Handel vertraut auf Verbraucher
Handel
Deutscher Handelskongress mit vorsichtigem Optimismus
„Wir sind mitten in der 2. Weltwirtschaftskrise der Moderne“, sagte Prof. Dr. Joachim Starbatty, Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft auf dem Deutschen Handelskongress des Hauptverbandes Deutscher Einzelhandel (HDE) in Berlin. Die gestiegene Kurzarbeit hätte eine ausufernde Arbeitslosigkeit noch aufgefangen. Prof. Starbatty ist sich im Vergleich mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 aber nicht sicher, ob die Auswirkungen der aktuellen Krise damit nur verschoben sind, oder ob die Kurzarbeit schon „die Brücke zum rettenden Ufer“ ist.
Fatal seien daher die bislang 14 Preisrunden des Handels im Jahr 2009, so Prof. Stefan Feuerstein von der Markant AG. „Die brauchen wir nicht.“ Feuerstein fürchtet um das Image der Branche, zum „billigen Jakob“ zu werden. Der Handel müsse zusammen mit der Industrie gemeinsame Wertschöpfungspotenziale erschließen und den Kunden mit neuen Produkten zum Konsum anreizen.
Auf privaten Konsum vertrauen
Nach Starbatty stehen die jüngsten Konjunkturprognosen mit 1,6 Prozent Wachstum für das Jahr 2010 auf unsicheren Füßen. Den größten Anteil könnte der Export mit einem Plus von 6,3 Prozent beitragen wenn die Bedingungen auf dem Weltmarkt stimmten. Nach Starbatty dürfe das Wechselverhältnis zwischen Euro und Dollar die europäische Währung nicht zu teuer werden lassen und die amerikanischen Verbraucher müssten ihrer Rolle als Antreiber der Weltkonjunktur wieder gerecht werden. Mit einem Anteil von 47,4 Prozent am Bruttoinlandsprodukt schiebe der Export zwar „den Konjunkturkarren“, so der Ökonom. Doch könne Deutschland nicht immer als Nutznießer der Globalisierung darauf vertrauen, dass England, Spanien oder Griechenland hier einkaufen. „Eigentlich“ hilft der schwache Dollar dem amerikanischen Binnenmarkt, doch komme die Konjunktur nicht recht in Schwung, weil die privaten Haushalte „für ihre Konsumwut der letzten Jahre büßen“ und kaum noch Geld hätten.
Dem deutschen Handel empfiehlt Prof. Starbatty „auf Sicht zu fahren“. Der deutsche Konsum werde voraussichtlich stagnieren, vielleicht ein wenig zurückgehen, aber auf die heimischen Kunden zu setzen, sei sicherer, als „Hasardinvestitionen“ zu tätigen.
Marktvolumen Lebensmittel | ||
2006 |
169,82 Mrd. € |
100,0 Prozent |
2007 |
172,13 Mrd. € |
101,4 Prozent |
2011 |
183,60 Mrd. € |
108,1 Prozent |
Q: Factbook Einzelhandel 2010; HDE |
Den Kunden für den Aufschwung nutzen
Nach Johan Sjöstrad von AC Nielsen klettert das Kundenvertrauen von Tiefpunkt mit 77 Punkten im ersten Quartal 2009 auf 86 Punkte im dritten Quartal und erreicht damit wieder einen Stand von 1987.
Doch die Preisrunden sind kontraproduktiv. „Wer ständig seine Preise senkt schafft Verunsicherung“, so Feuerstein. Der Händler suggeriere dem Kunden, dass es morgen noch billiger werden könnte. Das sei ein Grund, warum sieben von zehn neu eingeführten Produkten wieder floppten. Verbraucher bräuchten zweitens „kein 50. Fertiggericht“. Der Handel müsse sich von dem Modell der Kostenführerschaft abwenden und in Richtung Kunden einer qualitativen Prozessorientierung zuwenden. Neue Produkte müssen beispielsweise im Bereich Health und Wellness den Menschen einen wirklichen Nutzen bringen.
Sjöstrad sieht Convenience als zeitsparenden Konsum und Gesundheitsprodukte als langfristige Trends an. Der Krise geschuldet seien die Trends wieder mehr Essen zu Hause selbst zuzubereiten und auf preiswertere Handelsmarken auszuweichen. Während der Krise zeige sich in allen europäischen Ländern zwar der Trend, Lebensmittel aufgrund von Werbekampagnen zu kaufen, doch nahm dieser Anteil lediglich um ein bis drei Prozentpunkte zu. In Deutschland stieg der Kaufanteil nach Bewerbungsangeboten von 16 auf 18 Prozent.
