Mangelhafte Infrastrukturplanung
Handel
BGA fordert Neuanfang bei Infrastrukturplanung
Jüngst erst hat die Bundesregierung ihre „Digitale Agenda“ vorgestellt und will damit die Wertschöpfung im ländlichen Raum beflügeln [1]. Doch wenn selbst die Anschlussquoten mit hochwertigen Netzverbindungen liegen, schafft das noch keine Wertschöpfung. Denn die vielen Firmen müssen ihre Waren auch bis in die nächste Stadt oder bis zum Überseehafen bringen. Dann zeigt sich, ob die Autobahnen noch befahrbar sind, die Brücken überquert werden können und die Häfen ausreichend Ladekapazitäten haben. Gerhard Riemann ist da skeptisch. Die Digitale Agenda reiche nicht aus, Firmen in Deutschland zu halten. „Nach der digitalen Agenda brauchen wir schnellstens eine Infrastruktur-Agenda“, forderte der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) am Montag auf der Jahresverkehrspressekonferenz in Berlin.
Es fehlt an Vielem
Fehlende leistungsfähige Transportwege rund um die Netzinfrastruktur sind nicht das einzige Signal, das von der Bundesregierung falsch gesetzt wird. Auch dem Bekenntnis zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit fehlt das Kapitel Verkehrsinfrastruktur. Die Kluft zwischen Bedarf und Anspruch ist riesengroß geworden und die Koalition setze keine Zeichen: Es fehlt an Geld und Ideen.
Auch bei der Opposition. Vor allem die Grünen legen Wert auf den Gütertransport per Bahn und Binnenschiff. Doch ein Wettbewerb zum Lkw werde aus ideologischen Gründen herbeigeredet. Jede Transportart habe ihre Stärken und Schwächen. So könne Massengut wie Erz nicht per Lkw transportiert werden und bei einigen wenigen Containern ist das Schiff noch nicht ausgelastet. Auch die Bahn schläft. Der Kombiverkehr von Containern mit Lkw und Bahn scheiterte lange Zeit, weil die Bahn die entsprechenden „Taschenwagen“ für die modernen Megatrailer der Lkw nicht gebaut hat. In diesen „Taschenwagen“ können die Sattelauflieger mitsamt Rädern „gesteckt“ werden.
Wenn dann einmal etwas geplant wird, geht es schief. Die Einführung der Lkw-Maut sollte Güter von der Straße auf die Schiene bringen. In der Tat ging die Verkehrsleistung der deutschen Lkw seit 2005 um 7,5 Prozent zurück – deren Güter werden aber jetzt auf ausländischen Lkw aus Osteuropa mit günstigen Lohnkosten und preiswertem Diesel von außerhalb Deutschlands transportiert.
Der 5-Punkte-Plan
Riemann will mit dem in Berlin vorgestellten 5-Punkte-Plan gegen eine marode Infrastruktur einen „Neuanfang“ in die Wege leiten.
Zunächst einmal soll eine verlässliche Lkw-Maut her. Derzeit sollen die Sätze nach einem Absenken um die externen Kosten der Luftverschmutzung und Lärmbelastung wieder steigen, was die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Firmen beinträchtigen werde, so Riemann. Auch das Einbeziehen der Maut auf kleinere Lkw sei kontraproduktiv. Der BGA fordert daher eine Harmonisierung der europaweiten Dieselsteuersätze, um auf diesem Gebiet Gleichheit für alle Transportteure zu erreichen.
Selektive Pkw-Maut: Für die Pkw-Maut hat sich der BGA bereits in der Vergangenheit ausgesprochen. Auch hier soll zunächst einmal eine Angleichung der Kfz- und Mineralölsteuer in Europa her, um den Tanktourismus zu unterbinden. Als nächstes soll eine nutzerabhängige Wegegebühr für besonders ausgelastete Streckenabschnitte her. Riemann denkt an die A3 zwischen Düsseldorf und Frankfurt und die A2 zwischen Ruhrgebiet und Hannover. Mit diesen Teststrecken für eine selektive Maut will Riemann die Autofahrer auf die ICE-Schnellbahnstrecke zwingen. Anstelle einer reinen Vignette, wie sie derzeit im Gespräch ist, will Riemann mit einer „intelligenten Pkw-Maut“ die privaten Verkehrsströme steuern. Käme der Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen, stünde der Vorwurf der Planwirtschaft von Verkehrswegen im Raum.
