Gehen TTIP die Argumente aus?

Handel

Die Angst vor der Marktveränderung durch TTIP

Mehr gemeinsamer Markt, mehr Arbeitsplätze, mehr Handelsvolumen und mehr Wohlstand. Die Befürworter der Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) drehen sich im Kreis. Aber selbst EU-Chefverhändler Ignacio Garcia Bercero konnte im Dezember keine genauen Angaben zu den neuen Arbeitsplätzen mehr machen [1]. Im Gegensatz zu den Kritikern, die sich in immer neuen Formen zum größten möglichen Freihandelsabkommen äußern. Am Freitag trat der Rat an die Öffentlichkeit, den Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel für die TTIP-Gespräche einberufen hat. Es ist, wie Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates ausführte, eher ein „Austauschrat“. Kein Protokoll, keine Weisung, aber ein Gremium, das in seiner Zusammensetzung auch die Kritik am TTIP den Entscheidungsträgern nahe bringt. Stimmen und Stimmungen sollen gesammelt werden.

Vom Kulturrat, der Akademie der Künste, dem Deutschen Gewerkschaftsbund, verdi, dem Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) und dem BUND sowie weiteren Organisationen wurde ein fünfseitiges Papier vorgestellt, das den Handel nicht in Frage stellt, aber die Bedrohung des TTIP ausmalt, weil es „Marktverändernd“ angelegt sei.

Kulturbereich besorgt

Die Kultur ist das erste Mal öffentlich als Kritiker gegen ein Wirtschaftsabkommen in Erscheinung getreten. „Wir spüren das erste Mal, dass wir im Regen stehen“, sagte Zimmermann. Bei den anderen Freihandelsabkommen mit vergleichbaren Investor-Staat-Schiedsgerichten hatte sich die Branche nicht gekümmert. Aber schon beim CETA-Abkommen mit Kanada entdecken die Künstler den Ernst der Lage. Während die Kanadier ihren gesamten Kulturbereich ausgeklammert haben, bestand die EU lediglich auf die Ausklammerung der audio-visuellen Segmente. „Es gibt offenbar große wirtschaftlichen Interessen“, vermutet Zimmermann.

Die Amerikaner haben nach Prof. Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste, ein ganz anderes Förderverständnis von Kultur. TTIP würde in Deutschland die öffentliche Förderung von Volkshochschulen und Akademien zerstören.

Die Kulturbereich stört sich an den Negativlisten. Dort wird genau definiert, was ausgenommen wird. Künftiges fällt daher nicht darunter. Besser sein eine Positivliste, die exakt beschreibt, für welche Segmente das Abkommen gültig ist.

So steht im amerikanisch-australischen Freihandelsabkommen das Investor-Staat-Schiedsgericht gar nicht erst drin, vermerkt Stefan Körzell, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

„Wir haben etwas zu verteidigen“

Prof. Dr. Hubert Weiger, Präsident des BUND bringt die Kritik auf den Punkt: „Wir haben etwas zu verteidigen“. Umwelt- und Arbeitsstandards sind in Europa nicht vom Himmel gefallen, sondern wurden über viele Jahrzehnte hinweg hart erkämpft. Niemand glaubt den unisono vorgetragenen Beteuerungen der Politiker, die das Aufrechterhalten der Standards versprechen.

Die Errungenschaften des Abendlandes beim Lebensstil und im fairen Handel werden langfristig durch die „Regulatorische Kooperation“ untergraben. Bei neuen Entwicklungen sollen erst gar keine neuen Handelshemmnisse entstehen. Der Regulierungsrat könne demnach „tief in die staatliche Souveränität“ eingreifen. Für die Anpassung von Blinkerleuchten beiderseits des Atlantiks bräuchte niemand ein TTIP, argwöhnt Körzell.

Eines der größten Probleme bleibt die Intransparenz der Verhandlungen. So „deuten die bisherigen Informationen darauf hin“, dass mit der Stillstands- und Ratchetklausel Liberalisierungsniveaus im Bereich der Dienstleistungen fest geschrieben werden und ein Wechsel nicht mehr möglich ist. Das würde den Rekommunalisierungswünschen, wie sie am Freitagnachmittag im Bundestag debattiert wurden, ein jähes Ende bereiten.

Was bewegt sich?

Kaum einschätzbar sind die Bemühungen zwischen der EU und den USA, TTIP wirklich zu Ende zu bringen. Prof. Staeck berichtete, dass amerikanische Amtsinhaber die Europäer kaum noch verstünden, dass TTIP für so viel Gesprächsstoff sorgt. Heute startet bis Freitag in Brüssel die nächste Verhandlungsrunde zu TTIP. In der letzten Woche hat die EU-Kommission die Annahme der UN-Transparenzregeln für das Schiedsgerichtverfahren vorgeschlagen. Vor kurzem ging eine öffentliche Konsultation zum gleichen Thema zu Ende [1]. Doch ob das nur Reaktionen auf die steigende Zahl der Kritiker ist, oder sich in Brüssel auch qualitativ etwas bewegt, ist derzeit noch offen.

Dr. Felix Prinz zu Löwenstein vom BÖLW sieht gegenüber Herd-und-Hof.de darin aber ein gutes Zeichen.

Umstritten ist die aktuelle Studie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) über die Auswirkungen des TTIP auf Entwicklungs- und Schwellenländer. Staatssekretär Thomas Silberhorn musste im Bundestag der vergangenen Woche darlegen, wie die Studie finanziert wurde und wer sie durchgeführt hat. Argwohn erweckte die Studie des ifo, weil nur geringe negative Auswirkungen durch TTIP zu erwarten sind. Mit Fallstudien zwischen Brasilien, Bangladesch, Südafrika oder Indonesien hat das BMZ versucht, ein möglichst heterogenes Bild zu erhalten, um die Ergebnisse abzusichern und Empfehlungen auf seine sichere Basis zustellen. Heike Hänsel von der Fraktion Die Linke war vom überwiegend positiven Ergebnis überrascht. Die meisten anderen Studien sehen die Entwicklungsländer benachteiligt. Vor allem werde Handel aus den USA und der EU mit dem Süden umgeleitet. Die Restwelt drohe zum Rohstofflieferer zu werden und verliert dabei an Wertschöpfung. „Wir machen uns keine Studien zu eigen“, betonte Silberhorn. Für das BMZ entstehe der Wert durch die Erkenntnis, welche Auswirkungen vermieden werden sollen, um das TTIP entsprechend umzugestalten, erklärte der Staatssekretär.

Die Problematik ist auch Prinz zu Löwenstein gewärtig. Er bevorzugt WTO-Standards, die dann für alle Länder gleichermaßen gelten. Aber für TTIP sei es vielleicht schon zu spät.

Lesestoff:

Das Positionspapier finden Sie auf www.bund.net/pdf/ttip_5_punkte_papier

Die Verbraucherverband Bundeszentrale, ebenfalls Teil des Bündnisses, hat in der letzten Woche ein Papier über die Verbraucherinteressen für TTIP herausgebracht: www.vzbv.de

Was die EU auch zu der aktuellen Verhandlungsrunde veröffentlicht finden Sie auf http://ec.europa.eu/trade/policy/in-focus/ttip/documents-and-events/index_en.htm

[1] Ablehnung auf breiter Front

Roland Krieg

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