Klimapolitik in schwierigen Zeiten

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EU fehlt der Masterplan für eine kohlendioxidarme Industriepolitik

EU-Parlament

Steigerung der Energieeffizienz, Einsparung am Energieverbrauch, wirtschaftliches Wachstum auf und durch die Märkte der erneuerbaren Energien. EU-Klimakommissar Miguel Arias Canete stellte am Dienstag im EU-Umweltausschuss den Ende 2018 verabschiedeten Plan „Ein sauberer Planet für alle“ vor. Die Einleitung entbehrt nicht der Dringlichkeit, die Wirtschaft zu ändern. Das Papier erinnert noch einmal an die Selbstverpflichtung der EU-Klimaziele für 2050.

Ein Netto-Emissions-Europa 2050 ist nach Ansicht von Jerome Meessen von ClimAct möglich. Drei Viertel der Reduktionsziele gegenüber dem Referenzjahr 1990 sind allein durch eine effiziente Nutzung vorhandener Technik umsetzbar, sagte er in der angesetzten Anhörung über die europäischen Klimaziele. Dazu müssten aber die Klimaziele 2030 forscher angegangen werden. Innovation im Bereich des Klimaschutzes sei nicht nur ökonomisch zu lösen, sondern auch eine soziale Aufgabe. Konsumgegenstände müssen länger genutzt werden, Die Nutzung sollten sich mehrere Akteure teilen.

Paris und Katowice

Nach den Pariser Klimazielen hat die Vertragsstaatenkonferenz in Katowice (COP24) jetzt auch ein Regelbuch herausgebracht, wie das Kyoto-Protokoll ab 2021 fortgeführt werden kann. Doch was in Paris noch einfach war, zeigte sich in Polen als größere Herausforderung der Weltgemeinschaft, erklärte COP24-Präsident Michal Kurtyka, der als Staatssekretär im polnischen Umweltministerium tätig ist. Wirtschaftlicher Nationalismus und Klimagegner haben das Thema in nur drei Jahren zwischen Paris und Katowice an den Rand des Scheiterns gebracht. Kurtyka fordert die EU zu einer Einzelland-Analyse auf. Schließlich will die Union gemeinsam ihr Ziel erreichen. So können verschiedene Länder unterschiedliche Lasten für die gemeinsame Klimapolitik schneller mit verschiedenen Geschwindigkeiten erreichen: Wir müssen hier gemeinsam denken!

Die Wirtschaft ist bereit. Sie steht vor dem Durchbruch bei der Wasserstoffnutzung, kann CCS nutzen und werde die Kreislaufwirtschaft in Richtung kohlendioxidarme Wirtschaft weiterentwickeln. Allerdings müssen die Projekte innerhalb der nächsten zehn Jahre fertig gestellt sein, denn sie brauchen noch einmal zehn bis 20 Jahre für die Ausbreitung in die Fläche. Es bleibt also nicht mehr viel Zeit, stellte Marco Mensink, Generaldirektor des Rates der Europäischen Chemie (CEFIC) fest. Die Zeit ist nicht das einzige Problem. Um Stahl und Chemie zu elektrifizieren und auf Wasserstoff umzustellen, wird die Industrie im Jahr 2050 die vier- bis fünffache Menge des heutigen Strombedarfs benötigen. Der Strom muss erst noch produziert werden. Unklar sei auch, woher die notwendigen Investitionen herkommen sollen. Mensik vermisst einen Masterplan für die industrielle Klimawende in Europa. Wie werden sich im Herbst dieses Jahres die neuen Kommissare dazu aufstellen? Wird die Wirtschaftskommission der Umweltkommission übergestellt? Oder umgekehrt?

