Entwicklung braucht Zivilgesellschaft
Handel
Atlas der Zivilgesellschaft
Wer keinen Zugang zu Land hat und keine Kredite erhält, kann seinen landwirtschaftlichen Betrieb nicht erweitern; der hungert, wie die Hälfte der Hungernden als Bauern auf dem Land. Was wäre die so genannte „Arabellion“ ohne den Mut Einzelner und der Zivilgesellschaft gewesen? Wenn der einzelne bei seinen Wünschen scheitert kann eine Gruppe mehr erreichen. Zumindest in Demokratien, wie der Bundesrepublik Deutschland. Die Rechte mit ihrer Kritik an der deutschen Demokratie sollte aufhorchen und die „Insel der Glückseligen“ einmal würdigen. Denn: So hat Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für die Welt, bei der erstmaligen Vorstellung des „Atlas der Zivilbevölkerung“ die Bundesrepublik benannt. Und mit Zahlen hinterlegt: Nur zwei Prozent der Weltbevölkerung leben in Staaten, in denen sie ihre Grundrechte auf Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit uneingeschränkt ausüben können. Mehr als die Hälfte davon lebt allein in Deutschland!“.
Die Geschichte des „Atlas der Zivilgesellschaft“
Zivilgesellschaftliche Akteure haben 1993 die Weltallianz der Zivilgesellschaften CIVICUS gegründet. Nach dem Ende des bipolaren Kalten Krieges zwischen Ost und West erlebte die Welt einen Aufschwung an Demokratien und Zivilgesellschaften, die ihre Menschenrechte in die eigene Hand nahmen, erklärte Dr. Julia Duchrow gegenüber Herd-und-Hof.de. Während die Politik noch nach einer neuen Weltordnung suchte, neigten sich die Militärdiktaturen in Lateinamerika dem Ende entgegen und trotz mancher repressiver Staaten war das „ein Momentum des Aufwachens der Gesellschaft“, blickte die Leiterin des Referats Menschenrechte und Frieden bei Brot für die Welt zurück. 1993 war das wichtige Datum, weil die Menschenrechtskonferenz nach Ende der Blockbildung die Unteilbarkeit der Menschenrechte umsetzen, Frauenrechte stärken konnte und die Rechte in der UN-Resolution A/Res/48/121 zu einem internationalen Anliegen machte [1].
Heute ist die Situation jedoch deutlich schwieriger geworden. Forschungsleiter Cathal Gilbert von CIVICUS berichtet von der Verengung der Spielräume für die Zivilgesellschaft und auf allen Kontinenten. Auch innerhalb der EU. Der Atlas basiert auf einem Monitoring von 20 zivilgesellschaftlichen Organisationen weltweit und hat die Kategorien „offen“, „verengt“, „gestört“, „unterdrückt“ und „nicht vorhanden“ gebildet. In diesem Jahr feiern die Menschenrechte ihr 70-jähriges Jubiläum, und neben Deutschland gehören nur weitere 21 Staaten wie Neuseeland oder Schweden zu den „offenen Ländern“. In 21 Staaten ist der Raum für die Zivilgesellschaft komplett geschlossen. Wie in Bahrain, dem Iran oder Vietnam.
Zivilgesellschaften in Autokratien
Jörg Wischermann hat im Focus Nummer 6/2015 vom Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA in Hamburg) die Zivilgesellschaften in Autokratien als Akteure des Wandels beleuchtet. Spätestens seit Ende der Arabellion ist weltweit eine Ernüchterung eingetreten. Die Zivilgesellschaft versammelt Nichtregierungsorganisationen, berufsständische und glaubensbasierte Organisationen. In Autokratien setzt der Staat seine Macht zur Kontrolle der Zivilgesellschaft ein und strebt nach einer Neutralisierung fachlich versierter gesellschaftlicher Gruppen. Damit lenkt er Diskurse über Rechte der Frauen, Zugang zu Land und sexueller Orientierung [2].
Füllkrug-Weitzel berichtet von Einschränkungen der Hilfe von Brot für die Welt. Konten der regionalen Hilfspartner werden für Hilfsgelder geschlossen, sie dürfen nur einen bestimmten Anteil an ausländischer Finanzhilfe erhalten oder die Organisationen müssen sich alle zwei Jahre aufwendig neu registrieren lassen. Im schlimmsten Falle werden sie geschlossen, die Mitarbeiter bedroht und ermordet.
