Im Interesse der Welt

Handel

Die Komplexität des Biobranche

Zur Eröffnung der BioFach in Nürnberg hat der Vorstandsvorsitzende des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft, Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, den Vorwurf der Lobbyarbeit der Ökobranche erwidert. Zwar wolle und solle auch die Ökobranche vom Landwirt bis zum Händler Geld verdienen und sind in dieser Form Lobbyisten für sich selbst - aber der Ökolandbau betreibt angesichts der Herausforderungen von Klimawandel, Verlust an Biodiversität auch Lobbyismus für die natürlichen Ressourcen. Das ist das gemeinsame Anliegen der Branche, die vor der aktuellen Diskussion um das EU-Budget auf das Europäische Parlament hofft, die Agrarpolitik doch noch einmal nachbessern zu können.

Von Schulverpflegung bis ländliche Entwicklung

Die Stadt Nürnberg macht es vor. Umweltreferent Dr. Peter Pluschke berichtete, dass bis 2014 die Hälfte der Schulverpflegung in Bio-Qualität vorliegen wird. Weltweit wachse nach Andre Leu, Präsident der IFOAM, trotz anhaltender ökonomischer Krise die Biobranche. Leu kritisiert die Pläne der so genannten zweiten grünen Revolution, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen die Welternährung sichern stellen will. In Afrika haben die Menschen pro Kopf aktuell zehn Prozent weniger Lebensmittel als noch in den 1960er Jahren. Um vor allem in Afrika eine Alternative anzubieten hat die IFOAM das Projekt Organic for Afrika ins Leben gerufen [1].

Soziale Landwirtschaft

Die Komplexität der grünen Landwirtschaft und der nachfolgenden Branche zeigt die „Soziale Landwirtschaft“ am besten. Peter Linz führt einen Bioland-Hof in der Nähe von Fulda und hat 60 behinderte Mitarbeiter. Der Betrieb hält 650 Mastschweine, 110 Milchkühe ist Demonstrationsbetrieb für den Ökolandbau und verarbeitet und packt Produkte von anderen Ökobetrieben [2]. Solche Modelle sind in der konventionellen Landwirtschaft schwer zu finden und ein Ausdruck des gesamtgesellschaftlichen Engagements der Biobetriebe über das Hoftor hinaus. Doch, so Linz, solche Modelle sind bedroht. Aus den östlichen EU-Ländern und der Ukraine drängen preiswertere Bio-Importe nach Deutschland und erschweren die Wettbewerbsfähigkeit des Antoniushofes in Fulda.

Gemeinwohlindex

In Deutschland ist die Diskussion um alternative Wohlstandsparameter zum Bruttoinlandsprodukt der Enquete-Kommission vorbehalten [3]. Sie hat jüngst ein Modell vorgestellt hat, das jedoch nur ein Vorschlag an die Bundesregierung ist. Die Biobranche ist da weiter und arbeitet bereits nach vergleichbaren Modellen. Christian Felber, Politikwissenschaftler und Mitbegründer der Gemeinwohlökonomie, will mit 17 Indikatoren soziale und Umweltstandards sowie eine faire Wirtschaft umsetzen. Innerhalb von zwei Jahren sind in Österreich und Deutschland mehr als 1.000 Unternehmen „Gemeinwohl“-zertifiziert und nach Felber stehen die ersten Gemeinwohlregionen vor der Tür [4].
Einer der Grundgedanken ist die demokratisch legitimierte Wirtschaft, die einen Ausgleich für alle Beteiligten findet. Derzeit ist der Wettbewerb jedoch auf die Förderung der Stärksten ausgerichtet. Die Politik könnte mit gegen Null sinkenden Zolltarifen und Mehrwertsteuersätzen, sowie durch Berücksichtigung der öffentlichen Auftragsvergabe, die Gemeinwohl-Wirtschaft unterstützen und im Sinne aller bevorzugen.

