„Entwicklungshilfe“ für den Mauerbau
Handel
Falsche Ansätze in der Flüchtlingspolitik
Die in Berlin am Mittwoch vorgestellte Jahresbilanz von „Brot für die Welt“ zeigte viele kleine und große Erfolge, die jedoch zu oft hinter den Nachrichten aus aller Welt verschwinden. Doch große Kritik übte Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin der evangelischen Hilfsorganisation, an dem falschen Politikverständnis zum Flüchtlingsthema.
Basisgesundheitszentren
Diese schon lange im Portfolio vorhandene Hilfe hat gerade während des Ebola-Ausbruchs in den abseitsgelegenen Regionen, die kaum von staatlichen Hilfen betreut werden, Erfolge zu verzeichnen. In den Seuchenhotspots wurden mehr als 200.000 Familien erreicht. 17.000 Erkrankte konnten an die Zentren überwiesen werden, bei denen am Ende sechs von zehn Ebola-Patienten überlebten. Menschen, die sonst mit hoher Wahrscheinlichkeit auch verstorben wären.
Freuen durfte sich Brot für die Welt mit Kailash Satyarthi, der für sein langjähriges Engagement für Kinderrechte im letzten Jahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Das Foto zeigt ihn 1992 auf Besuch bei Brot für die Welt. Er gründete die Bachpan Bachao Andolan, die „Bewegung zur Rettung der Kindheit“.
Für die Spender sind diese Erfolge ein gutes Zeichen, da mit 55,7 Millionen Euro das Vorjahresniveau erreicht wurde. Hinzu kamen 51 Millionen Euro Kirchensteuern und 123 Millionen Euro von der Bundesregierung. Der Verwaltungsanteil liegt mit 5,5 Prozent im untersten Ausgabenbereich.
Flüchtlings- oder Entwicklungspolitik?
Die europäische Diskussion um Flüchtlinge wird immer mehr zu einer Abgrenzungsdebatte. Die Angst zu teilen, ruft Diskussionen um „Quoten“ und „Gründe“ auf. Eine verirrte Debatte, die Füllkrug-Weitzel fachlich untermauert: Die Zahl von 60 Millionen Flüchtlingen weltweit ist die höchste seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Damit ist jeder 122. Mensch auf der Flucht und riskiert dabei ihr Leben. Vier von fünf Flüchtlingen werden in selbst armen Entwicklungsländern aufgenommen und ein Viertel kommt in den allerärmsten Staaten wie Pakistan oder dem Iran unter.
Europa reagiert, wie bei Ebola: Erst als das Problem an die Tür klopft, folgt der Hilfsreflex [1]. „Und plötzlich erinnert man sich an die Entwicklungszusammenarbeit“, unterstreicht Füllkrug-Weitzel. Es ist nicht falsch, die Fluchtursachen vor Ort zu vermeiden. Jedoch: „Alles ist falsch an der Idee: Entwicklungshilfe statt sichere Fluchtwege und Flüchtlingsaufnahme“. Dieser Ansatz aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung müsse wieder entkoppelt werden. Erst 2014 wurden Leitlinien für ein Migrationsmanagement verfasst, dass im Rahmen von „Mobilitätspartnerschaften“ Hilfe für Maßnahmen gegen irreguläre Migration und Rücknahme und Reintegration“ erwartet.
Zum Beispiel: Marokko ist mit seinem Handelssonderstatus ein Lieblingskind der EU und Deutschlands. Der attraktive Partner südlich des Mittelmeers [2], baut eine 100 Kilometer lange Mauer zu Algerien, um einen Fluchtweg nach Europa zu stopfen. Aufgesammelte Flüchtlinge werden nach Angaben von Brot für die Welt in Lager interniert.
Doch der Flüchtlingsstrom hat seine Ursachen in verfehlter Entwicklungspolitik der vergangenen Jahrzehnte.
Hoffnung SDG
Caroline Füllkrug-Weitzel hegt daher große Hoffnungen auf die Sustainable Development Goals (SDG), die im September wohl verabschiedet werden [3]. Sie fürchtet zwar, dass die Ziele „mit viel Tamtam“ verabschiedet werden, lobt aber die Komplexität hinter den Aufgaben für die nächsten 15 Jahre. War die Entwicklungshilfe in der Zeit des Kalten Krieges ein geopolitisches Instrument, wurde erkannt, dass die Ursachen für Armut und Hunger nicht nur in den betroffenen Ländern selbst liegen. Die Verbindlichkeit der SDG lässt die Industrieländer eigenen Aufgaben lösen.
