EU träumt von der Klimarettung
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Sind die EU-Klimaziele ein Statement der Machbarkeit?
„Substantielle Fortschritte sind in den Bereichen der Treibhausgasreduktion, dem Ausbau der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz für das Jahr 2020 gemacht worden.“ Das ist der erste Satz des Klimapaketes, den der EU-Rat in der vergangenen Woche geschnürt hat. Daher müssen die neu formulierten Klimaziele für das Jahr 2030 ebenso fortschrittlich sein. Doch scheint die EU das alleine zu feiern, wie der Zwischenbericht „Keep on track“ Anfang Oktober fest gestellt hat [1]. Die EU hat sich auf Ziele geeinigt, die mit Hilfe von Zwischenberichten überprüft werden und die bahnbrechend für die Weltklimakonferenz in Paris sein sollen, wenn es um die Fortschreibung des Kyoto-Protokolls geht.
Die Zahlen
Der EU-Rat hat sich auf ein bindendes Ziel geeinigt, gegenüber dem Ausgangsjahr 1990 seine Treibhausgasemissionen um mindestens 40 Prozent bis zum Jahr 2030 zu reduzieren. Das soll mit Hilfe des Emissionshandels geschehen, dessen Reform noch aussteht. Ab 2021 soll die Kürzung der Zertifikatausgabe von 1,74 auf 2,2 Prozent erhöht werden. 43 Prozent der Reduktionen sollen aus dem ETS-Handel stammen, 37 Prozent aus dem Nicht-ETS-Bereich, wie Gebäudesanierung oder Verkehr. Länder wie Polen haben einen hohen Anteil Kohle in ihrem Energiemix. Dafür gibt es Sonderregelungen. Erlöse aus dem ETS müssen nicht dem Haushalt zugeordnet, sondern können ausgeklammert und im Fall von Polen zu 40 Prozent in die Modernisierung der Kohlekraftwerke investiert werden.
Im EU-Durchschnitt soll der Anteil an neuen Energien auf mindestens 27 Prozent steigen. Um ebenfalls 27 Prozent soll die Energieeffizienz steigen. Dabei sollen die Staaten ihren individuellen Energiemix behalten dürfen. Die Voraussetzung für die Erfüllung der Ziele ist die schnelle Schaffung eines Energiebinnenmarktes, dessen Fortschritte bislang meist nur auf Großhandelsebene realisiert ist [2]. Russland spielte bei den Überlegungen eine wichtige Rolle, weil der EU-Rat die Ziele der Energiesicherheit ebenfalls schnell umsetzen will. Dazu gehören Gasleitungskorridore in Nord-Südrichtung, ein neuer Gas-Hub in Südeuropa und der Bau alternativer Leitungen für Finnland und dem Baltikum.
Der Wille zum Kompromiss
Letztlich sind es 28 Länder, die sich in unterschiedlichen wirtschaftlichen Situationen mit verschiedenen historischen Energiequellen auf ein gemeinsames Projekt einigen wollen. Das honorierte José Manuel Barroso auf seinem letzten EU-Rat. Auch im Bereich der Klimapolitik habe die EU gezeigt, dass sie den Willen zum Kompromiss und die Überwindung von Schwierigkeiten meistern könne. Nach Barroso zeige die EU die ehrgeizigsten Klimaziele in der Welt. Für EU-Klimakommissarin Connie Heedegard sendet das Klimapaket Signale an die anderen Teile der Welt. „Ein verbindliches Reduktionsziel von Treibhausgasen um 40 Prozent ist alles andere als ein einfacher Weg“, sagte sie nach der Ratssitzung. Die Länder befinden sich in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld, andere in einer handfesten Krise – und dennoch seien alle für ehrgeizige Klimaziele.
