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Verbraucherzentrale: Mit Tierschutz Umsatz machen

Ob die EU in einigen Jahren „Europäische Umweltunion“ heißen wird, muss die Zeitgeschichte überprüfen. Bundesvorsitzende Dr. Angelika Zahrnt vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) sieht jedenfalls bessere Entwicklungschancen für die europäische Wirtschaft, sich über die Qualität auszuzeichnen, als über den Preiswettbewerb der Massentierhaltung. Die Umweltkosten der industriellen Tierproduktion sind in den Produktpreisen nicht enthalten, weswegen Verbraucher diese nicht wahrnehmen. Drei Viertel des Ammoniak stamme aus der Tier- und Stallhaltung, so Dr. Zahrnt und ein Drittel des Futters aus Überseesoja, für dessen Anbau der Regenwald als CO2-Senke verloren geht.
Ein Qualitätsmerkmal der „neuen EU“ ist der Tierschutz, bei dem die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) gestern in Berlin auf einer Tagung die Frage stellte, ob mehr Tierschutz auch mehr Umsatz generieren könnte. Die Eierkennzeichnung dient der Allianz der Tiere als Vorbild, denn seit dem Käfigeier klar gekennzeichnet sind, greifen Verbraucher zu Boden- und Freilandware, die mittlerweile aus dem Ausland importiert werden muss.

Allianz für Tiere:
Zur Allianz fürTiere haben sich unter dem Eindruck der BSE-Krise der BUND, die Schweisfurth-Stiftung, die Verbraucherzentrale Bundesverband und der Deutsche Tierschutzbund zusammengeschlossen. Über den Verbraucher wollen die Verbände gesetzliche Mindeststandards, ein einheitliches EU-Tierschutzsiegel, deutlich höhere Tierschutzstandards, Rahmenbedingungen, die für jede Tierart einzeln spezifiziert sind und eine Prüfstelle für Stalleinrichtungen durchsetzen. Die Verbände haben eine gemeinsame Internetseite: www.allianz-fuer-tiere.de
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Wann fühlt sich ein Tier wohl?
Tierschutz ist bei den meisten Verbrauchern oft nur über die Flächendiskussion angekommen. Ob das Mastschwein 0,5 oder 0,65 qm Platz braucht, ist oft nicht mehr nachzuvollziehen gewesen. Der politische Streit in den letzten Jahren richtete sich zudem an dem Grad der Übernahme europäischer Vorschriften: sollten diese 1:1 in nationales Recht umgesetzt, oder verschärft werden?
Dabei leidet der Tierschutz zum Teil heute noch erheblich unter dem Mangel an objektiven und fundierten Kriterien, mit denen sich das Wohlbefinden der Tiere bestimmen lässt. Brustmuskelhypertrophie bei Hähnchen, quälen für Vereinfachungshandgriffe wie die Kastration oder die Enthornung oder Verhaltenseinschränkungen durch zu enge Haltung: das lässt sich aufzeichnen und bildhaft darstellen. Jedoch:
Ein Läufer bleibt stehen, wenn ihm die Puste ausgeht. Eine Hochleistungskuh gibt aber nicht deswegen weniger Milch, wenn die Umwelt oder das Futter schlechter werden – hier fehlt dem Tier ein hormoneller Regulationsmechanismus.
Tierschutz ist unterhalb des medienwirksamen Skandallevels viel weiter zu fassen, als die Flächendiskussion. Dafür baut der Tierzuchtfonds der Zukunftsstiftung Landwirtschaft einen Kriterienkatalog auf, der noch in diesem Jahr vorgestellt werden soll. Zur Zeit gebe es keine Kennzeichnung, und daher kann der Verbraucher nicht erkennen, ob Milch von einer „Turbokuh“ kommt, sagte Wolfgang Apel, Präsident des Tierschutzbundes zu Herd-und-Hof.de. Dr. Zahrnt ergänzte, dass man sich von den Kriterien noch ein paar aussuchen müsse, die dem Verbraucher bildhaft vermittelt werden können.
Lebensleistungszucht bei Milchkühen, die heute im Durchschnitt nach 2,5 Jahren aus der Produktion ausscheiden müssen, wäre so ein Kriterium.
Karl Ludwig Schweisfurth klärte den Handlungsbedarf: „Tierschutz tut not!“. Wir seien in der Vergangenheit nicht gut mit den Tieren umgegangen und der schlechte Umgang ist mittlerweile zum System geworden. Tierschutz ist eine Frage der Moral.

EU legt vor
In diesem Jahr hat die EU einen Aktionsplan aufgestellt, weil in mehreren Ländern der Verbraucherwunsch nach Tiergesundheit einen hohen Stellenwert bekommen hat, führte Tierarzt Andrea Gavinelli von der europäischen Kommission für Verbraucherschutz und Tiergesundheit aus. Eine Option der Umsetzung könnte ein einheitliches Produktlabel sein, dass den Verbrauchern eine Entscheidungshilfe sein soll. Gleichzeitig bietet es dem Handel eine Differenzierungsmöglichkeit gegenüber anderen Produkten an und kann auf diese Weise einen Mehrwert schaffen. Vor allem könnte es den Verbrauchern eine wichtige Orientierung im Wildwuchs konkurrierender oder sogar gegensätzlicher bestehender Kennzeichen sein, erklärte Gavinelli auf der Tagung. Man werde dem Verbraucher aber auch erklären müssen, dass höhere Standards mit höheren Kosten verbunden sind.
Gavinelli kann sich vorstellen, dass es eine Art Ranking geben wird, das nach Herkunft oder Haltung Produkte einteilt, wie es bei der Eierkennzeichnung umgesetzt ist.

