EU-Sommerpaket „Energie“

Handel

EU schnürt umfassendes Energiepaket

Fünf Monate vor Paris setzt die EU ein Zeichen für ein Klimapaket. Neben einer Reform des Emissionshandels hat die Kommission Legislativvorschläge für die Umgestaltung des Strommarktes und die Aktualisierung der Verbrauchskennzeichnung zusammengetragen, dass die Experten den Sommer über genau unter die Lupe nehmen werden. Nebenbei soll die Position des Verbrauchers gestärkt werden.

Der für die Energieunion zuständige Vize-Präsident Maros Sefcovic will die EU damit „in Bezug auf erneuerbare Energien die Nummer eins“ werden. „Das Paket bietet nicht nur neue Möglichkeiten für Verbraucher, sondern für das gesamte Energiesystem in Europa.“

Klimaschutz- und Energiekommissar Miguel Arias Canete erklärt ähnlich prosaisch: „Taten zählen mehr als Worte. Die EU kommt ihren internationalen Verpflichtungen nach. Und meine Botschaft an Investoren, Unternehmen und Industrie lautet: Investieren sie in saubere Energien“.

So viel Elan beim Thema Energie gab es schon lange nicht mehr. Ob das Paket allerdings hält, was Sefcovic und Canete versprechen, muss sich erst noch zeigen.

Optimismus vor Paris

Zumindest für die Klimakonferenz in Paris gibt es Hoffnung. Zum ersten Mal haben die USA und China Zusagen für konkrete Reduktionsziele bei Treibhausgasen vorgeschlagen [1]. Insgesamt gibt es bislang Zusagen von 50 Staaten und darunter sind die meisten großen Industrieländer. Japan soll zügig folgen. Weltweit sind damit 60 Prozent der Treibhausgasemissionen bereits abgedeckt, was für ein vernünftiges Ergebnis kein schlechter Anfang ist.

Emissionshandelssystem

Der Optimismus für das EU-Energiepaket ist größer als die tatsächlichen Veränderungen. Was diese am Ende wirklich bringen, lässt sich derzeit aber noch nicht abschätzen.

Die Aufteilung der Zertifikate, die in Auktionen versteigert und für die Industrie frei zugeteilt werden bleibt nach wie vor bei 57:43 Prozent. Die gerade erst eingeführte Marktstabilitätsreserve wird weitergeführt, verliert aber rund 20 Prozent ihrer Zertifikate. Rund 300 Millionen sollen in die Fonds für Innovationen und Wachstum fließen. Die Zahl der Industriesektoren, die am Emissionshandel teilnehmen können, wird zwar von 150 auf 50 gekürzt. So wird künftig die Lebensmittelindustrie nicht mehr dabei sein, aber energieintensive Wirtschaftsbereiche wie die Düngemittelindustrie. Die Streichung von 100 Sektoren umfasst jedoch nur zwei Prozent der europäischen Gesamtemissionen.

Trotzdem soll das System funktionieren, weil es als Finanzsystem ausgerichtet wurde. Der marktwirtschaftliche Teil umfasst die Auktionen, der geregelte Teil betrifft die Förderung emissionsmindernder Technik. Wohin sich der Preis als Kernparameter für die Emissionszertifikate entwickelt, lässt sich nicht prognostizieren. Aktuell hat er sich auf acht Euro verdoppelt – Zielmarke im Jahr 2030 sollen 25 Euro sein, heißt es aus Kommissionskreisen. Der Preis entscheidet jedoch bleibt das Schlüsselelement für das Gelingen.

Stellschrauben

Um 2030 das europäische Klimaziel von 40 Prozent weniger Treibhausgasen gegenüber 1990 zu erreichen, muss die Zahl der neuen Emissionen jährlich reduziert werden. Derzeit liegt die Kürzungsquote bei 1,74 Prozent. Ab 2020 sollen es jährlich 2,2 Prozent werden, was umgerechnet 556 Millionen Tonnen in zehn Jahren entspricht. Das ist die jährliche Treibhausgasbilanz Großbritanniens.