Das Komitee der Regionen hat beispielsweise ehrgeizigere Ziele gefordert (50-40-40). Doch Präsident Michel Lebrun ist dennoch zufrieden: „Die gesetzten Ziele bieten den lokalen und regionalen Behörden eine gute Basis für eine erfolgreiche Verhandlungsrunde in Paris im kommenden Jahr.“ Lebrun erinnert, dass die Energiewende zur regionalen Wertschöpfung beiträgt, weil sie den Wettbewerb stärkt, Arbeit schafft und Kommunen attraktiv für Investoren macht.
Den Rahmen gesetzt
Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte, dass die EU „den entscheidenden Rahmen gesetzt“ habe, „um Europa für die internationalen Klimaverhandlungen sprachfähig und verhandlungsfähig zu machen“. Die „low hanging fruits“ seien in der ersten Zielphase bereits geerntet. Jetzt wolle die EU in den zehn Jahren zwischen 2020 und 2030 einen größeren Fortschritt machen. Falls die anderen Länder in Paris mehr wollten, dann sei die EU in der Lage nach zu verhandeln. Die Ziele sind ja mit dem Zusatz „mindestens“ ausgestattet. Deutschland habe heute bereits einen Anteil von 25 Prozent neuen Energien erreicht und Merkel versprach „definitiv“ mehr zu machen, Dann sind auch Beihilfe der EU in Aussicht gestellt.
Sachten Rahmen setzen
Vom Gipfel enttäuscht sein, müsste der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Hauptgeschäftsführer Markus Kerber forderte im Vorfeld einen sachten Rahmen ein: „Die deutsche Industrie unterstützt die Klimaziele. Aber eine Verschärfung der Ziele wäre kontraproduktiv. Die Politik muss verhindern, dass Produktion verlagert wird und Arbeitsplätze verloren gehen.“ Vor allem das Emissionshandelssystem dürfe die Unternehmen nicht weiter belasten. Ein Emissionshandel ohne Wirtschaftlichkeit gefährde den Standort Deutschland und Europa.
Verbindlichkeit gefordert
Demgegenüber freut sich Hans-Joachim Reck, Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU). Der künftige Energiemix müsse weniger auf fossile Energien setzen und die Ziele sollten verbindlich sein. Das sei nicht nur aus umweltpolitischen, sondern auch aus wirtschaftspolitischen Gründen wichtig. Zur Rettung des Emissionshandels forderte Reck, die Löschung von rund zwei Milliarden Zertifikaten, die den Preis von den erwarteten 30 auf unter zehn Euro drücken.
Schwache Ergebnisse
„40 Prozent Reduktion bis 2030 - dieses Emissionszieles liegt weit unterhalb dessen, was wissenschaftlich nötig wäre, um die Klimaerwärmung langfristig auf maximal zwei Grad zu begrenzen“, sagt Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch. "Mit dem Treibhausgasziel von „mindestens 40 Prozent“ hat der EU-Gipfel aber immerhin den Weg frei gemacht für erhebliche Nachbesserungen in den nächsten zwei Jahren.“ Erfreulich sei, dass der Kohlebedarf in China kaum noch steigt und die Argumente der Wettbewerbsfähigkeit an Bedeutung verlören. Am Ende müssen 2050 etwa 80 bis 95 Prozent der Treibhausgase reduziert werden. Für Bals ist die Zeit zwischen 2030 und 2050 für die Hälfte der Aufgabe zu kurz.