So gibt es nach Füllkrug-Weitzel keine „Wirtschaftsflüchtlinge“. Wohl aber „Flüchtlinge, die auf Grund verfehlter internationaler Wirtschaftspolitik, zur Flucht gezwungen werden“. Die SDG nehmen diese Sichtweise auf und verlangen in den reichen Ländern eine Änderung der Produktions- und Konsummuster. Unter diesem Aspekt sind die Themen der „klassischen Entwicklungspolitik“ wie gerechte Arbeitslöhne, Zugang zu Ressourcen, Aufbau von Märkten und Schutz von Kleinbauern subsummiert. Gegenüber Herd-und-Hof.de mahnt sie aber die Bundesregierung, die Umsetzung der SDG nicht dem Nachhaltigkeitsrat zuzuschieben, sondern eine ressortübergreifende Aufgabe mit den Schwerpunkten Wirtschaft, Landwirtschaft und Energie zu machen.
Frieden schaffen ohne Waffen
Das Motto des Protestes gegen den Nato-Doppelbeschluss Anfang der 1980er Jahre gilt auch heute noch. Die Verfehlungen sind auch immer noch die gleichen.
Trotz Boko Haram gab es im Frühjahr friedliche Wahlen zu einem demokratischen Machtwechsel in Nigeria. Brot für die Welt trug seinen Anteil durch die Teilnahme des Christenrates Nigerias, der den christlich-muslimischen Dialog in Krisenregionen getragen hat, bei. Gewaltprävention und gewaltfreie Konfliktbearbeitung wären auch vor dem Bürgerkrieg in Syrien möglich gewesen. Doch wenn das Kind durch Assad oder Boko Haram bereits in den Brunnen gestoßen wurde, ist es schon zu spät.
Deutschland gebe zwar mehr Geld für die Konfliktberatung aus, aber verdiene auch mehr durch Rüstungsexporte. Die meisten Menschen flüchten vor Konflikten, die mit Kleinwaffen ausgetragen werden. Heckler & Koch ist weltweit der drittgrößte Exporteur dieser Waffen, was nach Füllkrug-Weitzel durchaus in einem Zusammenhang gesehen werden darf.
„Satt ist nicht genug“
Die 56. Aktion der kirchlichen Hilfsorganisation lautet „Satt ist nicht genug“. Kinder, die unter Mangelernährung leiden, entwickeln leichter körperliche Schäden und lernen schlechter. Daher bleiben sie den Rest ihres Lebens hinter ihren Möglichkeiten zurück. Mangelernährung hat viele Gründe: Wer um das tägliche Überleben ringen muss, will vor allem satt werden. Das Wichtigste ist, den Bauch voll zu bekommen – egal wie. Quantität geht vor Qualität. Mineralstoffreiche Getreidesorten wurden global vom Mais verdrängt, natürliche Artenvielfalt durch Monosaatgut ersetzt. Billige nährstoffarme Fertiggerichte sind weltweit auf dem Vormarsch und verdrängen die heimischen Nahrungsmittel. Auch geringe Bildung fördert Mangelernährung.
Mit den Farben Gelb, Rot und Grün sichert Brot für die Welt die Ernährung in Ruanda. Fast jedes zweite Kind leidet in dem ostafrikanischen Land an Mangelernährung. Doch Bohnen liefern Proteine und Kalium, die Paprika Vitamine und der Spinat Eisen, Bislang lagen meist nur blassgelbe Süßkartoffeln und Maniok mit viel Stärke und wenig Protein auf dem Teller. Die neuen Farben signalisieren Gesundheit, was beispielsweise Christine Mukakamali erst seit kurzem weiß. 2007 ist sie der Mais-Kooperative in der Nähe der Distrikthauptstadt Muhanga im Südwesten des Landes beigetreten. Über die Kooperative nimmt sie an Schulungen des Centre des Services aux Coopératives (CDC) teil, dem lokalen Projektträger für Brot für die Welt. Dort hat sie erfahren, wie sie hinter dem Haus einen Garten anlegen und den Boden mit Kompost und Dünger verbessern kann. Zudem hat sie die richtige Zubereitung der neuen Gemüsesorten erlernt und bringt jetzt neue Farben auf ihren Teller.
Lesestoff:
[1] Kritik von Kanayo Nwanze an Europa, „unsichtbare“ Probleme zu vernachlässigen
[2] Marokko ist nur 40 Kilometer entfernt
[3] Ein großer Schritt zum Weltvertrag
Roland Krieg; Fotos: Brot für die Welt