Freiheit und Entwicklung
Dabei zeigt sich, dass Länder mit einer offenen Zivilgesellschaft einen höheren Entwicklungsstatus aufweisen, erklärt Füllkrug-Weitzel. Umgekehrt zeigen die Länder ohne Beteiligung der Zivilgesellschaft Wohlstand nur noch bei einzelnen Personen. Beispiel Tschad: Die Einnahmen aus dem Verkauf von Erdöl haben im letzten Jahr 13 Milliarden Euro in die Landeskasse gebracht, doch der Staat gehört zu den drei ärmsten Ländern der Welt.
„Aid for Trade“ ist also nicht von der Hand zu weisen, obwohl der Welthandel oftmals kritisiert wird. Doch er muss inklusiv sein. „Natürlich fordern wir eine Handelspolitik, die sich an der Menschenrechtspolitik orientiert“, führt Julia Duchrow weiter aus. „Die Handelspolitik ist ganz stark unter der Menschenrechtspolitik zu bewerten.“ Nur eine aktive und starke Zivilgesellschaft kann auch für faire Bedingungen im Handel führen.
Mittlerweile hat sich der Süd-Süd-Handel gestärkt und mit China und Indien treten zwei wirtschaftliche Schwergewichte auf, die ihrerseits mit anderen Staaten Abkommen erzielen. Doch, so zeigt der Weltatlas, beide Länder exportieren ihre Ablehnung von Demokratie und Menschenrechte in kleinere und ärmere autoritäre Staaten. CIVICUS und Brot für die Welt fürchten im globalen Wettlauf um immer rarer werdende Ressourcen eine Abwärtsspirale bei den Zivilgesellschaften.
Die EU muss dabei ihre Hausaufgaben machen. Nicht nur bei den eigenen Handelsabkommen, bei denen die Bundesrepublik ihren Einfluss geltend machen soll, sondern auch im eigenen Haus. Cathal Gilbert erwähnt nicht nur Ungarn und Polen als zunehmend engere Gesellschaften, sondern auch Österreich, wo schon vor der letzten Wahl eine Einschränkung der Meinungsfreiheit stattgefunden habe. Die Abstufungen zwischen offener und geschlossener Gesellschaft sind vielschichtig.
Entwicklungshilfe
Die Agenda 2030 beinhaltet klare Vorgaben. Bildung und volle Teller sowie Zugang zu Energie soll für alle gleichermaßen gelten. Das setzt eine starke Zivilgesellschaft voraus, wie sie im Ziel 16 genannt ist: „Friedliche und inklusive Gesellschaften sollen für eine nachhaltige Entwicklung gefördert werden.“ Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) nutzt Sanktionen gegen Ungleichheiten über die Budgethilfe [3]. Diese „Konditionalisierung der Entwicklungshilfe“ ist ein schwieriges Thema“, grenzt Julia Duchrow ein. Der Rückschritt der offenen Gesellschaften ist an den Terroranschlag aus dem Jahr 2001 geknüpft. Im Rahmen der Terrorbekämpfung werden Restriktionen erlassen und geduldet. So auch in Afrika, wo Ableger des Daesh wüten. Man dürfe aber nicht, so Duchrow weiter, Staaten gegen den Terrorismus stärken, die selbst Repressionen ausüben und deren Sicherheitskräfte noch zusätzlich aufbauen. Richtiger wäre die Stärkung der Zivilgesellschaft in diesen Staaten und nicht die Stärkung des Staates.
Zu diesem Schluss kommt auch die GIGA-Studie. Im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit, sollten Länder wie Algerien, Mosambik oder Vietnam zur Verabschiedung von Gesetzen gedrängt werden, die ihren Bürgern Menschenrechte gewähren.
Das Thema wird in dieser Woche auch im Europaparlament diskutiert: Donnerstag findet eine Aussprache mit dem Titel „Immer weniger Raum für die Zivilgesellschaft“ statt.
Lesestoff:
Die Studie „Atlas der Zivilgesellschaft“ finden Sie unter www.brot-fuer-die-welt.de
[1] Wiener Erklärung nach der UN-Menschenrechtskonferenz 1993: http://menschenrechte-durchsetzen.dgvn.de/akteure-instrumente/un-institutionen/weltmenschenrechtskonferenz-in-wien-1993/
[2] Wischermann, Jörg et al.: Zivilgesellschaftliche Organisationen in Autokratien: Akteure des Wandels? GIGA-Focus 6/2015 ISSN 1862-3581 https://www.giga-hamburg.de/de/system/files/publications/gf_global_1506.pdf
[3] Budgethilfe für Malawi gestoppt: https://herd-und-hof.de/handel-/kein-geld-fuer-malawi.html
Roland Krieg; Fotos: roRo