Ähnlich sieht es Ska Keller, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Europa-Grünen. Weil die größten Schritte erst in der letzten Periode gemacht werden müssten, seien die jetzt formulierten Ziele „bei weitem nicht ausreichend“ und ein „Rückschritt“, wie sie dem Fernsehsender Phoenix gegenüber sagte. Auch das Veto-Recht einzelner Staaten hält sie für falsch: „Dann kommen dann Staaten wie Polen oder Großbritannien, die jede Art von Gesetzgebung blockieren können. Wenn die Staats- und Regierungschefs da zulassen wollen, ist die EU-Klimapolitik gescheitert.“
Auch Hubert Weiger, Präsident des BUND hält das Klimapaket für verfehlt. Um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, hätten mindestens 60 Prozent herausspringen müssen: „Das ist der erste Sargnagel für das internationale Klimaabkommen, das nächstes Jahr in Paris verabschiedet werden soll. Wenn Europa seinen Teil zur Reduktion der Treibhausgase nicht beiträgt, haben es andere Länder leicht, sich auch aus der Verantwortung zu stehlen“, so Weiger. Die schwachen Ziele beim Ausbau der neuen Energien und Energieeffizienz signalisierten, „dass ruhig mehr Energie verschwendet werden könne.“
Den Verkehrssektor vergessen
Für die Zeit nach 2020 hat der Europäische Rat keine neuen Ziele für den Ausbau von Biokraftstoffen vorgesehen, kritisiert die deutsche Bioethanolwirtschaft. Derzeit müssen die EU-Länder den Ausstoß von Treibhausgasen durch Benzin und Diesel um sechs Prozent bis 2020 senken. Was danach ist, wurde nicht beschlossen. Nur allgemein werde von „Instrumenten und Entwicklungen“ gesprochen.
Die Union zur Förderung von Oel- und Proteinpflanzen (UFOP) sieht die bisher verfolgte Dekarbonisierungsstrategie im Verkehrssektor gefährdet. Die vagen Forderungen würdigten die Leistung der Biokraftstoffe in keinster Weise. Sie müssen bereits bestimmte Treibhausgasminderungsziele und Nachhaltigkeitsanforderungen erfüllen [3]. Für die betroffenen Wirtschaftskreise in der Europäischen Union, aber auch in Drittstaaten haben diese Auswirkungen im Rohstoffanbau sowie bei Transport und Verarbeitung. Zu diesem Zweck hatte die EU-Kommission inzwischen 17 Zertifizierungssysteme zugelassen. Unter der aktuellen Beschlusslage des Rates, so die Befürchtung der UFOP, steht die Nachhaltigkeitszertifizierung vor dem Aus.
Neue Wertschöpfungsketten vergessen
Annalena Baerbock, klimapolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, sieht in dem EU-Klimapaket eine Manifestation der Kohleverstromung. Der Ausbau neuer Energien bleibe vage: „Und das trotz des Wissens um das Job- und Wirtschaftspotenzial in diesen Bereichen.“
Neue Wirtschaft
Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) will auch einen stärkeren Ausbau: „Erneuerbare Energien und mehr Energieeffizienz führen zu Wirtschaftswachstum, Klimaschutz und neuen Arbeitsplätzen. Ehrgeizigere Vorgaben wären daher nicht nur im Interesse des Klimaschutzes, sondern auch im Interesse der europäischen Wirtschaft und der Versorgungssicherheit. Stattdessen hat die Lobby der konventionellen Energieträger auf die Bremse getreten.“
Kein Strategiewechsel
Hans-Josef Fell, Präsident der Energy Watch Group, vermisst nach wie vor einen Strategiewechsel in der Klimapolitik. Alle bisherigen Klimaverhandlungen haben zu keinem Ergebnis geführt, denn die globale Kohlendioxidemission hat im letzten Jahr einen neuen Rekordwert erzielt. Alle vereinbarten Reduktionsziele blieben schwach, so lange nicht neue emissionsfreie Wirtschaft angestrebt werde. Selbst die 40 Prozent bedeuteten nichts anderes, als das bis 2030 noch immer 60 Prozent der Emissionen „in eine hochgradig überlastete Erdatmosphäre“ emittiert werden. Fell hat auch den Glauben an den Emissionshandel verloren. Es sei eine alte, wirkungslose Klimaschutzstrategie. Parallel findet in französischen Lille das „World Forum for responsible Economy“ statt. Schwerpunktmäßig hat es sich mit der Finanzierbarkeit eines wirksamen Klimaschutzes auseinandergesetzt [4].
Lesestoff:
[1] Zweifel an den Energiezielen
[2] Energiekosten, Energiebinnenmarkt und Nordrange-Trio
[3] 2011 waren schon die ersten sieben Zertifikate zugelassen
Roland Krieg