Heute Schüler, morgen Kunde?
Handel
Werbung und Sponsoring in der Schule
>Die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) brachte gestern mit ihrer Tagung "Werbung und Sponsoring in der Schule" in der Berliner Landesvertretung Hessens ein brisantes Thema zur Sprache, "dass weitestgehend unbekannt ist", so Vorstand Prof. Dr. Edda Müller. Es gelte "die positiven Seiten zu nutzen und die problematischen zu vermeiden."Sicherlich helfe Werbung und Sponsoring den Ländern aus der Klemme leerer Kassen, was angesichts der zunehmenden Zahl Ganztagsschulen auch besonders im Rahmen der Schulverpflegung manchen Eltern zugute käme (Herd-und-Hof.de vom 01.09.2005). So einfach ist es aber nicht, wie zwei Beispiele von Prof. Müller zeigten:
Mit dem Kauf einer Packung Bahlsen-Kekse konnten Schüler Punkte für eine finanzierte Klassenfahrt sammeln. Ähnliches bietet Kelloggs beim Kauf von Cornflakes an, wobei die Sammelpunkte in Sportgeräte für die Schule eingetauscht werden können. Bahlsen musste seine Aktion beenden, da auf Klage des vzbv ein moralischer Gruppenzwang bestehe, Kekse für die Klassenfahrt zu kaufen. Gerichtlich bekam Kelloggs bisher Recht - aber die Verbraucherschützer gehen in die nächste Instanz.
Was auf den ersten Blick sinnvoll und als eine Erleichterung erscheint, widerspricht dem Verbraucherbild des Verbandes: Der Kunde handelt im Geschäft eigenverantwortlich und eigenständig und ist sich deren sozialen, wirtschaftlichen und ethischen Folgen bewusst. Das Gegenteil ist der passive Konsument, der keinerlei Einfluss auf seine Warenwelt nimmt.
Grenzen ziehen
Durchaus auch positive Beispiele konnte Staatssekretär Martin Gorholt aus dem Brandenburger Ministerium Bildung, Jugend und Sport anführen. Sein Bundesland hat ein Werbeverbot in der Schule festgeschrieben, so dass Werbetafeln, wie sie beispielsweise in Berlin möglich sind, verbieten. Der Sponsor gibt sein Geld für die Gegenleistung Öffentlichkeitsarbeit - ein Schriftzug am Computer oder auf einer Tafel.
Aber es lohnt, sich über das Thema ausführlich Gedanken zu machen. Privatdozentin Dr. Ingrid Gottschalk für Konsumtheorie und Verbraucherpolitik an der Universität Hohenheim führt in ihrer Studie "Kommerzialisierung von Kindheit und Schule" für die vzbv vor allem die 6 - 12jährigen an, die bereits über sechs Milliarden Euro Konsumkapital verfügen. Sie haben in diesem Alter zwar die Werbekompetenz zu wissen, was da passiert, jedoch verstehen sie nicht, wer das macht und warum. Zwischen Werbefilm und Fernsehsendung können auch Erwachsene nicht immer unterscheiden. Außerdem, so berichtet Gottschalk, schwappt die Werbeform "Buzzing" über den Atlantik nach Europa: Firmen statten gezielt einige Schüler oder gar Lehrer für eine Zielgruppe mit ihren Marken aus, die dann positiv darüber berichten sollen. Diese Werbeform ist fast gar nicht zu erkennen.
Als Kommerzialisierung gilt ein übersteigerter Konsum mit Markenorientierung. Das ist, so Gottschalk, keine individuelle Nutzenmaximierung und der einzelne steht am Ende schlechter da, weil er seine eigenen Wünsche nicht formulieren, geschweige denn erfüllen kann. Nach amerikanischen Berichten macht Kommerzialisierung die Kinder sogar krank. Ständig vergleichen und konsumieren zu müssen führe zu ständiger Unzufriedenheit, Ängstlichkeit und Depression.
Gegenmaßnahmen
"Je kritischer und konsumferner die Eltern sind, desto kritischer und konsumferner sind die Kinder". Dr. Gottschalk sieht die Eltern durchaus in der Vorbildrolle. Sie sollen den Kindern mehr Zuwendung und weniger Geld geben, die Schule muss Werbe- und Konsumkompetenz vermitteln, die Werber sollen auf "Marketingmaulwürfe" beim "Buzzing" verzichten und die Vorschulkinder ausklammern und die Medien sollen, wie von Jugendlichen gewünscht, Verbrauchersendungen in das Jugendprogramm aufnehmen. Gemeinsamkeiten zwischen Werbung und Sponsoring werden sich kaum auflösen lassen.