Planfeststellungsverfahren: Das Beispiel von 100 Kilometer Autobahn der A66 von Frankfurt nach Fulda dient Riemann als Menetekel. Der Bau hat am Ende 50 Jahre gedauert. Einen großen Teil der Zeit wurde mit Planfeststellungsverfahren vergeudet, die Riemann deutlich beschleunigen will. Schuld daran ist unter anderem die Zerstückelung in einzelne Streckenabschnitte. Und wenn bereits gebaut wird, soll nach dem NRW-Prinzip gebaut werden: Die Firmen, die ihren Abschnitt schneller als geplant fertig gestellt haben, erhalten dafür Prämien.
Güterverkehrstrassen: In Deutschland fahren Personen- und Güterzüge auf den gleichen Trassen. Um die Attraktivität des Nahverkehrs zu erhalten haben Personenzüge Vorrang vor Güterzügen. Die Niederländer haben deshalb vor zehn Jahren mit der Betuwerroute von Rotterdam bis an die deutsche Grenze eine eigene Güterverkehrstrasse gebaut auf der wöchentlich rund 450 Zugbewegungen in beide Richtungen ungehindert verkehren. So etwas wünscht sich Riemann seit langem. Das die niederländische Trasse nicht weiter geht, liegt an Deutschland, die noch immer im Planfeststellungsverfahren stecke: „Das ist wirklich ein Armutszeugnis“, wertet Riemann.
Allerdings hat die EU mit der Verordnung 913/2010 neun grenzüberschreitende Güterverkehrskorridore ausgearbeitet, was 2010 gegen die Stimmen Deutschlands umgesetzt wurde. Der Rhein-Alpen-, Nordsee-Mittelmeer- und Nordsee-Baltikum-Korridor laufen auch durch Deutschland. 2013 wurden die ersten in Betrieb genommen. Mittlerweile ist das Projekt in die Strategie „Connecting Europe“ übergegangen. Darin soll auch die Verordnung 913/2010 geändert werden. Deutschland hat dazu erklärt, dass es nicht generell gegen eine Harmonisierung der Güterkorridore sei, trage aber „Bedenken bezüglich der formellen Aspekte des gewählten Verfahrens“. Außerdem sollten vor einer Veränderung die ersten Erfahrungen der bestehenden Korridore ausgewertet werden.
Derweil hat die Deutsche Bahn reagiert. In Dänemark sind Güterzüge mit einer Länge von 835 Metern erlaubt. Die Infrastrukturertüchtigung der Bahn im Jahr 2010 hat die Güterzuglänge zunächst einmal von 670 auf 740 Meter erlaubt. Seit dem Fahrplanwechsel 2012 sind nun auch 835 Meter möglich, so dass zwischen dem dänischen Padborg und Maschen bei Hamburg keine Waggons mehr abgekoppelt werden müssen. Die Bahn will damit die zunehmende Bewältigung des prognostizierten Güterverkehrsaufkommens auffangen.
Schifffahrt: Undurchsichtig sind auch die politischen Diskussionen um die Binnenschifffahrt. Die Opposition favorisiert sie, lehnt aber gleichzeitig die Elbvertiefung ab. Gewinner dieser Politik sei der Hafen Rotterdam. Riemann nimmt die Hamburger Logistikprobleme der letzten Monate auf und prophezeit: „Wenn die Elbvertiefung nicht kommt, dann verkommt Hamburg zu einem Feederhafen!“ [2]. Die großen 18.000 und bald 22.000 Standard-Container tragenden Schiffe legen dann in anderen Häfen an, die dann den Feeder-Verkehr der Ostsee bedienen. Das bezeichnet die Umladung auf kleinere Schiffe mit rund 8.000 Containern. Mehr Fahrten mit kleineren Schiffen sei das Ergebnis. Riemanns Blick in Hamburgs Zukunft ist düster.