Geld ist genug da

Rachel Ward leitet den Fachbereich Politik in der Vereinigung Institutioneller Investoren für den Klimawandel (IIGCC). Rund 22 Billionen Euro stehen auf der Aktiva-Seite. Zu den Mitgliedern zählen beispielsweise die riesigen Pensionsfonds, die für ihre Gelder grüne Investitionen suchen. Der Anteil an grünes Investment ist zwischen 2014 und 2016 um mehr als ein Drittel angestiegen. Doch das größte Investitionshemmnis sei die Politik. Auch grüne Investoren brauchen klare Vorgaben, transparente Vorschriften, Rechtssicherheit und Langfristigkeit bei konkreten Projekten. Für die Zeit nach dem Investment müssten klare Einkünfte erkennbar sein. Investorennetzwerke von anderen Kontinenten informierten sich beim IIGCC über den Fortgang in Europa. Die EU diene daher als Vorreiter für den globalen Wandel beim grünen Investment. Das Kommissionspapier gebe einen guten Rahmen vor. Die jährlich rund 180 Milliarden Euro für den Klimaumbau für den Zeitraum 2020 bis 2030 seien realisierbar – wenn die Politik mit ihren Rahmenbedingungen mitspielt.

Lokale Akteure

Dabei müssen die Akteure nicht nur am großen Rad drehen. Claire Roumet vertrat den EU-Rat der Bürgermeister. Die Städte sind als lokale Akteure in der EU mittlerweile anerkannt und stellen mit ihrer Energiegovernance den lokalen Bezug her. Die Kommunen reagierten direkt auf Bürgerbewegungen und in Frankreich reagierten sie besser als Paris auf die Gelbwesten. Diese sprechen sich nicht gegen einen gemeinsamen Übergang aus – der muss nur als gemeinsam auch erkennbar sein. Es gehe nicht, dass Pkw-Besitzer belastet werden, während Flieger und Binnenschiffer von Lasten befreit sind. Dann sei die Übereinstimmung bereits verloren gegangen. Neu ist der Friday for Future, den die 13-jährige Greta Thunberg mit ihrer Rede auf der Klimatagung in Katowice ins Leben gerufen hat. Die schwedische Idee breitet sich jetzt auch in Deutschland aus und wird von Kritikern als offizielles Schulschwänzen diskriminiert.

Wenn die fehlende Gemeinsamkeit die Transformation bremst, dann liegt es an der Politik. Das Klimapapier der Kommission bezeichnet der Energieberater Benjamin Denis im Europäischen Gewerkschaftsbund als Paradigmenwechsel. Es gehe nicht mehr um einen defensiven Ansatz, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, sondern blickt in die Zukunft der Lösungen. Lediglich im EU-Haushalt fehlt die Dringlichkeit des ersten Abschnittes. Die EU müsse endlich die offenen Fragen zu staatlichen Beihilfen für den Wirtschaftsumbau klären. Investitionsgelder für die private Wirtschaft müsse auch zu neuen Arbeitsplätzen führen. Und: Zehn Prozent der europäischen Haushalte sind nicht mehr in der Lage ihr Heizbedürfnis zu erfüllen. Im Vergleich zur einkommenskurve steigen Strompreise, Gebühren und Steuern schneller an und führen zur Energiearmut. Umverteilungseffekte dürfen nicht zu Lasten der armen Haushalte gehen. Auch der Ausgleich dieser Missstände muss bei der Investition berücksichtigt werden, Es sei nicht nur mit einer Wirtschaftspolitik getan. Wo das fehlt, gehen die Menschen auf die Straße. Wie in Belgien und Frankreich.

Ohne diese Lösung gibt es keine Akzeptanz für weitere Schritte, warnt Denis.

Am gleichen Tag in Deutschland

Während der Umweltausschuss in Brüssel seine Anhörung zur Transformation der Wirtschaft abhielt, trafen in Deutschland folgende Meldungen ein.

Preisdiskussion

Der jetzt beschlossene Ausstieg aus der Braunkohle werde nach Ansicht von Manuel Frondel vom RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung den Strompreis an der Börse um 20 Prozent nach oben treiben. „Für einen Dreipersonenhaushalt mit einem jährlichen Verbrauch von typischerweise 4.000 kWh bedeutet das 40 Euro im Jahr an Mehrkosten“, sagte er in der Rheinischen Post.

