Keine Chance ohne Nachhaltigkeit

Handel

Sustainability: Quo vadis?

>Auf der Konferenz zur Nachhaltigkeit vor der BioFach in Nürnberg erinnerte Alexander Müller, Beigeordneter Direktor der FAO in Rom, noch einmal an die Dringlichkeit einer Ernährungs- und Agrarwende. Drei Milliarden Menschen mehr wird es künftig auf dem Planeten Erde geben, wobei die meisten in den Entwicklungsländern und dort besonders in den Städten leben werden. Ohne Berücksichtigung der Nachhaltigkeit wird das aktuelle Ernährungssystem zusammenbrechen, so Müller. Man wird ehr Nahrung je Flächeneinheit produzieren müssen. Angesichts eines Wasserbedarfs, der sich bis 2050 nahezu verdoppelt, einer zurückgehenden Flächenverfügbarkeit und einer steigende Nachfrage nach Energie eine schwierige Aufgabe. Bereits 2004 haben die Nicht-OECD-Länder erstmals mit 231 Terrajoule mehr Energie verbraucht als die OECD-Länder. Um die Ressourcennutzung in ein Gleichgewicht zu bringen, braucht die Menschheit ein neues Business-Model. Kernaufgaben werden nach Müller sein: Integration von nicht-marktfähigen Werten und Ökosystemmanagmentaufgaben in die Ökonomie. Dazu braucht es klare Regeln von der Politik. Gegenüber den Verbrauchern müssen privater und öffentlicher Sektor volle Prozesstransparenz gewährleisten, Investitionen in Ausbildung und Nachhaltigkeit müssen gestärkt werden, wie auch die agroökologische Forschung. Die Handelswege zwischen Stadt und Land müssen kürzer und die Energieeffizienz gesteigert werden.

Zeit nehmen
Für Katherine diMatteo, Präsidentin von IFOAM (International Federation of Organic Agricultural Movement) ist es mit Blick auf die Entwicklungsländer wichtig, sich Zeit zu nehmen. Wer die Umstellung auf die ökologische und nachhaltige Produktion nicht in zwei Jahren schaffe, der soll sich fünf Jahre Zeit nehmen. Wichtig ist der Weg dahin und bei allen vorgegebenen Standards dürfen die Organisationen nicht vergessen, dass die Bauern vor Ort sie auch erfüllen können müssen. Nachhaltigkeit ist für Betriebe und Unternehmen eine Reise, auf die sie sich begeben müssen. Das Zertifizieren sei das leichteste. Die erfolgreichen Unternehmen sprechen und arbeiten mit den Bauern und Händlern, machen sie zu einem Teil der nachhaltigen Wirtschaftskette.

Nachhaltige Karriere
Die Universität Lüneburg bietet ab September wieder einen neuen Studiengang „Sustainable Management“ an. Der Studiengang vermittelt während vier Semester betriebswirtschaftliche Kenntnisse und Fähigkeiten, Soft Skills und Handlungskompetenz an. Durchgängig geht es um die Frage, wie die nachhaltige Unternehmensentwicklung umgesetzt werden kann. Der MBA Sustainable Management ist eine ideale Weiterbildung für Mitarbeiter und Führungskräfte und kann berufsbegleitend in 24 oder in Vollzeit in 12 Monaten absolviert werden. Details: www.sustainament.de

