Machen Einkausfcenter die Städte kaputt?

Handel

Einkaufscenter: förderlich oder schädlich für die Innenstädte?

Wer in Berlin mit der S-Bahn oder U-Bahn fährt, der braucht von einem zum anderen Shopping Center oftmals nur eine Station. Ein Ende der Neueröffnungen ist nicht in Sicht und das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) hat beobachtet, dass in den letzten Jahren immer mehr große Einkaufscenter mit mindestens 10.000 m2 eröffnet wurden. In den 1990er Jahren wurden die Center vor allem in den Großstädten eröffnet, doch haben Investoren mittlerweile die Mittelstädte entdeckt. In Deutschland gibt es rund 400 große Einkaufscenter von denen mehr als 150 in den Innenstädten betrieben werden.

Die ersten deutschen Shopping-Center öffneten 1964 in Bochum (Ruhrpark) und Sulzbach (Main-Taunus-Zentrum). Im Zeitlauf haben sich die Charakteristika deutlich verändert:

Typ 1

Eingeschossige Großprojekte auf der Grünen Wiese

1964 – 1975

Typ 2

Mehrgeschossig, überwiegend städtische Standorte

1970 – 1980

Typ 3

Innerstädtische Passagen für umfassenden Tagesbedarf

1980 – 1990

Typ 4

Revitalisierung bestehender Center

1985 – 1995

Typ 5

Fachmarktzentren in den neuen Bundesländer

1990 – 1997

Typ 6

Kleinere, mehrgeschossige City-Center

1998 - heute

Am 01.01.2008 gab es 339 Shopping-Center mit einer Gesamtfläche von 12.615.530 m2
Planungen 2009: 20 Center mit 582.300 m2
Planungen 2010: 22 Center mit 483.000 m2
Planungen 2011: 9 Center mit 309.400 m2

Q: EHI Retail (s.u.)

Keine unkritische Entwicklung
Das Difu findet viel Zustimmung bei den innerstädtischen Einkaufscentern. „Vorbehalte gegen die Investitionen in der Stadt können nicht nur aus stadtentwicklungspolitischen Gründen kaum ernsthaft vorgetragen werden.“ Allenfalls der Einzelhandel fürchtet um die Konkurrenz und Nachbarstädte sehen bei großen Centern ihre Zentralität gefährdet. Indes beklagen Fachleute das architektonische Einerlei sowie deren bauliche und soziale „Auf-Sich-Bezogenheit“, die zu wenig Rücksicht auf die gewachsene Stadt nimmt. Denn früher wurden die Einkaufscenter auf der Grünen Wiese angesiedelt, doch überwiegen derzeit die innerstädtischen Standorte. Das stärkt die ökonomische Leistungsfähigkeit zentraler Stadtlagen erheblich, so das Difu. Eine neue Studie hat herausgestellt, dass das aber kein Selbstläufer ist: Erfahrungen in verschiedenen Städten verdeutlichen, dass den Innenstädten durch ein zu massives und ungesteuert hingenommenes Vordringen zu großer, stereotyp angelegter und suboptimal verorteter Einkaufscenter sogar geschadet werden kann.

Berlin-Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky hätte gerne am Hotel Estrel ein neues Einkaufszentrum, mit dem 500 neue Jobs entstehen könnten. Eine Senatsvorlage allerdings will die Standorte auf der Karl-Marx-Allee weiter nördlich erhalten und hat entsprechende Ausführungsvorschriften erlassen. Derzeit kann das Center nicht gebaut werden.

Standort, Größe, Gestalt, Branchenmix und internes Management schaffen völlig neue Strukturen in der Innenstadt und lassen alte, gewachsene Strukturen nicht unberührt. Das Difu sieht die Gefahr, dass die Innenstädte als ideelle Mitte europäischer Städte gefährdet sein kann und die Bemühungen des Bundes und der Länder konterkarieren, die Innenstädte durch den Einsatz von Städtebauförderungsmitteln weiter zu entwickeln: „Das bedeutet, die Zukunft vieler Innenstädte kann auf dem Spiel stehen.“

Schwierige Entscheidungsprozesse
Die Studie „Wirkungsanalyse großer innerstädtischer Einkaufscenter“ hat Städte mit Center wie Bocholt, Düren, Erfurt, Hagen, Kempten (Allgäu), Osnabrück, Regensburg, Schwedt/Oder, Schwerin, Siegen, Wetzlar und Wilhelmshaven mit Städten ohne Einkaufscenter wie Bremen, Mannheim, Minden und Potsdam verglichen. Die Wirkungen wurden zwischen den Polen „Erhöhung der Zentralität“ und „weitgehender Erhalt und behutsame Weiterentwicklung bestehender Einzelhandels- bzw. Innenstadtstrukturen“ ausgewertet – Ziele mit erheblichem Konfliktpotenzial. Die Erhöhung der Verkaufsfläche führt zu einem Zentralitätsgewinn, aber verändert die Lagestruktur im Hauptgeschäftsbereich.

In Mannheim hatte das Stadthaus N1, erbaut 1991 trotz zentraler Lage einen schweren Stand und die Lokalpresse weiß zu berichten, dass außer einem Restaurant im Erdgeschoss, sich kein Geschäft länger zu behaupten wusste. Im Mai 2008 wurde ein neues Konzept eingeweiht: Die Naturfabrik GmbH hat auf 4.000 m2 ein Einkaufscenter nur für Ökoprodukte eingerichtet: 15 der Nachhaltigkeit verpflichtete Fachgeschäfte bieten neben einem Bio-Supermarkt alles von der Kosmetik bis zu Textilien an.

Die Auswirkungen sind dann moderat, wenn das neue Einkaufscenter in der Mitte des Hauptgeschäftsbereiches liegt und der Flächenzuwachse nur gering bleibt. Kleine und integrierte Einkaufscenter weisen den größten Wachstumsschub für alle auf.
Die Studie zeigt aber auch, dass Innenstädte ohne Einkaufscenter wachsen und an Zentralität gewinnen können. „Unabdingbare Voraussetzung für „centerlose“ Entwicklungserfolge ist ein möglichst komplettes Einzelhandelsangebot mit modernen Einzelhandelsformaten in einem möglichsten kompakten Innenstadtraum“, so ein Fazit des Difu.

Lesestoff:
Junker, R., Kühn, G. et al.: „Wirkungsanalyse großer innerstädtischer Einkaufscenter“ als Band 7 in der Reihe „Edition Difu – Stadt Forschung Praxis“. www.difu.de
Die Zahlen des EHI Retails sind entnommen aus: Factbook Einzelhandel 2009; Lebensmittelpraxis Verlag, ISBN: 978-3-88688-250-2; Erschienen zum Deutschen Handelskongress.

Roland Krieg

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