Hilft EU-Zufriedenheit May beim Brexit?
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Ist die EU zufrieden, sind es die Brexiteers nicht
Das eine kann das andere nicht sein. Das ist die Kernthese der Brexit-Befürworter. Nachdem die britische Premierministerin Theresa May mehrmals den Ärmelkanal aus diplomatischen Gründen überquerte stand am Sonntag ihr Kompromisspapier auf dem EU-Prüfstand [1].
Angela Merkel
Und die 27 Länder haben das Papier gut geheißen. Nach vielen Jahren der Ressourcenbindung stehen lediglich 15 Zeilen auf drei Absätze verteilt auf dem Abschlussdokument. Mit der Perspektive auf eine Zollunion mit der EU nach der Trennung hätte Großbritannien „eine für einen Drittstaat bisher nie dagewesene Intensität von Beziehungen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Gipfel. Sie erklärte am Sonntag die gute Balance aus Rechten und Pflichten, die sie sieht: „…auf faire Wettbewerbsbedingungen, die Wahrung der Integrität des Binnenmarktes, das ist für uns ja immer ein sehr wichtiger Punkt, mit seinen vier Freiheiten, die Wahrung der Entscheidungsautonomie der Europäischen Union und natürlich auch das Ziel einer ambitionierten Freihandelszone inklusive auch regulatorischer Kooperation und Zollkooperation bei gleichzeitiger Betonung dessen, dass solche Vereinbarungen Grenzkontrollen und insgesamt Kontrollen natürlich nicht vollständig überflüssig machen können.“
Parteien-Ausblick
Parteien sind wortgewaltiger: „Wir begrüßen die erzielte Einigung auf dem Brexit-Gipfel. Mit dem Abkommen wird der Austritt des Vereinigten Königreichs in geordneten Bahnen ermöglicht. Ob es endgültig angenommen wird, hängt noch von der Zustimmung vom Europäischen und Britischen Parlament ab. Angesichts der schwierigen Mehrheitsverhältnisse im Unterhaus ist es gegenwärtig völlig offen, ob dieser noch ausstehende entscheidende Schritt gegangen wird.“ So äußerte sich die europäische Sozialdemokratie. Die undefinierte Grenze zu Nordirland wurde seitens May akzeptiert. Auch, dass die Briten in der Übergangszeit (bis 2020 plus zwei Jahre Verlängerungsoption) den Rechten des Binnenmarktes unterworfen sind, aber nicht darüber mitreden dürfen. Die Zollunion könne über die Übergangslösung hinaus Bestandteil für das Vereinigte Königreich bleiben, falls eine neue Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland droht.
Die Union beurteilt den Ausgang als „zukunftsweisend“. Die stellvertretende Unions-Vorsitzende Katja Leikert weiß aber auch: „Auf britischer Seite kann es natürlich keinen Jubel bei denjenigen geben, die einen möglichst radikalen Bruch mit der EU wollten und den Erfolg der Verhandlungen stets hintertrieben haben. Klar ist allerdings: Nach der aus unserer Sicht falschen Grundsatzentscheidung für den Brexit konnte es keine perfekte Lösung geben. Erzielt wurde aber das bestmögliche Ergebnis unter sehr schwierigen Umständen. Das zeigt auch: Besonnenheit führt zu zukunftsweisenden Lösungen.“
Jo Leinen (SPD) sagte, dass Europaparlament werde den Kompromiss unterstützen. Damit hängt alles von der Entscheidung im britischen Unterhaus ab. Findet May keine gemeinsame britische Position gibt es einen harten Brexit: „Ab Tag 1 nach dem Austritt hätten britischen Universitäten, Studierende, Landwirte keinen Anspruch mehr auf europäische Fördermittel. Die EU würde zunächst auf Rechnungen in Milliardenhöhe sitzenbleiben, die die übrigen Mitgliedstaaten begleichen müssten. Dabei geht es vor allem um die Finanzierung von bereits bewilligten Projekten in der Forschung und der Infrastruktur, die von der EU noch während der Mitgliedschaft Großbritanniens zugesagt worden sind“, warnt Jo Leinen.
Was kommt?
Das Land bleibt gespalten. Auch ein neues Referendum würde bei umgekehrter und knapper Mehrheit die Risse nicht heilen. Eine Verschiebung des Austritts ist wegen der Europawahl 2019 nicht denkbar. Jo Leinen: „Großbritannien müsste in solch einem Fall auch an den Europawahlen im Mai 2019 teilnehmen, was ich weder für politisch vertretbar noch für technisch umsetzbar halte."
Für alle Industriezweige gilt, was Utz Tillmann, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) sagt: „Nächster Schritt sind die finalen Ratifizierungen des Austrittsabkommens durch das Europäische Parlament und das britische Unterhaus. Bis dahin gibt es weiterhin keine Entwarnung: Scheitert die Ratifizierung, gibt es einen ungeregelten Brexit ohne die für die Wirtschaft dringend notwendige Übergangsphase."