Kuschelkäfig?
Die Ziffer 3 kennzeichnet Eier aus der bei Verbrauchern unbeliebten Käfighaltung. „Die Firma „Gut Aue“ beispielsweise ergänzt die obligatorische „3“ seit einiger Zeit mit dem Zusatz „+WG“. Die Abkürzung „WG“ steht für Kleingruppenhaltung und soll offenbar zu Assoziationen an kuscheligen Hühner-WGs verleiten – dabei verbirgt sich hinter der Hühner-WG nicht anderes als eine neue Form der Käfighaltung mit wenigen Verbesserungen für die Tiere. Parallel dazu werden in der Verpackungsbeschriftung Urteile gegenüber der Freilandhaltung verbreitet, die nicht dem wissenschaftlichen Kenntnisstand entsprechen. So wird die „1“ (=Freilandhaltung) in der Legende mit „geringster Hygiene, höchster Krankheitsdruck“ erklärt.
Die Verbraucherzentrale Bundesverband kündigte rechtliche Schritte gegen die Firma „Gut Aue“ an. „Die Hühner-WG ist eine klare Irreführung und stellt einen eindeutigen Verstoß gegen die Kennzeichnungsverordnung dar“, sagte vzbv-Vorstand Prof. Edda Müller.
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„Der Zug läuft“, stellte Andrea Gavinelli fest. Innerhalb von zwei Jahren hat die Idee des Tierschutz-Aktionsplan konkrete Strukturen bekommen und lobte ausdrücklich die „reife Diskussion“ in Deutschland. Andere Länder seien noch nicht so weit. Die Umsetzung sei keine Frage der Zeit, sondern eine Frage des politischen Willens. Am wenigsten vorbereitet sieht Gavinelli die Marketingstrategie.

Aufgaben des Staates
Auch Stiftungsgründer Schweisfurth sieht für das Erreichen der Ziele eine „Marketingaufgabe par excellence“. Die Festlegung von Mindeststandards und Kennzeichnung seien Aufgaben des Staates.
Das Bundeslandwirtschaftsministerium BMELV erarbeitet nach Angaben des Staatsekretärs Bernhard Kühnle einen Tiergesundheitsindex. Daraus könnten sich bestimmte Haltungsverfahren als tiergerecht ableiten lassen. Kühnle sieht den dringendsten Bedarf bei Puten, für die es noch keine Haltungsverordnung gibt.
Für den Index wurden 139 Verfahren in der Schweine-, Rinder-, Geflügel und Pferdehaltung in der intensiven, extensiven und ökologischen Ausrichtung untersucht. Betrachtet wurde der Stall, weil dort der Mensch im Rahmen des Tiermanagement eine wichtige Rolle spielt. Am Ende könnten Stallhaltungssysteme mit einer Art TÜV nach ihrer artgerechten Ausgestaltung bewertet werde. Die Ergebnisse sollen noch in diesem Jahr vorliegen.

Restriktionen
Die wesentlichste Restriktion bleibt der Welthandel, wenn auch die aktuelle WTO-Runde auf unbestimmte Zeit ausgesetzt ist. Gavinelli will keine nicht-tarifären Handelshemmnisse schaffen, die bei der Welthandelsorganisation wieder für neuen Streit sorgen würde. Das neue System des Tierschutzes müsse auch nach Wegfall aller Zölle und Tarife Bestand haben. Auch Kühnle sieht die WTO als große Herausforderung, aber die demokratische Entscheidung innerhalb der 25 EU-Länder als noch schwieriger an. Daher könnte der Aktionsplan auch nur Rahmenkriterien anbieten, der für unterschiedliche Bedingungen wie zwischen dem nordischen Dänemark und mediterranen Griechenland Spielraum bietet.
Prof. Müller sieht für 2007 eine günstige Gelegenheit, den Prozess zu beschleunigen, wenn Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Kühnle hingegen trat dabei auf die Bremse: „Wir werden nicht für sechs Monate die EU-Regierung übernehmen“.
Letztlich bleibt auch der Verbraucher noch ein Rätsel. Offen ist, ob er tatsächlich mehr Geld für den Tierschutz bezahlen möchte, da die soziale Disparität zunimmt und Dr. Maike Bruhn, Agrarökonomin der Uni Kiel, stellte schließlich fest, dass Verbraucher erst den Grundnutzen „Sättigung“ bedienen und dann erst den Zusatznutzen „Prestige oder Tierschutz“ befriedigen. Auf der einen Seite bietet Lidl mittlerweile fair gehandelte Produkte an, auf der anderen Seite beklagte Manfred Rycken vom Deutschen Fleischer-Verband, dass Verbraucher auch nach zehn Jahren immer noch nur weißes Kalbfleisch akzeptieren.

Lesestoff:
Neben den vier Protagonisten der Allianz für Tiere sei der Tierschutzfonds genannt, der vor allem bei der Tiergesundheit den züchterischen Rahmen betrachtet: www.tierzuchtfonds.de
Den EU-Aktionsplan Tierschutz gibt es online unter http://ec.europa.eu/food/animal/welfare/actionplan/actionplan_de.htm
Vergangene Tagungen über Tierschutz auf Herd-und-Hof.de gibt es hier:
Tierschutzsymposium des Deutschen Bauernverbandes
Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft Teil I und Teil II

Roland Krieg

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