Komplexität macht verdächtig

Derart komplexe Ansätze machen per se verdächtig. Zu gerne wird die Biobranche als Gefahr für das derzeitige Wirtschaftssystem diskreditiert. Sie führt jedoch die Diskussion an Stelle des allgemeinen Diskurses. Trotzdem haben Verbraucher es schwer, in einer Scheibe Bio-Käse den alternativen Weltenentwurf zu entdecken. Und harmonisch ist der Diskurs in der Biobranche auch nicht. Die Vielfalt an Biosiegeln verführt zu Unterscheidungen zwischen gutem, besserem und schlechtem „Bio“. Verbraucher stehen mitunter ratlos vor der Kakophonie und scheren im Alltag am Ende alles über einen Kamm.
Die BioFach 2013 findet in der Spannung zwischen Regionalität und Globalisierung statt und steht vor einer der größten Herausforderungen. Regionale Produkte liegen im Trend und werden vermehrt über den Fachhandel mit Beratung vermarktet. Rumänien und Bulgarien bauen ihre Ökofläche aus und fokussieren mangels heimischer Nachfrage und hoher Flächenverfügbarkeit die Warenströme auf den Export. Rumänien, Land des Jahres auf der BioFach, bewirbt daher gezielt die Biosupermärkte als Vertriebskanal für Importware. Der Biomarkt zeigt segmentierende Tendenz.

Projekt versus Massenware

Das ist auch dem Projektcharakter der Biobranche geschuldet. Das Zweinutzunsghuhn entspricht voll dem ökologischen Gedanken der artgerechten Tierhaltung. Berlin verbraucht am Tag, bei durchschnittlichen 224 Eier pro Kopf, rund 2,5 Millionen Frühstückseier. Die Brandenburger Projektbetriebe für das Zweinutzungshuhn kommen derzeit nach Angaben von Meinrad Schmitt, Geschäftsführer des Naturkosthandels terra in Berlin, auf maximal 3.000 Tiere. Das ist eine große Differenz. Die einen wollen das traditionelle Zweinutzungshuhn mit einer Marktdurchdringung innerhalb von 15 bis 20 Jahren einführen, die anderen suchen nach schnelleren Lösungen und arbeiten auch mit der konventionellen Industrie zusammen [5]. Der Kunde entscheidet an der Ladenkasse auch über den Zeitpunkt, wie lange er warten will. Welches „bio“ dann besser als das andere ist, hat außerhalb der Branche eher einen „Nervcharakter“.

Der Sog der Marktsättigung

Zehn Jahre lang nur 4.000 Produkte – das geht nicht, sagte Elke Röder, Geschäftsführerin des Bundesverband Naturkost Naturwaren BNN. Der konventionelle Handel sucht sich mit 20.000 Neuprodukten im Jahr ständig neue Marktnischen. Der Aufwand ist sehr hoch, weil 19.000 davon „floppen“, vermerkt Röder. Diesem Innovationssog kann sich aber auch die Biobranche nicht entziehen. Die Bio-Tiefkühlpizza ist nach anfangs argwöhnischer Betrachtung im Einkaufskorb angekommen. Derzeit fragt sich die Branche: Ist Convenience noch „Bio“ [6]? „Me too“ hat auch den Biohandel erfasst. Doch nach Elke Röder fragen sich immer mehr Bio-Akteure, ob jede Innovation im konventionellen Handel auch für den Biobereich wirklich Sinn macht. Braucht man das Produkt, reicht es, nur die Rezeptur zu ändern, schafft es einen wirklichen Mehrwert, den die Heumilch beispielsweise verspricht? Meinrad Schmitt liefert mittlerweile auch schon 13.800 Produkte aus. Und die meisten kommen aus der Region.
Die Kunden wollen neues ausprobieren. Damit kann die konventionelle Lebensmittelindustrie spielen. Das muss auch die Biobranche können und dürfen. So haben die Rohköstler schon in Zucker geröstete Nüsse als Knabberspaß auf den Markt gebracht.

An Kreativität fehlt es der Biobranche definitiv nicht.

Lesestoff:

[1] www.organic-africa.net

[2] Soziale Landwirtschaft

[3] Leitindikatoren für den Wohlstand

[4] www.gemeinwohl-oekonomie.org

[5] Grenzen des Zweinutzungshuhn

[6] Wie „Bio“ ist Convenience?

Roland Krieg

[Sie können sich alle Artikel über die diesjährige BioFach mit dem Suchbegriff „ BF-13“ im Archiv anzeigen lassen]

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