Aber es gibt bereits einige rechtliche Regeln, auf die Helmut Schorlemmer, Schulleiter des Pestalozzi Gymnasiums in Unna, in seiner Studie für die vzbv hingewiesen hat. Mäzene, Stiftungen und Fördervereine gibt es ja bereits traditionell. Nordrhein-Westfalen führt in seinem Schulgesetz zwei Paragraphen, die Werbung und Sponsoring regeln. Die Schulen dürfen nach § 98 Sach- und Geldmittel von Dritten annehmen und sollen darauf achten, dass nicht eine Schule dabei besonders bevorzugt wird. Im § 99 ist geregelt, dass eine Werbewirkung nicht über den schulischen Nutzen stehen darf. Darüber entscheidet der Schulleiter. Das Ministerium kann allerdings Ausnahmen für Werbung erlauben, die nicht schulischen Zwecken dient. Schließlich gibt es strafrechtlich auch noch den Tatbestand der Vorteilsnahme, den die Lehrer kennen: Ein PC für die Schule ist Sponsoring, der gleiche PC für den Lehrer ist Vorteilsnahme. So durfte bei einem Sportfest ein Brausehersteller nicht als Sponsor auftreten, weil das den schulischen Vorstellungen über eine gesunde Ernährung widersprochen hätte. Ein Mineralwasserhersteller sprang ein. Er wollte zuerst große bedruckte Sonnenschirme und Plakate aufstellen, musste sich allerdings nach Intervention der Schulleitung mit einem Namenszug auf dem Sportfestplakat begnügen: Was ihm dann auch reichte.
Das Beispiel verdeutlichte, dass Schulen den Firmen nicht hilflos ausgeliefert sein müssen. Werbung und Sponsoring werden schwer zu unterscheiden sein und wenn, wie auch gerade bei der Schulverpflegung, sich hier jemand verfranst, der kommt bald in die Bredouille "gewünschte" und "unerwünschte", gut und schlechte Sponsoren unterscheiden zu müssen. Dürfte McDonald zweimal die Woche ein Salatbuffet an die Ganztagsschule liefern, wenn damit das Essen für einige Eltern bezahlbar würde?
Für Schorlemmer sind die Regelungen aus NRW aber noch nicht ausreichend. Es fehle immer noch ein schlüssiges Gesamtkonzept. Ein Verhaltenskodex der Kultusministerkonferenz an den sich die Werbewirtschaft und die Unternehmen halten, sei sinnvoll. Das National Consumer Council in Großbritannien hat erste "Good-Practice-Guidelines" bereits aufgestellt.
Alles nur Schwarzmalerei?
Der Volkswirtschaftler Werner Sombart (1863 bis 1941) verteufelte die Reklame als ekelhaft und widerwärtig. Volker Nickel vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft sieht seinen Geist in der heutigen Diskussion immer noch lebendig. Bundesweit werden nach seinen Angaben 3,4 Milliarden Euro Sponsorengelder verteilt, aber nur 50.000 Euro sind Werbeausgaben in der Schule. Er streitet nicht ab, dass Skepsis gegenüber der Werbung angebracht ist, doch haben Lehrer ausreichend Gelegenheit im Deutschunterricht, Kunst oder dem Fach Soziologie, das Thema anzusprechen. Dr. Fritz Heidorn von der Gesellschaft für Umwelterziehung sieht auch keine Notwendigkeit "immer neue Schulfächer zu erfinden". Er möchte lieber die Schüler in Projekte über das Thema Verbraucherkompetenz einführen und Praktika in Betrieben anbieten, die den Schülern die wirtschaftliche Realität zeigen.
Auf der Anklagebank sieht sich auch Ulrich Lissek, Leiter der Unternehmenskommunikation der Deutschen Telekom. Unternehmen sind Pfeiler der Gesellschaft und Industrie und Bildung sei "ein künstlich konstruierter Widerspruch". Die Mitarbeiter der Telekom haben in ihrer Freizeit 35.000 Schulen mit dem Projekt "Schule ans Netz" an die digitale Welt angeschlossen - ohne Namensnennung. Die Unternehmen hätten ein eigenes Interesse, die Ausbildungsqualität zu steigern, damit Schüler und Professoren am Standort Deutschland bleiben. "Wer soll denn die Defizite füllen, wenn es der Staat nicht kann?", so Lissek. Das täten auch keine Bürgerinitiativen. Dr. Andrea Liesner von der Universität Hamburg fragte dagegen, wie lange die soziale Verantwortung der Unternehmen hält, wenn die Kurserwartungen an den Börsen steigen?
Was sagt die Zielgruppe?
www.yomag.net ist ein im Bereich der Verbraucherbildung einmaliges europaweites Internetprojekt. Die Plattform verlinkt Schulklassen und Jugendliche aus zwölf europäischen Ländern und gibt ihnen Gelegenheit, ihre Meinungen über Produkte und Konsumerfahrungen zu veröffentlichen. So berichten beispielsweise englische, litauische und tschechische Schüler in veröffentlichten Aufsätzen über ihre persönliche Sicht der "Werbung in der Schule". Ein Beispiel:
"Lieb´ es oder nicht, Werbung ist Teil unseres Lebens und unserer Kultur geworden und wir müssen lernen, wie man lebt, ohne zum Sklaven der Werbung zu werden. Wenn man einen durchschnittlichen Teenager nimmt, ist das wahrscheinlich unmöglich."
Unter www.verbraucherbildung.de hat die vzbv den Online Kurs "Das ABC der Jugendwerbung" für die Sekundarstufe I aktuell fertig gestellt. Lehrer können diesen Kurs in ihren Unterricht einbinden.
Roland Krieg