Konzern, Macht und Fremdbestimmung

Handel

Von Konzern- und Wissensmacht

Vor 60 Jahren wurde mit dem Bundeskartellamt eine Behörde geschaffen, die einen freien und daher fairen Wettbewerb sicher stellen soll. Im Sinne der künftigen Unternehmer, der Kunden und der Fairness. Wirtschaftsminister Ludwig Erhard hat hart dafür gekämpft, denn die deutsche Wirtschaft war zuvor durch Kartelle geprägt. Adressat seines fairen Wettbewerbes ist der Verbraucher: „Nicht der Staat hat darüber zu entscheiden, wer am Markt obsiegen soll, auch nicht eine unternehmerische Organisation wie ein Kartell, sondern ausschließlich der Verbraucher.“

Die Aufsicht über den Markt ist eine zeitlose Aufgabe, wie das Bundeskartellamt erst in dieser Woche bescheinigte. Weil das Deutsche Milchkontor die Kündigungsfristen auf 12 Monate halbiert hat, stellt die Bonner Behörde das Musterverfahren ein [1]. Marktmacht zu Nachteilen von Verbrauchern und Milcherzeugern kann offenbar auch in einer Genossenschaft entstehen. Auch im Staatsmonopolkapitalismus hat der „fürsorgende Staat“ zu Fehlallokationen geführt und musste Verbraucherpreise hoch subventionieren, weil es an unternehmerischem Wettbewerb mangelte. Außerdem: Die temporäre Bevorzugung von beispielsweise erneuerbaren Energien hat deren Entwicklung innerhalb eines Marktes schneller vorangebracht. Einfach lässt sich die Frage, welche Macht ein Unternehmen hat, sicher nicht beantworten.

Konzernmacht beschränken

Vor diesem Hintergrund ist das Positionspapier „Konzernmacht beschränken“, das 24 Verbände in dieser Woche in Berlin vorstellten, alles andere als neu. Vor allem nicht, wenn es um die Landwirtschaft geht, wo nur wenige Firmen im vor- und nachgelagerten Bereich einer großen Vielzahl an Landwirten gegenüber stehen. Nicht umsonst wollen die Politiker die Erzeuger durch Verbände und Kooperationen innerhalb der Wertschöpfungskette stärken. Gerne wird auch auf die vier großen Lebensmittelhändler gezeigt, die zusammen einen Marktanteil von 85 Prozent vereinen.

Bayer und Monsanto gelten innerhalb des Agrarsektors als das große Negativbeispiel für eine „unanständige“ Fusion. Saatgut und Pflanzenschutzmittel stammen demnächst noch mehr aus einer Hand. Landwirte haben nur wenige Alternativen für den Kauf. Das dahinter das Scheitern der Geschäftsidee Monsantos steckt, wird übersehen: Gentechnisch verändertes Saatgut in Verbindung mit einem Herbizid doch in einer Sackgasse, weil es früher oder später doch zu Resistenzen kommt. Monsanto bleibt nichts anderes übrig, als den Kreislauf von vorne zu beginnen. Die Amerikaner finden mit der Übernahme durch Bayer und deren Suche nach alternativen auch biologischen Pflanzenschutzmöglichkeiten einen Ausweg aus ihrem Dilemma.

Allerdings: Das Geschäftsmodell Saatgut und Pflanzenschutz funktioniert auch ohne Gentechnik. Stichwort: Clearfield-Raps [2]. Die Nachteile sind verantwortungsvollen Landwirten bekannt. Die Frage bleibt: Ab wann ist ein Unternehmen so groß, dass es eine Marktmacht ausübt und sie gegen ihre Kunden einsetzt?

Marktkonzentration geht alle an

Solange die Frage innerhalb des Agrarsektors bleibt und die Kunden ihre Lebensmittel preiswert einkaufen können, bleibt das Thema auch innerhalb der Agrargemeinde. Das ungute Gefühl, fremdbestimmenden Unternehmen ausgesetzt zu sein, trifft die Anderen.

Doch die Verbände setzen noch eins drauf. Hinter dem Dieselskandal steckt eine für alle deutschen Autobauern einheitliche Betrugssoftware. Jetzt droht den Dieselfahrern ein Fahrverbot in den Städten. Das ungute Gefühl, schutzlos ausgeliefert zu sein, befällt viele. Die Diesel-Foren der Bundesregierung tagen jedoch nur um Fahrverbote und Erhalt des Dieselmotors. Die einvernehmlich ausgeübte Manipulation zum Nachteil der Autofahrer wurde vom Verkehrsminister so gut wie gar nicht thematisiert. „Die Partikularinteressen der Konzerne setzen sich häufig gegenüber dem Gemeinwohl durch“, sagen die Verbände in Berlin. „Der deutsche Staat muss kriminelles Fehlverhalten zukünftig konsequent ahnden“, fordert Sascha Müller-Kraenner von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Die Angst der Politik vor den Automobilherstellern beschreibt er als „too big to fail“ und als „too complex to regulate“.

