Logistik ist mehr als der Lang-Lkw
Handel
Logistik und Konsum wie Henne und Ei
Die verführerische Warenwelt lockt mit exotischen Produkten, frischem Obst und Gemüse von nebenan und Händler versprechen, sie nehmen die Ware bei „Nichtgefallen“ kostenfrei wieder zurück. Das funktioniert nur, wenn die Ware auch transportiert wird. Per Lkw, Bahn, Luftfracht und Schiff. Hat der Transport den Konsum ermöglicht, oder zieht der Konsum das Speditionsgeschäft nach sich?
Egal, das eine bedingt das andere und ein Abschwächen des Güterverkehrs trotz Klimawandel und Konsumkritik ist nicht in Sicht:
Was für Deutschland gilt, ist auch international sichtbar: Die größte Container-Reederei der Welt, Maersk, setzt mit rund 70 Schiffen die „Just-in-time-Lieferung“ zwischen Asien und Europa um und Indien baut sieben neue Überseehäfen. Sinkender Güterverkehr ist eine Illusion [1]. Die Umfrage von Prof. Paul Wittenbrink von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Lörrach für den Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) zum „Transportmarkt 2012“ unterstreicht die bisherigen Prognosen und zeigt sowohl beim Lkw als auch beim Überseeverkehr steigende Erwartungen [2].
Das Land Niedersachsen reagiert. Nach Angaben der Deutschen Logistikzeitung will Niedersachsen die A27 von Bremen aus über Walsrode weiter nach Osten verlängern und die A39 von Salzgitter in Richtung A44 in Nordrhein-Westfalen weiterbauen. Ziel ist die Entlastung der A2, die durch Staus und Unfälle überlastet ist.
Abschied vom Logistikweltmeister
Deutschland hat den Titel „Logistikweltmeister“ an Singapur, Hong-Kong und Finnland verloren. Für Gerhard Riemann, Vorsitzender des BGA-Verkehrsausschusses, ein Zeichen, dass die Konkurrenz nicht schläft. Deutschland punkte aber als „Land der Ideen“ mit Innovationen. Dazu zählt Riemann den Lang-Lkw – oder das, was davon noch übrig ist. Die Fahrzeuge laden 50 Prozent mehr, verbrauchen 30 Prozent weniger Sprit und sind preiswerter als herkömmliche Lkw. Sie emittieren 30 Prozent weniger Kohlendioxid. Die Gegner führen eine erhöhte Gefahr durch Lang-Lkw an, weil sie unübersichtlicher sind, Pkw die Länge beim Überholen falsch einschätzen und das Gewicht die Straßen kaputt mache.
Mit automatischen Bremssystemen, Kameras am Heck und side-lane-Assisstenten, die das seitliche Ausbrechen verhindern, wünscht sich Riemann eine ähnliche Ausstattung für die vielen anderen Lkw auf den deutschen Autobahnen.
SPD und Grüne dagegen verhindern nach Riemann die Feldversuche. Schleswig-Holstein hat nach der Wahl den Ausstieg aus dem Programm verkündet und nur noch sieben Bundesländer sind für einen Feldversuch bereit. In den Niederlanden fahren derzeit 1.000 Lang-Lkw, die an der Grenze nach Deutschland umladen müssen. Manche hätten nur noch wenige Hundert Meter Fahrstrecke bis zum Blumengroßhandel zurückzulegen. Auch Dänemark fährt seit Jahren mit 400 Lang-Lkw, in Finnland hat ein Versuch mit bis zu 80 Tonnen schweren Lkw begonnen.
Das Nachtflugverbot in Frankfurt/Main ändert nach Riemann nichts am Gütertransport, weil die Flieger jetzt in Mailand, Paris und Amsterdam landen und die Ware dann per Lkw nach Deutschland kommt. Auch die Zweiklassengesellschaft bei der Wasserstraßeninfrastruktur könnte dazu führen. Während im Westen Wasserwege wie der Rhein zur Kategorie A zählen, fallen die Wasserstraßen im Osten, wie der Teltowkanal nach Berlin, lediglich unter die Kategorie C. In dieser Kategorie werden die Wasserwege nur noch erhalten und nicht mehr ausgebaut. Nach Riemann werden Wasserwege der Kategorie C „Regionen und Wirtschaftsräume“ von einer weiteren Entwicklung abkoppeln. Und ebenfalls die Straßen belasten.
Auch die Pläne, Lkw schon ab 3,5 Tonnen zu bemauten hält Riemann für kontraproduktiv: „Die Transportbranche fährt schon am Bodensatz der Existenz“, so Riemann.
Fit für die Zukunft?
Zwei Trends zeichnen sich ab. In Deutschland fragen Verbraucher vermehrt nach regionalen Produkten und in den Entwicklungsländern wird an logistischen Konzepten gearbeitet, Regionen an den Markt zu bringen.
Die Abteilung Verkehr und Logistik im Bundesverband Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen (BGA) sah sich nicht imstande, Fragen zu diesen Themen zu beantworten.
Mehr als den Lang-Lkw hat das Verkehrsministerium zu bieten.
Regionalität
Zwar ist der Apfel aus der Region beliebt, hat jedoch bei kleinteiliger Produktion ungünstigere Klimawirkungen als die Großproduktion aus Neuseeland. Der Energieaufwand ist nach Prof. Schlich von der Universität Gießen von der Betriebsgröße abhängig. Es gibt so etwas wie die „Ecology of Scale“ [3]. Die Gemüsekiste per se wird erst dann klimafreundlich, wenn sie umweltgerecht von A nach B gelangt.