Doch es seien nicht nur ineffiziente Umladeprozesse. Der Stauraum im Hamburger Hafen sei voll. Rotterdam macht es vor und schafft die Container gleich weg in ein Umladezentrum in 30 Kilometer Entfernung. So etwas fehlt in Hamburg. Hamburg sollte mit der Elbvertiefung auch gleich einen zweiten Verteilterminal außerhalb bauen, um die Hinterlandanbindung sicher zu stellen. Diesen Weitblick hat die Politik bislang noch nicht gezeigt.
Engagement der Privatwirtschaft
Deutschland ist auf die Vielfalt der Transportwege angewiesen. Für den Ex- als auch für den Import. Von den 4,5 Milliarden Tonnen Gütern werden nach Riemann 3,5 Milliarden per Lkw über die Autobahnen transportiert. Der Neuanfang anhand des BGA-5-Punkte-Planes soll daher einen tiefgreifen Prozess in der Politik einleiten. Die Logistik müsse in den Vordergrund rücken, die Abstimmungen sollen besser laufen. Riemann argwöhnt auch falsche Signale. Er glaube nicht, dass nahezu gleichzeitig alle Brücken in Deutschland sanierungsbedürftig seien. Ein Großteil wurde in der Zeit des Kalten Krieges auch militärisch für bis zu 60 Tonnen ausgelegt.
Ein Schlüssel für die Logistik-Zukunft könnte in dem privatwirtschaftlichen Engagement liegen, sagte Riemann zu Herd-und-Hof.de. Es müsse nicht gleich ein Tiefseehafen wie der Dubai Port in England sein [3], aber der Autobahnbau bei Bremen sei ein guter Anfang.
Binnenschifffahrt
Der Zentralverband der Deutschen Schiffsmakler fühlt sich übergangen. Die jüngste Kurzfristprognose des Bundesverkehrsministeriums zeigt einen Anstieg des Verkehrsaufkommens für die Binnenschifffahrt um 2,3 Prozent und die der Leistungen um 0,4 Prozent und jeweils um ein Prozent für das nächste Jahr. Die Bundesregierung erwartet eine Zunahme des Seeverkehrs um 2,6 Prozent in diesem und um 2,9 Prozent im nächsten Jahr. Geschäftsführer Dr. Alexander Geisler kritisierte, dass bei der Veröffentlichung der Prognose weder die Binnen- noch die Seeschifffahrt erwähnt wurden. Der Schiffstransport könne nicht vernachlässigt werden. Der Ausbau von Wasserstraßen für die Hinterlandanbindung sei „ein echtes Marktbedürfnis“.
Alkali-Kieselsäure-Reaktionen
Die Alkali-Kieselsäure-Reaktion hat als „Betonkrebs“ die Schlagzeilen erobert und macht die Autobahnen kaputt. Alleine Brandenburg hat zwischen 2005 und 2013 rund 40 Kilometer Autobahn für 47 Millionen Euro reparieren müssen. Als Baulastenträger hat der Bund die finanzielle Verantwortung und muss bis 2018 weitere Abschnitte auf allen märkischen Autobahnen sanieren. Das Bundesverkehrsministerium hat einen Sanierungsbedarf in Höhe von 7,4 Prozent der Autobahnen und 21,3 Prozent der Bundesfernstraßen in Brandenburg errechnet. Das entsprechen weitere 59 und 600 Kilometer Straße. Für ganz Deutschland wurde etwa für ein Prozent der Bauwerke im Zuge der Bundesautobahnen, vier Prozent der Bundesautobahnen überquerenden Brücken und fünf Prozent der Bauwerke an den Bundesfernstraßen „ein nicht ausreichender bzw. ungenügender Zustand ermittelt“. Die Planungen für die Sanierungen liegen in der Hand der Bundesländer.
Lesestoff:
[1] Digitale Agenda
[2] Hamburger Hafen mit Rekordergebnis
Stauaufschlag für Hamburger Lkw-Container
[3] Obst erste Ladung im London Gateway
Roland Krieg