Sollte das britische Parlament zustimmen, stehen Fragen nach der „Grenze“ zwischen der Republik Irland und Nordirland erneut auf der Tagesordnung. Der Weg bis diesen Sonntag war schwierig, blickte Merkel zurück und schaute gleich nach vorn: „Wo ein Wille ist, sollte auch ein Weg gefunden werden.“
Der Gemeinschaftsverband der Bauern und Genossenschaften Copa Cogeca begrüßt den Ratsbeschluss, weil er einen Ausblick auf einen geordneten Austritt formuliert. Mehr als 60 Prozent der Exporte des Königreiches gehen in die EU. Und die Briten kaufen je nach Ernährungssektor zwischen 70 und 90 Prozent ihrer Importe in der Gemeinschaft. Copa Cogeca Generalsekretär Pekka Pesonen kommentiert: „Es gibt noch viel zu tun und viel Unsicherheit in den Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien, aber wir sollten das Ergebnis willkommen heißen.“ Der Aufbau neuer Zolltarife und Handelsbedingungen zwischen Großbritannien und der EU sollten vermieden werden.
Schlechte Stimmung im Unterhaus
In Großbritannien wartet Labour-Chef Jeremy Corbyn vor dem Antrag auf ein zweites Referendum noch alle möglichen anderen Optionen ab. Nach einem negativen Votum Anfang Dezember muss Theresa May innerhalb von 21 Tagen dem Parlament erklären, wie es danach weiterginge. Da stünde sogar noch eine Neuwahl ins Haus. Eine Option ohne Referendum. Vor dem Gipfel hatte Corbyn Mays Vorlage als „schlechten Deal“ bezeichnet.
Die nordirische Democratic Unionist Party (DUP) votiert gegen das Abkommen. Die Vorsitzende Arlene Foster machte nach der Einigung der EU daraus keinen Hehl. Die DUP werde nichts zulassen, was Nordirland unterschiedlich zum Rest Großbritanniens mache. Foster präferiert ein Verhältnis zur EU wie Norwegen es hat. Nach Foster gibt es aber viele weitere Ablehnungen zu Mays Deal, was nach britischen Medienberichten ein positives Votum im Unterhaus unwahrscheinlich mache.
John Hayes, Tory im Unterhaus seit 1997, unterstützte Mays Brexit-Politik, sagte aber bereits, dass der jetzt abgeschlossene Deal seine Unterstützung nicht findet.
Brexit-Schau im Kiosk
Viele Details für die Rolle des Königreichs nach dem Austritt werden noch verhandelt. Die besonderen Bedingungen, auf die sich Großbritannien Hoffnung macht, werden nach Ausblick der Frankfurter Rundschau die auch in der EU vorhandene Spaltung nicht übertünchen. „Je konkreter die Austrittsbedingungen für Großbritannien und die Modalitäten der künftigen Beziehung zwischen der EU und London werden, desto stärker werden die nationalen Sonderinteressen jedes einzelnen EU-Mitglieds hervortreten“, heißt es in der Montagsausgabe.
So mahnt das Straubinger Tageblatt die EU zu einer neuen Partnerschaft. Der Brexit-Deal habe keine der Probleme und Herausforderungen der EU27 gelöst: „Eine neue Partnerschaft fällt nicht vom Himmel, die muss man sich erarbeiten – miteinander.“
Spanien hat das Veto wegen Gibraltar zurückgenommen. Das ist für die Mitteldeutsche Zeitung keine Selbstverständlichkeit. Wenn Kommissionschef Jean-Claude Juncker, Ratspräsident Donald Tusk und Brexit-Chefverhandler Michel Barnier Einigkeit demonstrieren, sind die Antworten auf Migration, Euro und Russland noch offen.
Die Allgemeine Zeitung aus Mainz glaubt an ein positives Veto im Unterhaus. Ohne Deal kämen der „harte Brexit“ und das „Chaos“. Das Land bleibe gespalten, weil auch die Übergangszeit plus zwei Jahre Verlängerungsoption alles andere als das Brexit-Versprechen nach einem schnellen Austritt erfüllt.
Die Neue Westfälische Zeitung aus Bielefeld nimmt sich mit dem Brexit den Wunsch von Populisten vor, dass Volksbefragungen nicht immer so ausgehen, wie ursprünglich gewünscht: „Verantwortungslose Lügner vom Schlage eines Boris Johnson und Nigel Farage haben die Briten zum Brexit-Votum verführt und ihre Bürgerschaften gespalten.“ Die Warnung gelte vor allem für Ungarn, Italiener, Franzosen und Polen, sowie jenen Deutschen, „die den Versprechungen der AfD Glauben schenken.“ Der Ratsbeschluss zeige, dass die Brexiteers ihre Politik nicht auf den Kontinent haben übertragen können.
So feiert die Berliner Morgenpost den Ratsbeschluss als Ergebnis der „besseren Verhandler“ in Brüssel. „Drinnen ist schöner als draußen“, heißt es heute Morgen. Sollte es keine Lösung in der Irlandfrage geben, wäre Großbritannien auf ewig in der Zollunion mit Brüsseler Standards gefangen. Das wäre die Kapitulation für die Brexit-Hardliner.
Die Rheinische Post zieht bereits ein Geschichtsfazit. „Immer deutlicher wird, dass die Brexit-Entscheidung als Panne des demokratischen Meinungsbildungsprozesses in die Geschichtsbücher eingehen wird.“
Lesestoff:
[1] Brexit, Gibraltar und DUP: https://herd-und-hof.de/handel-/brexit-gibraltar-dup.html
Roland Krieg