Technischer Fortschritt senkt die Emissionen über alle Branchen hinweg jährlich um ein Prozent. Referenzwert sind die jeweils zehn Besten jeder Branche mit ihren Werten aus dem Jahr 2007/2008. Künftig gibt es zwei neue Referenzwerte in den Jahren 2020 und 2025. Damit soll die Entwicklung einer Firma besser dargestellt werden. In den Branchen, wo sich Reduzierungen leichter durchsetzen lassen, gilt dann der neue Reduzierungswert von 1,5 Prozent, oder nur ein halbes Prozent bei den Industrien mit hohen Anpassungskosten. Mit dieser komplizierten Regel soll der Wettbewerb der Firmen auf internationalem Niveau gehalten werden. So soll das so genannte Carbon Leakage verhindert werden. Das entsteht, wenn Firmen ihre Produktion ins Ausland verlagern. Der größte Clou dabei: Die EU will Zertifikate aus Drittländern nicht mehr anerkennen. „Der internationale Zertifikatehandel ist gescheitert“, sagte ein Kommissionsvertreter in Berlin. Firmen, die sich auf „preiswertere“ Zertifikate eingelassen haben, müssen nachverhandeln.

Noch vor 2021 wird ein Innovationsfonds eingerichtet, über den Technologien wie CCS oder Emissionsvermeidung finanziert werden können. Daneben bekommen die osteuropäischen Länder einen Modernisierungsfonds. Zehn Länder mit weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Bruttoinlandsprodukts pro Kopf erhalten insgesamt zwei Prozent aller Zertifikate von den anderen EU-Ländern. Ob Polen damit ein Atomkraftwerk baut oder auf die Kohleverstromung verzichtet wird nicht vorgeschrieben, sondern soll in einem Interessensausgleich geregelt werden. Neben den Begünstigten, den reichen Ländern wird auch die Kommission als dritte Partei im Entscheidungsgremium sitzen. Deutschland und die Kommission können als „Zweidrittelmehrheit“ gegen das Atomkraftwerk stimmen. Aber auch die anderen Nachbarn würden sich die Modernisierungsentscheidung genau anschauen. Schließlich würde jedes Großprojekt den Strommarkt zwischen Nachbarländer empfindlich stören. Streit um die Kohlekraftwerke ist aber vorprogrammiert.

Energiebinnenmarkt

Sonne und Wind sowie intelligente Stromnetze und Eigenerzeugung verändern den Strommarkt, der am Ende in einen Energiebinnenmarkt umgebaut werden muss. Für flexible Märkte müssen Verbraucher aber aktiv am Markt auftreten und beispielsweise in Echtzeit ihren Verbrauch an die Preise anpassen. Echtzeit ist auch das Schlüsselwort für Erzeuger, Händler und Versorger, die neue Energien in die Netze einspeisen müssen. Prognosen für die Energiemenge aus Wind und Sonne müssen exakter werden, regulierte Preise und ineffiziente Förderung sollen abgeschafft werden. Für den Ausgleich zwischen Orten mit hoher und niedriger Stromerzeugung müssen grenzüberschreitende Netze gebaut werden. Die Kommission weiß, dass Verbraucher höhere Stromkosten haben als nötig. Meist haben sie keinen Zugang zu Informationen, den Strom tagesaktuell zu beziehen. In Finnland und Schweden gibt es jedoch schon Stromverträge mit dynamischen Preisen. Gepaart mit intelligenter Verbrauchsmessung sparen die Kunden zwischen 15 und 30 Prozent ihrer Stromkosten.

Verbraucher

Preisvergleiche sind nicht so einfach zu finden, wie oft beworben. Grundkosten und Bezugszeiten sowie Prämien machen Angebote oft unvergleichbar. Mit klaren und vergleichbaren Rechnungen sowie Werbevorschriften will die Kommission das ändern. Effizienzhilfe sollen die Menschen erhalten, die von Energiearmut bedroht sind. Wie es mit dem Strommarkt weitergeht, erfragt die Kommission bis zum 08. Oktober in einer öffentlichen Konsultation [2]. 2016 will sie die Ergebnisse in einen Legislativvorschlag einfließen lassen.

