause des Scheiterns", so Spieth: "Ein Meisterstück der Regierung." Die grundlegenden Probleme wie Netzausbau und Grundlast seien jedoch weiterhin ungelöst.

Deutschland hat in dieser Woche das EEG 2012 vor den Europäischen Gerichtshof gebracht. Es geht dabei um die Einstellung der EU-Kommission, es sei eine verbotene Beihilfe gewesen. Die Klage habe nach Spieth eine „klarstellende Funktion“, ob das alte EEG12 wirklich eine verbotene Beihilfe sei – zwar gewesen ist, aber bei positivem Bescheid nicht mehr so verstaubt in der Ecke liegen muss.

Deutschlands Atom-Abkürzung hat Tatsachen geschaffen. Der Strom wird im Norden erzeugt und im Süden verbraucht. Es gibt also kaum eine Alternative zum Trassenplan. Nach Anwalt Spieth stellen sich daher viele neue Fragen im privaten Bereich.

Top down?

Georg Schütte sieht das auch. Aber eine Direktive von oben lehnt der Politiker ab. Schon unter dem Eindruck Fukushimas habe sich der bürgerliche Unwillen aus den 1980er Jahren gegen die Kernkraft über die Politik zum Atomausstieg verdichtet, interpretiert Schütte. Eine Trassen-Verordnung mit Grundstücksenteignungen sei nicht der rechte Weg. Vielmehr müsse die Gesellschaft das Hinterfragen der Ziele über rechtliche Grundbedingungen ertragen. Mit Blick auf Seehofers Widerstand gegen die dritte Trasse lächelte Schütte: „Schau´n mer mal.“

Ein Top down könne es allein aus finanzieller Sicht nicht geben. Deutschland braucht rund 700 TW Energie im Jahr. 500 TW sind für die Wärme nötig. Technische Einsparpotenziale können den Bedarf insgesamt um 200 TW reduzieren. Die dafür benötigten Investitionen bezifferte Dr. Niehage auf 80 bis 100 Milliarden Euro. Die müssen aus dem Privatsektor stammen, weil sie sonst kaum ein anderer stemmen könne. Doch die Industrie hat ein Problem. Sie hat eine fixe Kreditlinie für Investitionen. Mögliche Ausgaben konkurrieren für Innovationen, Expansion und Wettbewerb. Energieffizienz dränge sich zusätzlich dazu. Dieses Hemmnis spiele eine größere Rolle als die Höhe des Strompreises in Deutschland.

Global erfolgreich

Die Welt schaut auf die Energiewende in Deutschland als exportorientiertes Industrieland. Alle warten auf ein Signal des Gelingens. Aber, so Niehage, die Energiewende werde keine deutsche bleiben können, sollen die Ziele gelöst werden: „Die Energiewende kann nur global erfolgreich sein.“

Wie kleinteilig kann also die Energiewende sein? Für Bürgerbeteiligungen gibt es nach Spieth erfolgreiche und gescheiterte Beispiele. Die Rekommunalisierung wäre nur über eine Enteignung mit Entschädigung möglich. Ohne privates Kapital seien die Investitionen nicht zu stemmen.

Antje Bruns plädiert für eine „partizipatorische Forschung“. Möglichst viele gesellschaftliche Gruppen sollten sich an der Energiewende beteiligen. Die Wissenschaft wird sie begleiten. Für Dr. Olbertz müsse der Föderalismus erweitert werden: Die Bundesländer müssten für die Umsetzung gemeinschaftlicher Aufgaben verpflichtet werden.

Lesestoff:

[1] Mehr als 200.000 Menschen engagieren sich in über 800 beim Genossenschaftsverband registrierten Energiegenossenschaften. www.genossenschaften.de/bundesgesch-ftsstelle-energiegenossenschaften

Energiewende: Die unbekannte Wende

Roland Krieg

[zuletzt geändert: 22. Januar]

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