Label: Das Bessere ist des Guten Feind

Handel

Wie viel Label braucht die Nachhaltigkeit?

Wie viele Siegel kennen Sie? Für Textilien, Baustoffe, Reisen oder Lebensmittel? Es gibt Siegel für soziale Aspekte, Umweltbelange oder den fairen Handel. Die Datenbank www.label-online.de kennt 400 verschiedene Siegel, der Rat für Nachhaltigkeit hat bereits in der dritten Auflage seinen nachhaltigen Warenkorb als Orientierungshilfe für Verbraucher herausgebracht. Angesichts der Siegelvielfalt verirrt sich der Konsument im Labeldschungel. Braucht es ein „Meta-Siegel“, das vorhandene Label überprüft, ein Siegel, das noch mehr und zwar alle möglichen Kriterien zusammenfasst, um den nachhaltigen Konsum zu stärken? Darüber diskutierten am Freitagnachmittag Fachleute auf der Veranstaltung Nachhaltigkeitssiegel von Bündnis90/Die Grünen.

Siegelflut

Die Siegelflut könne keinen mündigen Bürger mehr erreichen, führte Roland Streicher vom „forum anders reisen“ an. Für ein Siegel ist sein Bekanntheitsgrad wichtig, doch die meisten Verbraucher kennen längst nicht mehr alle Zeichen, um sich eine Marktübersicht zu verschaffen. Daher sollte ein staatliches „Dachsiegel“ den Konsumenten neue Orientierung geben.
Die Siegelvielfalt steht für den Verbrauchertrend nach Erfüllung von Kriterien. Doch mit steigendem Konsum steigt auch die Mannigfaltigkeit der Zeichen. Und für jeden Konsumenten ist Nachhaltigkeit etwas anderes, unterstreicht Steffen Reese vom Anbauverband Naturland. Die einzelnen Label seien dynamisch und lebten von der Weiterentwicklung. Für Naturland besteht die Nachhaltigkeit aus den vier Säulen Ökologie, Ökonomie, Soziales und Kultur.
Für Dr. Ulrike Eberle von corsus (corporate sustainibility) setzt jedes Zeichen eben auch unterschiedliche Akzente. Label sind zielgruppenspezifisch, manche wie Neuland bei Fleisch oder MSC bei Fisch auch monothematisch. Darin sieht Dr. Eberle aber auch die „Defizite“, weil jedes Label mehr können müsste, um die Nachhaltigkeit besser abzubilden.
Sie verweist auf die französische Initiative „Grenelle de l´environnement“, die alle Partner der Umweltpolitik an einen Tisch brachte, um eine „Umweltrevolution“ durchzuführen. So legen die Akteure Kriterien fest, die für Verbraucher ein Siegel transparent machen können. So müsse ein Dachsiegel dem Labeldschungel ein Ende machen, forderte Dr. Eberle. Das Dachsiegel zertifiziert bestehende Siegel und gibt dem Verbraucher wieder das Vertrauen zurück.

Fünf Szenarien

Dr. Stefanie Teufel vom Öko-Institut fasst die fünf Szenarien zusammen, die sie in einer Studie über die mögliche Ausgestaltung eines Nachhaltigkeitslabels herausgearbeitet hat:

Nach oben steigen finanzieller und institutioneller Aufwand, so dass die Variante 4 und eingeschränkt die Variante 3 für eine Realisierung übrig bleiben. Es bleibt aber zu klären, welche Wirkung Label auf den Verbraucher habe, die nicht zusätzlich zertifiziert wurden und was bei einer falschen Auslobung geschieht.
Die Kosten sind nicht unerheblich. Stephan Krug von der Reise-Initiative des Bundesumweltministeriums Viabono schätzt die Kosten für ein neues Label auf 30 bis 50 Millionen Euro. Rund zehn Jahre brauche ein Siegel, bis es überall angekommen und „alleine laufen“ könne. Bis dahin sind Durchhaltevermögen und politischer Wille notwendig, Kritiken auszuhalten.
Aber auch von der inhaltlichen Machbarkeit gibt es Grenzen. Nach Prof. Dr. Matthias Finkbeiner von der Technischen Universität Berlin gibt es zwar ausreichend Kriterien für die Ökologie und auch im sozialen Bereich hat das Verständnis für bewertbare Kriterien zugenommen und wurde ausgeweitet. Was fehlt sind die ökonomischen Kriterien, weil der faire Preis alleine nicht ausreicht. Hier gehe es um betriebliches und gesellschaftliches Ökonomieverständnis, was den Betrieb und die Gesellschaft insgesamt am weitesten trägt. Die Einbeziehung von negativen Effekten und die Kosten für gesellschaftliche Leistungen in den Produktionsprozess stehen erst am Anfang.

Spiegel der Gesellschaft

Die Vielzahl der Siegel und Gütezeichen spiegeln sicherlich die Wünsche der Konsumenten wider. Ein Label hilft nicht weiter, so ein Ergebnis der Diskussion, wenn die Wirtschaft und die Beteiligten insgesamt nicht nachhaltig ausgerichtet sind. Hat der Durchschnittsamerikaner 1991 noch 36 Kleidungsstücke im Jahr gekauft, so waren es 1996 schon 41 und im Jahr 2006 bereits 67 Textilien, erklärte Steffen Reese. Es werde nicht dadurch besser, wenn die Textilien alle ökologischer und sozialer Herkunft sind. Reese erinnerte daran, dass man sich bei solchen Konsumsteigerungen auch die Frage stellen muss, welcher Mehraufwand mit dieser damit verbunden ist.
Auch bei einem „Dachlabel“ müsse es weiterhin die Möglichkeit geben, neue Gütezeichen kreieren zu können. Das sei Ausdruck des Pluralismus und eine Möglichkeit des Unternehmens, sich im Wettbewerb ein Alleinstellungsmerkmal zu sichern. Das Dachlabel dürfe außerdem nicht zu einer Entwertung bestehender Siegel führen.

Lesestoff:

https://www.fournisseurs-energie.fr/actus/grenelle-environnement/

Studie zum Thema Nachhaltigkeitssiegel: http://download.ble.de/08HS031.pdf

Der nachhaltige Warenkorb auf Herd-und-Hof.de

Interview mit Peter Schaumberger, Geschäftsführer von IMO, einem der größten Zertifiziere in der Ökobranche über die Siegelvielfalt

Abschlussbericht TEEB zur Bewertung gesellschaftlicher Leistungen

Roland Krieg

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