Kontinuität beim BLL

Handel

Dr. Werner Wolf neuer Präsident des BLL

Auf der Jahreshauptversammlung des Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) wurde am Donnerstag Vormittag Dr. Werner Wolf zum Nachfolger des Präsidenten Dr. Theo Spettmann gewählt. Dr. Wolf erklärte, dass er voller Erwartung und mit viel Respekt den Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft führen will.

Wolf steht für Kontinuität
In seiner letzten Rede wandte sich Spettmann noch einmal gegen „grenzwertig inszenierte Fernsehdiskussionen“, die gegen die Lebensmittelindustrie zu Felde zögen. „Die Lebensmittelwirtschaft praktiziert Verbraucherschutz“, so Spettmann und mit der Überregulierung durch die Health Claims würde „ein düsteres Kapitel der Rechtsgeschichte aufgeschlagen.“
Der BLL sei in seiner neunjährigen Amtszeit die Interessen der Lebensmittelindustrie in schwierigen Zeiten wachsender „Politisierung und Ideologisierung“ als Repräsentant der ganzen Kette aufgetreten. Als Erfolg darf der BLL seine Arbeit verbuchen, am Aus der Ampelkennzeichnung mitgewirkt zu haben. Nachdem Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner im Interview mit der Lebensmittelzeitung zum letzten Wochenende auch einer nationalen Öffnung für eine deutsche Ampel keine Chance einräumte, ist ein endgültiges Verbot „zum greifen nahe“, so Spettmann: „Gegen alle Kampagnen, gegen alle Rhetorik!“
„Ich bin daran interessiert, Probleme zu lösen“, sagte Dr. Wolf in seinem ersten Pressestatement. „Wir leben nicht von kranken Verbrauchern.“ Der Geschäftsführer der Bitburger Braugruppe wehrt sich im neuen BLL-Amt gegen die unterschwelligen Vorwürfe der Nichtregierungsorganisationen, die Lebensmittelindustrie würde die Verbraucher vergiften und täuschen. Wolf will mit der Öffentlichkeit sachlich diskutieren, um die Schwarzweiß-Malerei beenden.
Dr. Werner Wolf benannte die ersten Aufgaben, denen er sich widmen will. Die Evaluierung des Verbraucherinformationsgesetzes (VIG) steht an. Wolf will die Interessen der Verbraucher mit den Interessen der Firmen ausbalancieren und sieht die Notwendigkeit „Missbräuche“ zu unterbinden. Dazu zählt Wolf „Ausforschungsergebnisse ins Blaue hinein“, mit denen Nichtregierungsorganisationen die Behörden monatelang beschäftigten und hinterher darüber klagten, dass die Beantwortung der Anfragen so lange dauerten. Zudem müssten Geschäftsgeheimnisse vor allem vor der internationalen Konkurrenz bewahrt werden können.
Derzeit wird in Europa über eine verpflichtende Herkunftsangabe nachgedacht. Der BLL hält diese Regelung für unpraktikabel, weil die Firmen ihre Zutaten mittlerweile europaweit von wechselnden Produzenten beziehen. Eine Firma, die drei mal in der Woche die Zulieferer wechselt, könne nicht alle Herkünfte angeben.

Industrie nutzt Nährwertangaben
Bereits vor drei Jahren hat der BLL zusammen mit der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) die Nutzung von freiwilligen Nährwertangaben untersucht. In diesem Jahr wurde bei einer Studie, die mehr als 63.000 Produkte repräsentiert, nachgeschaut, wie sich die Nutzung verändert hat, und welche Angaben überhaupt angeboten werden.
Die Lebensmittelindustrie kennzeichnet mittlerweile drei von vier Produkten mit Nährwertangaben aus. Gegenüber dem Jahr 2007 stieg die Verwendung um 10 Prozentpunkte auf 78 Prozent. Die Steigerung betrifft laut GfK-Studie alle Warengruppen. Zudem ist das Informationsangebot umfangreicher geworden. Viele Firmen haben die „Big 4“ – Angaben (Energie, Kohlenhydrate, Fett und Eiweiß) auf „Big 8“ ausgeweitet. Sie führen noch Zucker, gesättigte Fettsäuren, Ballaststoffe und Natrium mit an.

