Kurz und schmerzlos: SDG unterschrieben

Handel

Staaten einigen sich auf den Weltzukunftsvertrag

Gute Arbeit haben die Unterhändler im Vorfeld des UN-Gipfels in New York geleistet. Mit dem Ablauf der Millenniums-entwicklungsziele 2015 wollte die Weltgemeinschaft Nachfolgeziele für die nächsten 15 Jahre definieren und für alle Staaten verbindlich festlegen. Heraus kamen 17 Sustainable Development Goals (SDG) mit 169 Untermaßnahmen, die schon zu Beginn des Gipfels am Freitag von allen unterschrieben wurden. Weltzukunftsvertrag im Ruck Zuck-Modus. Doch die Arbeit fängt erst an, weil etliche Indikatoren zur Messung des Fortschritts noch festgelegt werden müssen. Die Arbeit fängt vor allem für die Industrieländer erst an. So sind die Staaten der OECD nach einer Studie der Bertelsmann Stiftung noch lange nicht reif für die Nachhaltigkeit.

Aart De Geus, Vorsitzender der Bertelsmann Stiftung stellt klar: „Unsere Untersuchung ist der erste Stresstest für die Industriestaaten zu den neuen Zielvorgaben. Danach können wir uns als die reichen Länder mit unserer wachsenden sozialen Ungleichheit und Ressourcenverschwendung nicht mehr länger als die Lehrmeister der Welt darstellen. Wir können den Schwellenländern schwerlich vorgeben, wie sie sich entwickeln sollen. Stattdessen können wir in der Analyse erkennen, wo auch wir unsere Hausaufgaben machen müssen. Und zudem zeigt sie uns, wo die Industriestaaten bereits jetzt Gefahr laufen, die neuen Nachhaltigkeitsziele zu verfehlen.“ Die Ungleichheit besteht nicht nur zwischen Nord und Süd. Sie teilt mittlerweile die Industrieländer selbst. Die reichsten zehn Prozent in den 23 OECD-Ländern verdienen so viel wie die ärmsten 40 Prozent. Länder wie Dänemark, Slowenien oder Norwegen zeigen, dass das keine zwangsläufige Entwicklung ist. Auch im Umweltbereich gibt es keinen einheitlichen Norden. Australien, Kanada, Polen oder Mexiko belasten das Klima rund sechsmal mehr mit Kohlendioxid als Schweden oder Norwegen.

Neue Chancen

Armuts- und Hungerbekämpfung sind in den letzten Dekaden immer komplexer geworden. Die nachholende Entwicklung, die Menschen in die Stadt zu holen, ihnen Arbeit zu geben und den Aufschwung einzuleiten, so wie die Industrielle Revolution die Entwicklung in Westeuropa beflügelt hat, ist gescheitert. In Afrika ziehen jährlich 14 Millionen Menschen in die Städte – und finden keine Arbeit. Die Wiederentdeckung des ländlichen Raums und der Landwirtschaft als Einkommensquelle und Mittel zur eigenen Nahrungssouveränität hat zu einer neuen Sichtweise einer Entwicklung geführt, die Geschlechtergerechtigkeit, sauberes Wasser, Ausbildung oder die Bekämpfung von Krankheiten mit einschließt. Fehlt das, wandern Menschen dorthin, wo es besser scheint. Das hat Entwicklungsminister Dr. Gerd Müller vor seinem Flug nach New York auf den Punkt gebracht: „Die Flüchtlingskrise zeigt uns gerade auf dramatische Art und Weise, wie eng wir auf unserem Planeten inzwischen voneinander abhängig sind. Es gibt keine erste, zweite oder dritte Welt mehr – es gibt nur noch EineWelt, für die wir alle unsere Verantwortung tragen. Menschen aus Hunger und Armut zu befreien und zugleich die Schöpfung zu bewahren, das ist die neue große Aufgabe.“

Die Aufgabe ist nicht neu, aber über die Millenniumsziele hindurch hat die Weltgemeinschaft mit den SDG ein neues Instrument geschaffen, vertane Chancen der Vergangenheit endlich aufzugreifen und zu einem Besseren zu führen. Schon die Finanztagung zur Entwicklung in Addis Abeba unterstrich, dass Technologien und Mittel ausreichend zur Verfügung stehen [1]. Es fehlt nur am Willen. Und dessen Freisetzung kann anhand der SDG bald gemessen werden. Und gibt Schwung für die Klimaverhandlungen im Dezember in Paris.

Reaktionen

„Die Weltgemeinschaft macht sich auf den Weg, bis 2030 die globale Situation für alle Menschen zu verbessern“, sagt Bärbel Kofler, entwicklungspolitische Sprecherin der SPD. Ziel 1 (Armut beenden) und Ziel 10 (Ungleichheit beenden) lassen sich demnach am besten durh weltweite menschenwürdige Arbeit, gerechte Löhne sowie durch verbindliche Sozial- und Umweltstandards entlang der gesamten globalen Lieferkette überwinden. Daher sei die Agenda auch ein „globaler Fahrplan zur Bekämpfung von Fluchtursachen“.

Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck hat anlässlich des Nachhaltigkeitsgipfels der UN-Generalversammlung gefordert, beim Umgang mit den natürlichen Ressourcen umzusteuern. „Es ist höchste Zeit, dass wir unsere Ressourcen nicht weiter über Gebühr ausnutzen und gemeinsam auf der Welt neue Wege beschreiten. Die geplanten UN-Ziele für Nachhaltigkeit formulieren dafür wichtige Marken für uns", so Habeck. „Dass Lebensmittel wertvoll sind, Müll aus Wertstoffen besteht und Energie erneuerbar ist, müssen wir uns immer wieder auf neue bewusst machen." Schleswig-Holstein habe in den vergangenen Jahren insbesondere bei der Energiewende und dem Verbrauch von natürlichen Ressourcen umsteuern können. Weitere Umstellungen werden nötig sein, um zukunftsgerecht und ressourcenschonend zu handeln. „Den reichen Ländern des Nordens steht es gut an, nicht mehr nur als Verursacher, sondern zunehmend auch als Betroffene die Dinge jetzt offensiv in die Hand zu nehmen. Es geht dabei nicht immer um Verzicht; die notwendige Umsteuerung ist vielmehr eine Chance für technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Innovation", so der Umweltminister.

Philipp Vohrer, Vorsitzender der Agentur für Erneuerbare Energien, sieht in den SDG Rückenwind für den Umbau der Energieversorgung. Erneuerbare Energien und nachhaltige Entwicklung seien untrennbar miteinander verbunden und die Staaten sollten die Aufgabe der SGD für den Umbau nutzen. „Die Technologien zu einer starken Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien stehen zur Verfügung. Allerdings sehen sich die Erneuerbaren vielerorts unfairen Wettbewerbsbedingungen ausgesetzt.“ So werden die Umweltschäden den fossilen Energien nicht in Rechnung gestellt und ein Großteil der Subventionen entfällt auf fossile Energieträger.

Care Deutschland-Luxemburg sieht sich durch die SDG gestärkt und wird seine Programme wie die sogenannten Kleinspargruppen ausweiten. Mitglieder dieser Kleinspargruppen geben sich gegenseitig Darlehen und können so Kleinunternehmen gründen, bestehende Betriebe verbessern oder sonstige Investitionen in eine bessere Zukunft tätigen. Bereits heute erreicht Care etwa 4,5 Millionen Menschen weltweit. „Arme Menschen dürfen vom Welt- und Finanzmarkt nicht ausgeschlossen sein - das gilt insbesondere für Frauen. Wir bringen Menschen zusammen, stellen bestehende Unternehmensstrategien in Frage, starten neue, kreative Initiativen und machen uns für Frauenrechte stark", so Care-Generalsekretär Karl-Otto Zentel.

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt will die SDG auch gleich zu einem „Prüfstein politischer und individueller Entscheidungen zu machen. Mit konkreten Zielen schaffen wir eine neue globale Partnerschaft der Nachhaltigkeit. Die Agenda 2030 bietet Leitplanken sowohl für die große Weltpolitik als auch für die kleinen Entscheidungen im Alltag.“ Jeder solle sich vor Augen führen, welche Auswirkungen sein Handeln „hier und jetzt auch an anderer Stelle und für künftige Generationen“ hat.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO nimmt den Ball der Millenniumsziele auf, Fortschritte in der Bekämpfung bei HIV, Tuberkulose und Malaria erzielt zu haben. Das Gesundheitsziel 3 der SDG formuliert weitere Ziele und kann die Ergebnisse verbessern. So sind Kinder- und Müttersterblichkeit heute gegenüber 1990 schon um 53 und 40 Prozent gesunken. Die SDG nehmen jetzt auch die Beratung, die Gesundheit in allen Lebensklassen und Infektionen auf.

Zur Erreichung der Ziele ist die Landwirtschaft einer der Schlüsselbereiche. FAO-Generaldirektor Graziano da Silva sagte: „Wir brauchen mehr nachhaltige Landwirtschafts- und Ernährungssysteme, die gegenüber Stress wie beispielsweise dem Klimawandel gegenüber widerstandsfähig sind.“ Neben Investitionen in umweltgerechte Landbewirtschaftung brauche der ländliche Raum auch soziale Sicherungssysteme.