Diesen Schaden in der Demokratie führen die Verbände auf eine zu schwache Wettbewerbskontrolle zurück. Erst im Jahr 2013 wurde die Schwelle für den „Marktanteil für die Vermutung einer marktbeherrschenden Stellung eines Unternehmens“ von 33 auf 40 Prozent angehoben. Die Verbände fordern eine Absenkung auf 20 Prozent.

Prof. Dr. Tobias Lettl

Das Gutachten

Unterstützung haben die Verbände durch ein Gutachten von Prof. Dr. Tobias Lettl von der Universität Potsdam bekommen. Der Wirtschaftsprofessor für Handels- und Wirtschaftsrecht hat vor zwei Jahren für den Deutschen Bauernverband das Rechtsgutachten Kartellrecht geschrieben, bei dem es vor allem um den Milchsektor ging. Schon damals schlussfolgerte Lettl, dass die Rechtslage nicht ausreiche, „um der in Folge des hohen Konzentrationsgrades im Lebensmitteleinzelhandels gestörten Verhandlungs- und Vertragsparität zwischen marktmächtigen Nachfragern und Lieferanten zu begegnen.“ Der Schutz der Lieferanten und die kartellrechtliche Überprüfung stehen als Forderung klar hinter der Priorität „Beseitigung von bestehenden Rechtsunsicherheiten“.

So kommt er auch für das Agrarbündnis zu dem Schluss: „Die Fusionskontrolle greift nicht in hochkonzentrierten Märkten.“ Zum Lebensmittelhandel sieht der jedoch die 85 Prozent Marktanteil nicht zwingend als unlauter an. Es gebe noch genug andere Mitbewerber. Der Zwang zur Entflechtung sollte erst ab zwei oder drei Unternehmen und als letzte Maßnahme greifen. Dieses Instrument, das es in den USA und Großbritannien gibt, setze vor allem auf Abschreckung. Die Entflechtung sei ein einschneidender Eingriff in den unternehmerischen Besitz und wird selten angewandt. In Großbritannien musste die British Airports Authority, die 60 Prozent aller Flughäfen betreute, im Jahr 2009 einige Dienstleistungen verkaufen. Im europäischen Kartellrecht ist die Entflechtung verankert, im deutschen „Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ (GWB) nicht – aber erwägenswert, so Lettl.

Leichter scheint der Weg über ein Gesetz gegen unlautere Handelspraktiken zu sein. Diese sind aber noch immer nicht einheitlich definiert. Im ersten Quartal 2018 will die Slowakei ein erstes Papier vorlegen, hieß es auf der letzten Sitzung des Agrarrates [3].

Frank Braßel und Julia Sundermann

Vertikalisierung

Die Forderungen des Bündnisses sind umfangreich und verlangen beispielsweise die Einrichtung einer Beschwerdestelle, die dem Bundeskartellamt vorgeschaltet ist und anonym Hinweise über Missbräuche in den Lieferbedingungen aufnimmt. Eine der Forderungen bezieht sich auf die sektorübergreifende Machtbündelung. „Vertikale Integration erscheint den Wettbewerbshütern oftmals weniger problematisch, weil es ja verschiedene Märkte sind“, erklärt Julia Sundermann von „Aktion Agrar“ im Gespräch mit Herd-und-Hof.de. „Der eine hat das Saatgut, der andere die Pestizide und ein Dritter den Trecker. Und da sehen wir ein großes Problem. Der Lidl-Bauer wäre eine weitere Eskalation.“

In der Tat verlängert der Lebensmittelhandel seine Wertschöpfungskette nach unten. So steht die Edeka Südwest auf Platz 13 der 100 größten Fleischerzeuger. Im Jahr 2016 hat das Unternehmen 643 Millionen Umsatz gemacht und mit 4,6 Prozent mehr Wachstum als alle anderen vor ihm stehenden Unternehmen erreicht. Das Fleischwerk Edeka Nord steht auf Platz 28 mit der Hälfte des Umsatzes. Rewe Dortmund steht auf Platz 46.

Mittlerweile greift der Lebensmittelhandel auf die Obst und Gemüseerzeuger zu. Den Vertragsanbau im Kartoffelanbau gibt es schon länger. Das hat durchaus Vorteile. Die Politik braucht unendlich lange zum Setzen von Standards. Der Handel ist schneller. Haltung ohne Kastenstand, keine kastrierten Ferkel mehr ohne Betäubung, Rückstände von Pflanzenschutzmitteln unterhalb der rechtlichen Grenzwerte; das alles sind keine Einzelfälle. Aldi befindet sich aktuell  in der Umstellungsphase der Lieferanten auf Verpackungen ohne Mineralöle und während die Politik Reformulierungen von Rezepten mit weniger Zucker verschoben hat, verringert Rewe bei allen Eigenmarken den Zuckergehalt bis 2020.

