Hurra, die Preise steigen!

Handel

Reparaturarbeiten am Preisgefüge

Über die „Geiz-Ist-Geil-Welle“ zu jammern, hilft dem Handel bei der Erwirtschaftung höherer Margen nicht weiter, solange immer wieder Lebensmittel unter Einstandspreis angeboten und verkauft werden. Das Nahrungsmitteln unter Wert „verschleudert“ werden, beklagt nicht nur der Deutsche Bauernverband (DBV). Über den Preis wird in der Wertschöpfungskette abwärts ein Gewinn bestimmt, der die Produktionsverfahren bei Pflanzen und Tieren vorgibt und letztlich den gesamten ländlichen Raum gestaltet.
Ob Bauern, Händler, Verarbeiter, Verkäufer oder der Verbraucher das Ei oder das Huhn sind, spielt keine wirkliche Rolle. Das gesamte Gefüge hatte eine Richtung eingeschlagen, mit der alle unzufrieden sind. Die Greifswalder Diskussion über verschiedenen Landnutzungsmöglichkeiten zeigte, dass, wenn alle alles wollen und auf dem Land wieder Arbeitsplätze entstehen sollen, das Preisgefüge im Lebensmittelhandel ansteigen muss.
In dieser Woche wurden zwei Studien veröffentlicht, die vor diesem Hintergrund interessante Aspekte beleuchten.

Aktionsware mit deutlich höheren Preisen
„Nun wäre es sicher vermessen, bereits von einer Trendwende zu sprechen, aber immerhin scheint die Preiserosion im Gesamtsortiment der Fast Moving Consumer Goods zumindest gestoppt“, schreiben die Nürnberger Marktforscher von Information Resources GmbH (IRI) in ihrem Bericht über das Preistracking im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) für das zweite Quartal 2006. Die ermittelten Zahlen belegen, dass Deutschland gegenüber den anderen Ländern aufholt: „Denn während nahezu überall in Europa Güter des täglichen Bedarfs teils deutlich teurer wurden, bröckelten die Preise für Nahrungsmittel, Getränke und Drogeriewaren in Deutschland auf breiter Front immer weiter ab.“
Das zweite Quartal 2006 war jedoch bereits das vierte in Folge, dass einen höheren Durchschnittspreis aufwies. Der LEH hat profitiert, weil die Harddiscounter ihr Angebotssortiment umstellten. Sie versuchen Kunden durch eine qualitative Aufwertung mit Mehrwert-Handelsmarken zu gewinnen. Diese Ware führt einen höheren Preis und verschafft dem Vollsortimenter ein wenig mehr Handlungsspielraum. Der Durchschnittspreis für Aktionsware lag sieben Prozent über dem Vorjahresquartal. Bei „regulärer“ Ware lag der Durchschnittspreis zwei Prozent über dem zweiten Quartal 2005.
Die Tabelle zeigt, dass bei den Lebensmitteln Kaffee, Tee, Knabberwaren, aber auch Milchprodukte und Fertiggerichte durchschnittlich höhere Preise erzielten. Die WM war übrigens kein Preistreiber. Zwar könnten Knabberartikel während der WM mehr nachgefragt worden sein, aber Ostern fiel in diesem Jahr in den gleichen Berichtszeitraum. Nur wegen des heißen Juni, der die Lust auf Schokolade eindämmte, lässt in diesem Marktsegment einen kleinen WM-Effekt erkennen.

Preistracking 2. Quartal 2006 zum Vorjahresquartal

Die Marktforscher wagten bereits einen Blick auf die kommende Mehrwertsteuererhöhung: Das bedeutendste ist dabei, dass im LEH nur 21 Prozent aller Waren von einer Erhöhung betroffen sind. Vier von fünf Artikeln unterliegen dem gemäßigten Steuersatz von sieben Prozent. „Das augenblickliche Preisgeschehen bei den Vollsortimentern spricht denn auch für einen recht unaufgeregten Umgang mit dem Thema“, schließt IRI. Drogeriemärkte hingegen sind von der Mehrwertsteuererhöhung wesentlich mehr betroffen.