Eine Preisreform im Bereich der Mobilität fordert, ebenfalls in der Rheinischen Post, der konservative Seeheimer Kreis in der SPD. Seeheimer-Sprecher Dirk Wiese nahm sich gleich mehrere Mobilitätsaspekte vor: „Es braucht massive Investitionen für Schienenwege und in neue Züge. Auf Bahnfahrten soll der verminderte Mehrwertsteuersatz gelten. Eine Fernbus-Maut muss eingeführt und Flugbenzin endlich besteuert werden.“ Im letzten Jahr flogen allein im deutschen Flugraum 4,2 Millionen Flieger mehr als 2016. Die Deutsche Flugsicherung registrierte 3,34 Millionen kommerzielle Flüge. Der Fahrgastverband Pro-Bahn unterstützt die Vorschläge.

Dieselverschiebung

Was schon früh beim Dieselskandal die Runde machte, wird langsam Realität. Die deutschen Dieselfahrer geben ihre Autos ab. Diese aber verschwinden nicht, sondern fahren in Osteuropa weiter. Die meisten Diesel gehen nach Recherche der taz nach Rumänien, Tschechien und der Slowakei.

Carport von Münch Energie

Carports erzeugen Energie dezentral

Mario Münch ist von der Elektromobilität überzeugt. Doch die Deckung des Energiebedarfes ist ein Problem in der Realität. Mario Münch stellt ein Gedankenexperiment auf: „Um die gesamte deutsche Fahrzeugflotte elektrisch zu betreiben, würde die Energie einer Fläche von 25 mal 25 Kilometern genügen, die mit Photovoltaik-Modulen ausgestattet ist. Gerade einmal 0,17 Prozent der Fläche Deutschlands würden ausreichen, um die etwa 46,5 Millionen zugelassenen Fahrzeuge mit Energie zu versorgen. Viel intelligenter und naheliegender ist es aber, diese Anlagen auf bereits bebauten Flächen dezentral direkt beim Verbraucher zu installieren.“ Der Geschäftsführer von Münch Energie aus dem fränkischen Rugendorf nördlich von Kulmbach bietet Carports an, die auf der Fläche eines Kfz-Stellplatzes Fortbewegungsenergie für jährlich 20.000 km erzeugen. Nahezu jeder Parkplatz kann in dieser Form zu einem kleinen Kraftwerk umgebaut werden. Der Liter Treibstoff kostet umgerechnet dann nur noch 14 Cent. Das 2004 gegründete Unternehmen übernimmt sogar die Investitionskosten und beschäftigt heute 75 Mitarbeiter.

Windenergie an Land bricht ein

Nach den von der DeutschenWindGuard ermittelten Zahlen, bricht der Brutto-Zubau von Windenergieanlagen an Land im Gesamtjahr 2018 regelrecht ein. Mit lediglich 2.402 Megawatt (MW) bzw. 743 Anlagen fällt der Neubau noch hinter das Niveau von 2013 zurück, obwohl die Nachfrage nach erneuerbarem Strom perspektivisch deutlich zunehmen wird. Der Zubau entspricht einem Rückgang von 55 Prozent im Vergleich zum Gesamtjahr 2017. Er liegt damit deutlich unter der von Bundesverband WindEnergie (BWE) und VDMA Power Systems zur Jahresmitte 2018 geschätzten Zahl von 3.300 MW. Grund für den geringen Zubau ist der hohe Anteil der Zuschläge für Projekte ohne Genehmigung, die die Ausschreibungen in 2017 dominiert haben und bislang nicht realisiert wurden. Darüber hinaus konnten über 900 MW-Übergangsanlagen nicht fristgerecht ans Netz gehen. Dafür gibt es drei wesentliche Ursachen: Eine erteilte Genehmigung schafft inzwischen keine Rechtssicherheit mehr, weil fast jede Genehmigung beklagt wird. Diese Verfahren nehmen immer mehr Zeit in Anspruch und verzögern damit die Umsetzung. Zum anderen gab es Projekte, die unter dem Eindruck der stark degressiven EEG-Vergütung in eine Umgenehmigung gegangen sind, um sich für eine Beteiligung an Ausschreibungen vorzubereiten. Darüber hinaus haben sich Projektträger erst nach dem Stichtag 28.02.2017 entschieden, nach dem Auslaufen der Übergangsfrist am 31.12.2018 doch an Ausschreibungen teilzunehmen.