„Die große Zahl der hier anwesenden Staats- und Regierungschef deutet an, welche hohe Erwartungen viele Länder mit den ersten gemeinsamen Entwicklungszielen verknüpfen", sagt Klaus Milke, Vorstandsvorsitzender von Germanwatch, in New York. „Nun geht es um die Frage, wie diese für alle Staaten geltenden Ziele ernsthaft umgesetzt werden können - auch bei harten Themen der Tagespolitik wie der Finanz- und Wirtschaftskrise in Europa oder dem geplanten Freihandelsabkommen TTIP.“ Die Umsetzung der 17 Ziele erfordere eine starke Einbeziehung der Zivilgesellschaft.

Parallel zur Unterzeichnung der SDG haben die OECD und die UN-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD) eine Vereinbarung für die Erstellung von Rahmenbedingungen getroffen, die umfangreiches Wachstum ermöglichen sollen. Handel und Investment können Wohlfahrtseffekte ermöglichen und Ungleichgewichte beenden.

Umweltfaktoren und Fluchtverhalten

Zumindest von deutscher Seite werden die SDG im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Fluchtursachen genannt. Das ist zu einfach gegriffen, finden die Politologin Dr. Diana Hummel vom Institut für sozial-ökologische Forschung ISOE in Frankfurt und der Hamburger Ökologe Prof. Norbert Jürgens. Sie haben im Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung Deutschland zu dem Thema Stellung genommen [2]:

„Die überzogene Darstellung von Abwanderungsbestrebungen als Sicherheitsbedrohung geht an der Realität vorbei“, meint die Politikwissenschaftlerin Dr. Diana Hummel vom Institut für sozial-ökologische Forschung ISOE in Frankfurt. Sie leitete das Projekt MICLE – Klimawandel, Umweltveränderungen und Migration, bei denen u.a. großangelegte Befragungen zu den Motiven der Migration in der Sahelzone durchgeführt wurden. Nur ein geringer Anteil der Menschen in ihrem westafrikanischen Untersuchungsgebiet versuche, nach Europa zu kommen. Denn Migration sei in dieser Region nicht das letzte Mittel sondern eher eine anerkannte Tradition, der Großteil der Migranten bliebe auf dem Kontinent und kehre nach Möglichkeit zurück, so die Erfahrung der Politologin. Der Begriff „Umwelt- oder Klimaflüchtling“ sei auch problematisch, da Kausalzusammenhänge schwer nachzuweisen und nie alleinige Auslöser seien. „Umweltveränderungen spielen dann eine Rolle, wenn sie bereits existierende Verwundbarkeiten verstärken“, meint Hummel. Die Studien ergaben, dass klimatische und ökologische Faktoren an Bedeutung zunehmen, je stärker der Lebensunterhalt der Menschen von der Landwirtschaft abhängt und schwieriger alternative Einkommensquellen verfügbar sind.

„Nur eine nachhaltige ländliche Ökonomie und Gesellschaftsform kann die Trends zur Landflucht, zur Urbanisierung und zur internationalen Migration stoppen“, sagt Prof. Norbert Jürgens von der Universität Hamburg. Der Biodiversitätsforscher ist Sprecher des Projektes „The Future Okavango“, das modellhaft für den gesamten Kontinent Methoden entwickeln soll, wie die Menschen die natürlichen Ressourcen nachhaltig nutzen und dauerhaft erhalten können. Der Drang nach einer modernen Lebensweise steigere den Bedarf an Cash für Waren, die nicht selbst erzeugt werden könnten. Deshalb würden derzeit die natürlichen Ressourcen über den eigenen Bedarf hinaus in Waren umgewandelt, etwa würde verstärkt Wildfleisch gejagt und angeboten und die Wälder für Holzkohle abgeholzt. Dabei seien diese die wichtigsten Wasserspeicher der Region. Der Klimawandel und ein zunehmender Zuzug in die Okavangoregion, gepaart mit Landgrabbing internationaler Konzerne könnten künftig zu Konflikten um die Ressourcenverteilung führen. Umso wichtiger sei es, mit den Menschen Methoden zu entwickeln und an die Hand zu geben, mit denen landwirtschaftliche Erträge gesteigert werden könnten, ohne das Potenzial der Ökosysteme zu zerstören. Von daher sei das Entwicklungsziel 8.3 sinnvoll, in dem die Vereinigten Staaten seine Mitgliedstaaten ermutigen, kleine und mittelständige Unternehmen zu fördern. Auch die Wissenschaft spiele hier eine wichtige Rolle, beispielsweise bei der Schaffung von nachhaltigen Demonstrationsprojekten mit Leitbildfunktion, sagt Jürgens.

Lesestoff:

Die SDG der UN: https://sustainabledevelopment.un.org

[1] Multilateraler Handel muss auch umgesetzt werden

[2] Den Themenschwerpunkt „SDGs und den Einfluss von Umweltfaktoren und nachhaltiger Landnutzung auf Migration in Afrika“ finden Sie auf dem Webportal www.biodiversity.de

Roland Krieg

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