Für Landwirte bedeutet der Anschluss eine Marktsicherheit. Er weiß was verlangt wird und bekommt die Investitionen wieder. Bei staatlichen Regelungen ist der wirtschaftliche „return“ offen. „Gentechnik-freie Milch“ hat der Handel umgesetzt und gibt den Mehrerlös auch an die Bauern weiter.

Julia Sundermann weiß das: „Im Einzelfall ist es eine Chance oder der einzige Ausweg. Ich habe aber andere Vorstellungen, wie ich mir die Begegnung mit den Erzeugern wünsche.“. Regionale Beziehungen zwischen Verbrauchern und Bauern seien der Weg aus dem Hamsterrad.“ Direktvermarktung und Hofkäsereien gibt es viele. „Das ist wünschenswert, geht aber immer nur bis zu einem gewissen Grad“, räumt Sundermann ein, „denn die Arbeitsbelastung auf den Betrieben ist schon hoch genug.“ Es gibt verschiedene Stadt-Land-Bündnisse, aber nur in einer kleinen Nische „Es wird wohl nicht das vorherrschende Marktmodell sein.“

Digitalisierung

Frank Braßel ist Leiter des Arbeitsbereiches Wirtschaftliche Gerechtigkeit bei Oxfam. Mit dem vorliegendem Papier will das Bündnis, das nicht nur aus Agrarverbänden besteht, die Diskussion über Marktmacht in die Breite bringen, sagt Braßel. Denn wie bei den Dieselfahrzeugen erreicht die Frage nach der Markt- und Machtkonzentration jetzt vie Mitte der Gesellschaft. Mit Hilfe der Digitalisierung sammeln nur noch wenige Firmen unendlich viele Daten über die einzelne Person. Doch vor allem die junge Generation gibt viele Daten Preis. Mancher freut sich über eine maßgeschneiderte Werbung. Der Handel sieht mit dem individualisierten Marketing neue Chancen der Kundenbindung. Nur wenige Konsumenten befürchten offenbar die Datensammlung im Hintergrund.

Mit „Alexa“ steht mittlerweile die neueste Technikgeneration ohne Bedienungsoberfläche im Wohnzimmer. Der Lauscher verspricht individuelle Antworten – aber während beim Smartphone noch für einen Wisch-Augenblick eine minimale Bedenkzeit vorhanden ist, transportiert das gesprochene Wort Wünsche und Geheimnisse unmittelbar an die Cloud.

Warnungen gibt es viele. Zuletzt hat der Deutsche Ethikrat vor dem Themenumfeld „Big Data und Gesundheit“ gewarnt. Die Fitnessarmbänder sammeln Daten, die einen individuellen Nutzen versprechen. Sie geben aber auch einen tiefen Einblick in Gesundheitszustand und Lebensweise, was beim nächsten Personalgespräch möglicherweise ganz anders interpretiert wird [4].

Amazon

Die Politik hetzt der Realität gnadenlos hinterher. Amazon konnte aus der Portokasse mal eben Whole Foods in den USA kaufen und hat mit 12 britischen Filialen des Bio-Marktes auch bereits einen Fuß auf dem alten Kontinent. Ernsthaft waren wohl auch die Überlegungen mit dem französischen Lebensmittelhandel Carrefour [5]. Der Internetriese lässt es langsam angehen. Ende des Jahres hat er sich europaweiten Markenschutz für verschiedene Whole Foods Marken gesichert. Wer als nächstes „dran“ ist, bleibt offen. Der Aufbau eines eigenen Filialnetzes ist in den europäischen Großstädten schwer und der Online-Händler hat dazu kein erfahrenes Personal. Der nächste Schritt wird wieder eine Übernahme werden.

Lesestoff:

Das Gutachten und Positionspapier finden Sie beispielsweise unter www.oxfam.de

[1] DMK reagiert auf Druck der Kartellbehörde: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/kartellamt-stellt-verfahren-gegen-dmk-ein.html

[2] Pflanzenschutz und Sorte im Doppelpack: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/herbiziresistente-pflanzen-ohne-gentechnik.html

[3] Unlautere Handelspraktiken: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/eu-agrarrat-in-bruessel-10735.html

[4] Digitaler Blick in die Seele: https://herd-und-hof.de/ernaehrung-/big-data-und-gesundheit.html

[5] Schnappt sich Amazon Carrefour? https://herd-und-hof.de/handel-/frisst-der-online-krieg-carrefour.html

Roland Krieg; Fotos: roRo

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