Politisch offensiv werden
Mit einem leichten Umsatzrückgang von zwei Prozent auf 284,4 Milliarden Euro ist die Branche bislang gut durch die Krise gekommen, sagte Josef Sanktjohanser, Präsident des HDE. Die ersten Meldungen vom Oktober seien gut und die Perspektive von 73 Milliarden Euro Umsatz für das Weihnachtsgeschäft sorgten für Optimismus. Neue Ideen und Konzepte des Handels werden auch in Zukunft ihre Märkte finden. Eine Wirtschaftsprognose für 2010 gab Sanktjohanser auf dem Kongress zwar nicht ab, glaubt aber, dass Exportaktivitäten das nächste Jahr prägen werden.
Aufholbedarf der Branche sieht Sanktjohanser in der politischen Arbeit. Anfang Dezember wird die Studie „Mythos Nachfragemacht“ der BBE Retail Experts veröffentlicht. Ein Blick auf verschiedene Produktgruppen zeigt, dass die Studie zu differenzierten Ergebnissen kommt. So haben laut Studie die ersten fünf Hersteller im Molkereibereich einen Anteil von 40 Prozent am Inlandsumsatz und nehmen rund 65 Prozent des Nettobeschaffungsvolumen im Inland auf, aber im Bereich Brot und Backwaren stellen die „Top 5“ lediglich gut zehn Prozent des Umsatzes und nehmen knapp 30 Prozent der heimischen Rohstoffe auf. Der Markt funktioniere, so die Studie, die Herd-und-Hof.de in einer ersten Zusammenfassung vorliegt, und nur „ausnahmsweise dominieren die Produzenten bei einigen wenigen Produktgruppen“.
Anlässlich dieser Ergebnisse sagte HDE-Präsident Sanktjohanser, dass das Lobbying der Agrarwirtschaft stärker sei als das des Handels“. Langsam hole man auf und finde auch mehr Gehör bei Gesetzesvorgaben.
In die gleiche Richtung argumentierte auch Feuerstein. Er zählte auf, dass der Handel für den Alkoholmissbrauch, für übergewichtige Kinder und fettreiche Ernährung verantwortlich gemacht werde. „Corporate Social Responsibility“ heiße aber nicht, Schuld an allem zu sein“, so Feuerstein. Der Handel erfülle gerne eine gesellschaftliche Rolle, habe aber keinen gesellschaftlichen Erziehungsauftrag.
Ladenöffnung am Sonntag |
Die Städte neu beleben
Mit Quelle, Woolworth und vor allem Karstadt sind große Händler aus den Innenstädten verschwunden. Unbelebte Innenstädte sind aber nicht nur der Krise geschuldet, sagte Lovro Mandac, Vorsitzender der Geschäftsführung bei Galeria Kaufhof. In Schweinfurt beispielsweise habe das Shoppingcenter mehr Einkaufsfläche als der übrige Handel in der Innenstadt. Die Gemeinden sollten sich dann nicht wundern, wenn die Kaufkraft „zerbrösele“ und die Immobilienpreise fallen. Mandac sieht sich durch die Ladenöffnungszeiten gegängelt. In einem Film für Kaufhof habe er die Innenstädte der niederländischen Stadt Maastricht und Kölns an einem Sonntag verglichen. Dort ein „lebendiges Stadtgebilde“, hier eine „unbelebte Wüste“.
Große Shoppingcenter wie das am Frankfurter Flughafen entstehende mit 65.000 Quadratmeter Fläche habe 364,5 Tage im Jahr auf und ein Einzugsgebiet von mehr als 200 Kilometern. Der Kunde von heute „drückt aufs Gaspedal und kauft dort ein, wo auf ist“, so Mandac.
Also müssen seiner Ansicht nach nicht nur die Ladenöffnungszeiten geändert werden, denn „wir sind als Einzelhändler aufgefordert, den Menschen auch die Langeweile zu vertreiben“. Die größte Modeschau Deutschlands zieht alljährlich mehr als 500.000 Besucher nach Krefeld, „Köln spielt“ ist eine Wochenendebelebung mit Einkaufswert. Der Städtetourismus wird in Europa immer stärker und die deutschen Städte könnte mit ihren gegenüber London oder Mailand preiswerteren Produkten mehr Touristen anlocken.
Doch habe der Handel auf der lokalen ebene nur wenig Einfluss. Die Gemeindepolitiker müssten erst noch erkennen, dass die Beschäftigten auch sonntags mit dem Bus wieder nach Hause wollen und das Nahverkehrsnetz anpassen. „Sag ja zur Innenstadt“ als Gemeinschaftsaufgabe.
Lesestoff:
1)Pro und kontra Ladenöffnungszeit: Handelsjournal 11/2009; S. 10
Roland Krieg