Eher Markenlabel als Produktlabel
In der Regel sprechen Handel und Unternehmen das Thema Nachhaltigkeit nicht von alleine an, berichtet Prof. Dr. Bernd Hallier, Direktor des EHI Retail Institut. Der Handel ist sehr heterogen. Tchibo ist da etwas weiter. Für Achim Lohrie, Vorstand bei Corporate Responsibility bei Tchibo, ist es klar: „Wenn wir als Kaffeeproduzenten den Boden als Produktionsgrundlage verlieren, dann können wir unser Geschäft einstellen.“ Sein Traum geht aber über ein Produktlabel hinaus. Die Kunden wollen den gut schmeckenden Kaffee weiter trinken, doch dann den Kauf mit einem Zusatznutzen versehen. Sie wollen sich nicht mit den Eigenschaften und Ideen der verschiedenen Organisationen und Siegel auseinandersetzen, sie wollen bei ihrer Marke ein Produkt kaufen, das bereits alle Nachhaltigkeitsregeln berücksichtigt.
Den Traum hat er nicht alleine, denn Wim Bartels, Vorstand der Nachhaltigkeitsabteilung bei KPMG, prognostiziert das gleiche. Langfristig, und vielleicht bereits in zehn Jahren, sind die Produkte über die Unternehmen zertifiziert. „Die verschiedenen Siegel sind nur Wegmarken auf der Nachhaltigkeitsstraße.“

Fairer KaffeeLanger Reiseweg
Der Konferenzabschluss am Mittwoch Abend brachte noch einmal das Resümee auf den Punkt: „Nachhaltigkeit ist eine Reise!“ Der Satz hat es allen angetan, was aber auch verständlich ist. Es ist nicht nur so, dass es zu viele verschiedene Ansichten über „Nachhaltigkeit“ gibt, wie sie bewertet werden kann; Michael Kuhndt, Direktor vom Center Sustainable Consumption and Production erinnerte daran, dass die Nachhaltigkeit bereits bei den Konsumenten beginnt. In einer Lebenszyklusanalyse eines Produktes spielten die Herstellungsaufwände für ein Auto eine geringere Rolle, als die Intensität seiner Verwendung beim Konsumenten. Daher müsse der Kunde zunächst sein Konsumverhalten auf Nachhaltigkeit überprüfen und nachschauen, was er alleine bei sich verbessern kann. Nachhaltigkeit ist nicht nur eine Erwartung an andere, etwas zu tun.
Vergleichbares formulierte auch der frühere EU-Agrarkommissar Dr. Franz Fischler. Bei europäischer Betrachtung der nachhaltigen Produktion stehen mehr die neuen Kolonialwaren wie Kaffee, Tee oder Kakao im Vordergrund. Mit der Ökologisierung dieser Warenströme ist die Ernährungssicherheit in den Entwicklungsländern noch lange nicht hergestellt. Nachhaltigkeit bedeutet im globalen Kontext, anderen die Möglichkeit zur Entwicklung zu geben und nicht nur für das eigene gute Gefühl zu sorgen.
So ist die Diskussion um die Nachhaltigkeit noch lange nicht beendet. Die finnische Delegation wollte den Dreiklang ökologische, ökonomische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit um die vierte Dimension „Kulturelle Nachhaltigkeit“ erweitern. Das sowieso schon sehr komplexe Thema solle aber nicht unnötig verkompliziert werden, hieß es – die kulturelle Verwirklichung stecke in der sozialen Gerechtigkeit bereits drin.

Werkzeugkiste Nachhaltigkeit
Generell biete die Wirtschaftskrise eine Chance für den ökonomischen Wandel, der bereits von vielen Unternehmen begonnen werde. Politische Anreize für öffentliche und private Investitionen sollen die Reise in die Nachhaltigkeit beschleunigen. Dazu gehört in die gesellschaftliche Werkzeugkiste die volle Transparenz für die Investoren, was mit ihren Geldern erreicht wird. Viele Standards und Messwerte befinden sich gerade erst im Aufbau . Die Mitarbeitermitbestimmung oder Grundzüge der kindlichen Ausbildungschancen sind schwerer zu messen als die eine Aufforstungsfläche. Keine Chance hat das Klimalabel, das möglicherweise nur eine Zeiterscheinung ist. Der CO2-Abdruck ist nur ein Bestandteil im nachhaltigen Portfolio eines Produktes.

Roland Krieg

Teil I gibt es hier

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