London kehrt Napoleon den Rücken

Handel

Künftig sind alte britische Maße und Gewichte wieder erlaubt

Scheffel, Unze, Meter und Pfund: Im Mittelalter hatte noch das kleinste Fürstentum eigene Gewichte und Maße. Wer über Grenzen hinweg handeln wollte, musste selbst bei gleicher Namensgebung wissen, wie viel Länge oder Gewicht dahinter verborgen waren. Der Fuß war nicht der Fuß, ein Scheffel nicht ein Scheffel. Preußen begann im 16 Jahrhundert mit der Vereinheitlichung von Maßen. Industrie und Handel sollten barrierefreier wachsen können. Am 10.12.1799 folgte die französische Regierung und legte mit dem Meter, dem Kilogramm und dem Liter verbindliche Rechenmaße fest. Nicht alles hat geklappt. Im März 1833 wurde „in deutschen Landen“ zwar das Zollgewicht eingeführt, blieb aber je nach Land unterschiedlich schwer. Wer „Die Entwicklung des Mess- und Eichwesens in Deutschland von 1800 bis 1945“ [1] liest, erkennt nicht nur den beschwerlichen Weg zu einheitlichen Maßen, Flächen und Gewichten, sondern auch, dass die Anstrengungen im Wesentlichen auf das Kontinentaleuropa beschränkt blieben. Die zweite Erkenntnis folgte auf dem Fuße: 1894 wurde das „Metrische System“ in ganz Europa gesetzlich vorgeschrieben. In ganz Europa? Nein. Neben Russland, Montenegro und Dänemark verweigerte sich auch Großbritannien dem kontinentalen Messwesen.

Die Maß- und Gewichtreform im 1900 Jahrhundert ging an London vorbei. Nicht nur, weil alte Zöpfe schlecht zu schneiden sind, sondern weil die Briten „Maße von Napoleon“ ablehnten.

Jetzt streicht London die europäischen EU-Maße und geht zu Unze, Pfund und anderen Maßeinheiten zurück. Das der Brexit derart neu gewogen und vermessen wird, hat seinen Grund in einem Vorfall, der sich in diesem Jahr zum 20. Mal jährt. Der mittlerweile verstorbene Obsthändler  Steven Thoburn wurde im April 2001 Jahren angeklagt, die Bananen an seinem Stand nicht nach europäischen Kilogramm-Gewicht angeboten zu haben. Erst zu Jahresanfang galt das Gesetz, Waren zum Vergleich auch mit europäischen Maßen anzugeben. Der im Nachhinein als „Rebell der Maßeinheiten“ bekannte Gemüsehändler verlor vor dem Amtsgericht Sunderland Magistrates Count. Es drohte im Gefängnis, sollte er weiterhin auf die zusätzlichen EU-Angaben verzichten.

Heute blickt seine Tochter auf ihren Vater und die Vielzahl an Unterstützung mit stolz zurück: „Die jüngste Ankündigung der Regierung ist nicht nur eine große Neuigkeit, sondern rehabilitiert meinen Vater mit seiner „Metrischen Märtyrer-Kampagne“, wie sie dem Sunderland Echo zum Wochenende sagte. Ihren Vater begleiteten vier weitere Gemüsehändler auf dem am Ende vergeblichen Weg gegen die napoleonischen Maße. Mit einer Online-Petition will Georgia Thoburn ihren Vater und die anderen Gemüsehändler jetzt auch rechtlich rehabilitieren.

Der damals auf dem Markt agierende Fischhändler Neil Herron, heute im IT-Bereich tätig, sagte, die Vereinheitlichung von Gewichte und Maße war „die erste direkte Veränderung im täglichen Leben, die den einfachen Briten die Folgen des Beitritt zur EU aufzeigte.“ Allerdings lag der britische Beitritt zu dem Zeitpunkt auch schon 28 Jahre zurück.

Die Online-Petition wird politisch von dem liberal-demokratischen Stadtrat Paul Edgeworth getragen. Wie das die Briten sehen, die jünger als 40 Jahre sind und die alten Maße gar nicht mehr kennen, wird die Zukunft zeigen.

Lesestoff:

[1] Scheidt, Detlev: Die Entwicklung des Messewesens in Deutschland von Karl dem Großen bis 1993, BTE-Schriften, Bremen 1997

Roland Krieg

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