Nutzung von Nährwertangaben (Angaben in %)

Bei angebotenen Artikeln

Bei gekauften Artikeln

2007

2010

2007

2010

Big 4

44

32

48

29

Big 8

24

46

28

54

o. Big 4/ Big 8

32

22

24

17

Q: GfK

Die GfK hat noch weitere Anstiege herausgefunden. Die Zahl der Hersteller, die mit den so genannten „Guideline Daily Amount“ (GDA) Portionsanteile benennen hat sich verzehnfacht. Viele ergänzen ihre bisherigen Angaben auf dem Produkt mit den GDA. Firmen nutzen bei 83 Prozent der Produkte die Verpackung auch zur Kundenkommunikation. Käufer finden Internetadressen, Telefonnummern und Kundenhotlines, wo sie sich zusätzlich über das Produkt informieren können.

Lissabon und die Lebensmittelindustrie
Der Vertrag von Lissabon wird Auswirkungen auf die Lebensmittelindustrie haben. Auch wenn es derzeit noch keiner weiß. Prof. Dr. Werner Schroeder, Leiter des Institut für Europarecht und Völkerrecht der Universität Innsbruck zeigte auf der BLL-Tagung die Position des Lebensmittelrechts in Europa auf.
Das gibt es nämlich gar nicht, so Dr. Schroeder. Der Vertrag von Lissabon bestehe aus aus einer verfassungsrechtlichen Grundlage und aus einem Arbeitsvertrag für die EU, der die Kompetenzen und Sektoren regele. Und Lebensmittelrecht ist eine Querschnittsaufgabe, die sowohl vor dem Vertrag von Lissabon als auch jetzt keinen eigenen Kompetenzbereich hat. Das Thema wird dem Binnenhandel zugeordnet, weil die Produkte auch innerhalb des Binnenmarktes gehandelt werden. Da aber auch das Gesundheitsrecht als Kompetenzbereich in der EU fehle, werde die Gesundheitspolitik über die Binnenmarktkompetenz geregelt. Und diese versteckte Gesundheitsregelung betrifft das Lebensmittelrecht – wie bei dem Thema der Health Claims, den gesundheitsbezogenen Angaben. So würden Gesundheitsvorschriften für eine gesunde Lebensführung als „Werbeverbote augenzwinkernd im Bereich des Binnenmarktrechts“ umgesetzt.
Wichtiger für die Lebensmittelindustrie sei allerdings, dass Lissabon dem einzelnen Bürger erstmals die Möglichkeit gibt, sich gegen Europaverordnungen rechtlich zu beschweren und zu klagen. Die seit 2004 bestehende Grundrechtscharta wurde durch Lissabon verbindlich und bietet dem Europabürger Schutz vor gesetzlichen Einschränkungen. Mit einer Million Unterschriften aus 27 Mitgliedsländern können die Bürger über das Europäische Parlament erheblichen Druck ausüben, auch Regelungen wie die Health Claims Verordnung kippen, oder forcieren.

Lissabon und Europaverfassung
Nach Ansicht von Prof. Rudolf Streinz aus München ist der Vertrag von Lissabon weitgehend identisch mit dem ungeliebten und letztlich gescheiterten Verfassungsentwurf der EU. Der Vertrag von Lissabon verzichte auf alle „staatsähnlichen Elemente“ und vermeidet es daher, die EU als „Superstaat“ zu definieren. Für das Lebensmittelrecht haben sich im Wesentlichen nur die Nummern der Artikel geändert.
Q: Streinz, Rudolf: Vertrag von Lissabon in Kraft – Folgen für die Lebensmittelwirtschaft, in: Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht, 15. Februar 2010; S. 1

Nach Dr. Schroeder hat sich noch etwas geändert. Auch die nationalen Parlamente haben im Rahmen der Kontrolle für das Subsidiaritätsprinzip die Möglichkeit erhalten, Beschwerde einzulegen. Das soll für Europa ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren vorgeben. Die Stärkung der nationalen Parlamente für Europa wirkt direkt auf die Lebensmittelindustrie.

Lesestoff:
www.bll.de

Roland Krieg; Foto: Werkbild

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