EU-Energieetikett

Zwischen den Ländern gibt es verschiedene Energieetiketten für Produkte. Die Kommission schlägt eine einheitliche Skala von „A bis G“ vor. Damit soll Schluss mit den Plus-Zeichen hinter den A-Geräten sein, bei denen die Unterschiede meist größer sind, als Verbraucher einschätzen. Zudem soll eine elektronische Datenbank neue und energieeffiziente Produkte auflisten.

BDI fordert mehr Balance

„Europa muss beim Klimaschutz die Balance finden zwischen ambitionierten Zielen und einer auch in Zukunft starken Industrie für mehr Wachstum und Beschäftigung“, mahnt Holger Lösch vom Bundesverband der Deutschen Industrie. „Es ist wachstumsfeindlich, ausgerechnet die CO2-effizientesten Anlagen weiter einseitig zusätzlich zu belasten.“ Demgegenüber würden die Wettbewerber außerhalb Europas weniger Last tragen.

Noch ambitionierter

Für den Europaabgeordneten Matthias Groote (SPD) hätte das Energiepaket noch ambitionierter sein können. So seien die Maßnahmen gegen das Carbon Leakage noch nicht spruchreif. „Die Flucht vor Klimaschutz-Maßnahmen muss gestoppt werden.“ Nach dem Sommer müsse auch das Problem der nicht zugeteilten Zertifikate erneut behandelt werden.

Energiemarkt fit machen

„Die Fragestellungen weisen in die richtige Richtung: Die Energiemärkte sollen flexibler werden, für eine Vielzahl auch dezentraler Erzeuger und Konsumenten Erneuerbarer Energien die richtigen Anreize setzen und sie sollen besser miteinander koordiniert werden“, kommentiert Dr. Hermann Falk, Geschäftsführer des Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) das „Energiepaket“. Kapazitätsmärkten steht die EU-Kommission jedoch kritisch gegenüber und hält ihre Errichtung grundsätzlich nur sehr eingeschränkt und grenzüberschreitend für hinnehmbar.

Gute Grundlage

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks begrüßt den Vorschlag der EU-Kommission für eine Strukturreform des europäischen Emissionshandels: „Der Vorschlag ist eine gute Basis für die Verhandlungen. Wir gehen damit einen weiteren wichtigen Schritt hin zur Wiederbelebung des Emissionshandels und zu verlässlichen Rahmenbedingungen für langfristigen Klimaschutz.“

Zu wenig Signal

Der EU-Emissionshandel als zentrales Instrument des europäischen Klimaschutzes wurde heute gestärkt, aber die notwendigen Investitionsimpulse gehen noch nicht von ihm aus. „Die Pläne sind ein Signal der Halbherzigkeit“, so Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch. „Die EU-Kommission macht deutlich, dass sie den Emissionshandel nicht aufgegeben hat. Zugleich sendet sie auch nicht das notwendige Signal vor der Klimakonferenz in Paris, dass sie vom 2-Grad-Limit nicht nur redet, sondern dieses auch umsetzen will.“ Klimaziele und Ziele des Emissionshandels müssten alle fünf Jahre nachgeschärft werden.

Lesestoff:

Fakten zur Reform des EHS: http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-15-5352_en.htm

Fakten zur Energieeffizienzkennzeichnung: http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-15-5350_en.htm

Fakten zur neuen Marktgestaltung: http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-15-5351_en.htm

Website zur Energieunion: http://ec.europa.eu/priorities/energy-union/index_de.htm

Website der GD Energie: https://ec.europa.eu/energy/en/news/new-electricity-market-consumers

Website der GD Klimapolitik: http://ec.europa.eu/clima/policies/ets/revision/documentation_en.htm

[1] China-USA-Klimaziele

[2] EU-Konsultation zum Strommarkt: https://ec.europa.eu/energy/en/consultations/public-consultation-new-energy-market-design

Roland Krieg

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