Synergien beim Bio-Fleisch nutzen
Auf dem reinen Bio-Markt sieht das Preis-Verbraucher-Verhältnis etwas anders aus. Einerseits erwarten die Verbraucher, dass Bio-Waren aufwändiger erzeugt und anders vermarktet werden als konventionelle Produkte – aber auf der anderen Seite sollen sie im normalen Supermarkt zu niedrigen Preisen und in einer breiten Produktpalette erhältlich sein.
Von diesem Spannungsfeld sind die Wissenschaftler Christoph Beukert, Dr. Johannes Simons Prof. Dr. Monika Hartmann von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn ausgegangen und haben die Kosten der Bio-Fleischerzeugung analysiert und die Faktoren gesucht, welche die Nachfrage bestimmen.
Dabei gibt es die Verbraucher, die eine Abgrenzung von den gesellschaftlichen Verhältnissen betonen und für die eine Trennung zwischen ökologischer und konventioneller Wertschöpfungskette von grundlegender Bedeutung ist. Es gibt die Verbraucher, die mit Bio-Produkten eine Balance zum Alltag herstellen wollen und bei denen zusätzlich der Gesundheits- und Genusswert im Vordergrund steht. Und es gibt die Verbraucher, die eine Integration der Bio-Ware in den Alltag bevorzugen und bei denen die „Bedeutung struktureller Unterschiede zwischen der ökologischen und konventionellen Wertschöpfungskette“ nicht an erster Stelle steht.
So unterschiedlich sollen sich auch die Bauern positionieren. Die Unternehmer, die in der Verarbeitung kleine Strukturen aufweisen, könnten das Hochpreissegment bedienen. Für die Bedienung des dritten Marktsegmentes, der Integration, „könnten größere, bisher konventionell arbeitende landwirtschaftliche Betriebe auf die Bio-Erzeugung umstellen und die vorhandenen Schlacht- und Verarbeitungskapazitäten für die Vermarktung von Bio-Fleisch gemäß der EG-Öko-Verordnung“ nutzen.

Handlungsempfehlungen für den Bio-Fleischmarkt
In ihrer Studie sehen die Bonner Experten, dass eine Ausweitung des derzeitigen Angebots an Bio-Fleisch zu einem Rückgang der Preise führen kann. Eine Steigerung des Angebotes würde zu überdurchschnittlichen Preissenkungen führen und dann zu einem Rückgang des Umsatzes führen. So müssen die Betriebe sich „ihrem Marktsegment“ anpassen. Diejenigen, die sich auf die Alltagsintegration spezialisieren wollen, müssen vor allem ihre Produktionskosten senken. Aber Kostensenkungen auf Betriebsebene sind nur durch Betriebsvergrößerungen möglich. Die Studie empfiehlt dabei, ökologische und konventionelle Schweine gemeinsam zu schlachten, zu verarbeiten und zu vermarkten. Auf Erzeugerebene wird das wegen unterschiedlicher Haltung und Fütterung nicht möglich sein. Bei den anderen Arbeitsschritten hingegen ist „keine betriebliche Trennung, sondern nur die eindeutige Identifizierbarkeit der Bio-Ware“ vorgeschrieben. „Neben größenbedingten Kostenvorteilen lassen sich auch Synergieeffekte bei der Distribution erzielen, z. B. durch gemeinsame Nutzung von Büro- und Personalkapazitäten oder durch die Zusammenlegung des Vertriebs von konventionellen und ökologischen Produkten. Hier sehen die Wissenschaftler die größte Kostenersparnis bei Bio-Produkten: Erzeugung und Verarbeitung findet in kleineren und deshalb teureren Betriebseinheiten statt.

IRI und Studie
Die einen kaufen Bio-Produkte zu jedem Preis, die anderen lassen sich mehr von der Preisdifferenz zu konventioneller Ware als von der absoluten Preishöhe abschrecken. Beide in dieser Woche veröffentlichten Beobachtungen harmonisieren etwas die aus den Fugen geratenen Wertschöpfung zum Nutzen aller.
Information Resources ist ein führender Anbieter von Marktforschungs- und Marketing-Beratungsleistungen und führt das Preistracking zusammen mit der Lebensmittelzeitung durch: www.infores.com
Das Projekt des Instituts für Lebensmittel- und Ressourcenökonomik wurde vom Landwirtschaftsministerium NRW im Rahmen des Lehr- und Forschungsschwerpunktes „Umweltverträgliche und standortgerechte Landwirtschaft“ (USL) gefördert und ist unter „Publikationen“ auf www.usl.uni-bonn.de abrufbar.

Roland Krieg; Grafik: IRI

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