Biokraftstoff in der Landwirtschaft

Die Biokraftstoffverbände in der Land- und Forstwirtschaft fordern eine Strategie für mehr Biokraftsstoffe im Tank. Das soll in dem in diesem Jahr geplanten Klimaschutzgesetz Deutschland verankert werden. „Für den Einsatz von Biokraftstoffen in der Landwirtschaft ist es elementar, dass die beihilferechtliche Genehmigung auf EU-Ebene bis mindestens 2030 gewährt wird, um die Steuerbegünstigung oder andere Anreize zu ermöglichen und ein Signal der Verlässlichkeit an die Branche zu senden. Hierzu muss die Bundesregierung bei der EU-Kommission umgehend eine beihilferechtliche Genehmigung bis 2030 beantragen. Die Energiesteuerrichtlinie erlaubt eine entsprechende Begünstigung der Land- und Forstwirtschaft“, stellt der Vorsitzende der Branchenplattform Michael Horper den zentralen politischen Handlungsbedarf heraus. Zudem sei die Einführung eines vereinfachten Steuerentlastungverfahrens bei Bezug von Pflanzenöl, Biodiesel oder Biomethan durch Änderung des Energiesteuergesetzes notwendig. Eine solche Änderung würde den Umstieg auf erneuerbare Kraftstoffe finanziell attraktiver machen und die vom Gesetzgeber gewollte Steuerentlastungswirkung komme so wesentlich besser und mit weniger Bürokratie zum Tragen.

Treibstoff für den Schwerlastverkehr

Bei Lastkraftwagen stellen sich andere Fragen. Die Netzwerkagentur erneuerbare Energien Schleswig-Holstein hatten zur EE-Werkstatt „LNG oder Wasserstoff – Handlungsoptionen für die Logistik-Branche“ eingeladen. zwar ein fossiler Brennstoff und trägt damit kaum zur Verbesserung der CO2-Bilanz bei, doch bei seiner Verbrennung entstehen 50 % weniger Stickoxide und kaum Feinstaub. „LNG als Kraftstoff wird für den Klimaschutz noch interessanter, wenn man synthetische Kraftstoffe beimischt“, führte Kurt-Christoph von Knobelsdorff vom Kieler Wirtschaftsministerium aus. Wasserstoff, hergestellt mithilfe von Wind- oder Sonnenstrom – so genannter „grüner Wasserstoff“ – könne Grundstoff für solche synthetischen Kraftstoffe oder für die chemische Industrie sein oder selbst als Antriebsstoff und Energieträger dienen.

Lkw mit LNG-Antrieb sind bereits jetzt von verschiedenen Herstellern am Markt erhältlich, wie die Vertreter der Lkw-Hersteller Iveco Magirus und Volvo Trucks, Manfred Kuchlmayr und Michael Scheuern, ausführten. Brennstoffzellen-elektrische Antriebe für Pkw sind zwar schon serienreif, für Lkw jedoch noch im Demonstrations-Stadium. Das Problem: Weder für LNG noch für Wasserstoff gibt es bisher ein flächendeckendes Tankstellen-Netz. Doch das soll sich ändern: Die LIQVIS GmbH installiert zurzeit acht neue LNG-Tankstellen in Deutschland und ist bereit mehr zu bauen, sobald an einem Ort mehr als 30 LNG-Lkw vorhanden sind. Für Wasserstoff-Tankstellen will das Firmenkonsortium H2-Mobility sorgen. Es hat bereits 60 Tankstellen in Deutschland gebaut und plant 40 weitere

Roland Krieg, VLE; Foto: roRo und Münch Energie

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