Während auf dem Land die Selbstversorgung im Vordergrund steht, fordert die Versorgung der Städte die Logistik heraus. Hier sind Handel und Transportunternehmen gefragt, „den Wünschen der Verbraucher zum Beispiel mit neuen Vertriebs- und Verteilkonzepten“ entgegen zu kommen, sagte eine Sprecherin des Verkehrsministeriums (BMBVS). Das Ministerium ist aber auch für die Raumordnung zuständig und schuf mit dem Aktionsprogramm „Region schafft Zukunft“ vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Modellvorhaben auch zum Thema Regionalität [4].
An der Zukunft baut derzeit das Fraunhofer Institut. Größtes Problem ist die unbefriedigende Bündelung auf Warenumschlagsebene. Individuelle Kundenwünsche und Restriktionen bei Bestellrhythmen und Mindestbestellmengen führen zu immer mehr Transporten mit weniger Ladung. Mit einem so genannten Urban Hub sollen Frischelogistik und Direktversorgung von Lebensmitteleinzelhandel und Einzelkunden so gebündelt werden, dass ein „Zero Emission Dienstleister-Konzept“ entsteht. Die Rewe ist an dem Projekt beteiligt und hat es auf der Fruit Logistika 2012 vorgestellt [5]. Ziel: Reduzierung der Stellfläche um 15 und der Transportfahrten um 25 Prozent.
Wirkungsgefüge der langfristigen Güterverkehrsentwicklung; BMBVS: Güterverkehr Deutschalnd 2050, Schlussbericht
„Grüner Transport“
Die Lkw-Flotte hatte den Biodiesel schnell angenommen und musste wieder auf konventionelle Treibstoffe umstellen, als die Politik die Rahmenbedingungen für den Biodiesel umstellten. Die Bundesregierung hat dafür mit der „Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie“ (MKS) in diesem Jahr eine neue Plattform auf die Beine gestellt, in deren Rahmen auch die „Biogenen Kraftstoffe“ einen eigenen Workshop bekamen [6]. Das BMVBS hat die Federführung für „eine verkehrsübergreifende Gesamtstrategie für die künftige Energiebasis des Verkehrs“ übernommen. Noch Ende des Jahres sollen konkrete Maßnahmen vorliegen. Für den Bereich Biokraftstoffe wird es mangels Alternativen langfristig neben Effizienzsteigerungen, Elektromobilität, Verkehrsverlagerung und -vermeidung kaum Alternativen geben, erläuterte Dr. Franziska Müller-Lange, Bereichsleiterin Bioraffinerien im Deutschen Biomasseforschungszentrum.
Initiative zeigt auch die Industrie. Die Frachtabteilung der Lufthansa hat vergangene Woche ein umfangreiches Paket zur Reduzierung von Kohlendioxid-Emissionen vorgestellt. Dazu gehören leichtere Container, treibstoffsparende Flugverfahren und neue Flugzeuge, wie die Boeing 777F.
Logistik in Entwicklungs- und Schwellenländern
Deutschland baut auf seine Dienstleistungen und den innovativen Mittelstand. Vor allem im Bereich der Umwelttechnik wollen die „grünen Wirtschaftsbereiche“ im Ausland punkten. Beim BGA-Verkehr offenbar Fehlanzeige.
Das Verkehrsministerium hat die Verkehrsinfrastruktur als „wesentliche Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum, Entwicklung und individuelle Mobilität“ erkannt. Deutschland verfüge über hervorragende Kompetenzen und technisches Know-how für den Expertentausch und Modellprojekte, unterstreicht eine Sprecherin des Ministeriums die Ambitionen des BMVBS. Deutsche Unternehmen können im Rahmen der Außenwirtschaftsstrategie mit den Entscheidern vor Ort in Kontakt treten.
Dort warten die Möglichkeiten, sich zum Logistikweltmeister zurück zu runden. So waren erst im Juli EU-Präsident Barroso und Entwicklungs-Kommissar Piebalgs in Mosambik. Unter anderem stand der Korridor von Beira im Fokus, der bis in den Kongo hinein das Hinterland mit dem Indischen Ozean verbinden will. Mosambik will mehr als 14 Milliarden US-Dollar in den nächsten fünf Jahren für die Infrastruktur ausgeben [7].
Auch Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff hat angekündigt, mehr als 66 Milliarden US-Dollar in die Erneuerung der Infrastruktur zu stecken. Zunächst geht es um neun neue Autobahnen und 12 Eisenbahnlinien, die das Land noch mehr mit dem Weltmarkt verzahnen sollen. Der Kern sind Privatisierungen von mehr als 7.500 Kilometer Straßen [8].
Gerhard Riemann blickte auf der Jahrespressekonferenz des BGA-Verkehrsausschusses neidisch auf die Chinesen, die innerhalb von 15 Jahren 60.000 Kilometer Autobahnen gebaut haben.
Noch ärgerlicher ist es vielleicht, dass chinesische Umweltbusse in Italien fahren. Aber wenigstens vom TÜV Rheinland zertifiziert [9].
Lesestoff:
[1] Maersk liefert Seefracht „Just-in-Time“
[2] www.bme.de
[3] Ecology of Scale
[4] www.region-schafft-zukunft.de
[5] Urban Hub
[8] Financial Times 16.08.2012
[9] TÜV zertifizert Umweltbusse aus China für Italien
Roland Krieg; Grafiken: Destatis; BMVBS, BME