McPlanet: Die Welt vor dem Neustart

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McPlanet: NGOs zum Lösungsgipfel in Berlin

Energiekrise, Umweltkrise, Ernährungskrise, Finanzkrise, Wasserkrise, Bankenkrise – kaum ein Hauptwort, das heute ohne die Endung auskommt, die den Menschen wie ein schleichendes Gift in das Bewusstsein dringt und diffus appelliert: Wir müssen etwas tun.
Bevor das Ende der irdischen Fahnenstange erreicht ist, haben sich am Wochenende mehr als 1.000 Menschen und prominente Gäste aus der Zivilgesellschaft zum dreitägigen Kongress „McPlanet“ in Berlin getroffen, um in Workshops, Diskussionsrunden, Foren und Aktionen die Richtungsänderung zu beschreiben: „Game over. Neustart.“ Herd-und-Hof.de hat einige Foren besucht.
Die Trägerorganisationen des Kongresses sind attac, BUND, Evangelischer Entwicklungsdienst, Greenpeace und die Heinrich-Böll-Stiftung mit dem Kooperationspartner Wuppertal Institut.

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„Herzinfarkt der Globalisierung“
Zum Zeitpunkt des ersten Kongresses 2003 galt die Globalisierung noch als etwas Positives und die veranstaltenden Nichtregierungsorganisationen (NRO, NGO) galten als „Altromantiker, die nichts von Wirtschaft verstehen“, so Hubert Weiger vom BUND bei der Eröffnungsrede. Der erste Kongress war den Ungerechtigkeiten gegen Mensch und Natur gewidmet, was sich heute bewahrheite. Die Krise sei nicht plötzlich als Urgewalt über die Menschen hereingebrochen, sondern habe sich angekündet, wenn auch die NGOs in der Vergangenheit nicht genug auf die Komplexität der voneinander abhängenden Krisen aufmerksam gemacht hätten. Die Krisen berühren wirtschaftliche Interessen, Umwelt und soziale Aspekte. Die sozialen Gesichtspunkte gehören gleichgewichtig auf dieselbe Stufe und Wirtschaft ist ein Teil der Natur, so Weiger. In den Köpfen der Verantwortlichen sei die Krise jedoch noch nicht angekommen, weil die Krisen eine Systemkrise ist. Das Ziel des Kongresses sei es: Neue Wege des Miteinanders zu finden und alte, verschüttete Wege wieder zu entdecken.

Welche Entwicklung?
Der langjähriger Autor zum Thema Entwicklungstheorie, Dieter Senghaas, hat sich Gedanken über die „Wege aus der Armut“ gemacht. Friedrich List (1789 bis 1846) hat schon zu Zeiten der industriellen Revolution in England aufgezeichnet, wie die Armen die Entwicklung der Reichen „nachholen“ könnten. Senghaas folgert:
„Das Problem der nachholenden Entwicklung entsteht, wenn sich zwischen Ökonomien, die miteinander einen regen Austausch pflegen, eine Kluft an Know-how und organisatorischen Fähigkeiten herausbildet. Dann steht einer wenigen produktiven Ökonomie eine produktivere gegenüber. Zwischen ihnen, den Zentren und den Peripherien, entwickelt sich ein Gefälle an Fähigkeiten.“ Daraus folgt ein Verdrängungswettbewerb zwischen „mehr vorgerückten“ und „minder vorgerückten“ Gesellschaften. In der dominierten Ökonomie werden ohne Schutzmaßnahmen die mit geringerer Produktivität erzeugten Waren niederkonkurriert. Findet eine Peripherisierung dieser Gesellschaften statt, dann verfallen die herkömmlichen Lebensformen (gesellschaftliche Regression).
In den 1970er und 1980er Jahren erfahren die OECD-Länder eine Umkehr der Abhängigkeiten. Die Schwellenländer, die ein „upgrading durchlaufen haben“, verdrängen die „Alt-Industrieländer“ mit preisgünstigen, hochwertigen, zunächst arbeitsintensiven Gütern. Mit China und Indien haben solche Länder eine Marktbedeutung gewonnen, die in Nordamerika und Westeuropa nicht mehr durch einen Strukturwandel aufgefangen werden kann. Jetzt erleiden die Alt-Industrieländer eine „nachholende Peripherisierung“ durch die Schwellenländer.
Für Senghaas gibt es eine Lösung. Das ist die „nachhaltige Entwicklung“ bei pfleglichem Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Hauptsächlich gefordert sind dabei die hochindustrialisierten Gesellschaften, weil sie am meisten Energie und Ressourcen verbrauchen. Ohne deren „vorgängige eigene entwicklungspolitische Wende“ endet der Weg in die Zukunft in einer Sackgasse.
Q: Senghaas, Dieter: Wege aus der Armut; in: Blätter für deutsche und internationale Politik; 12/08; S. 79 ff. // (Prof. em. für Internationale Politik Uni Bremen)

Zunehmend wichtiger werden die Fragen, wer bekommt warum, wie viel Geld und Hauptaufgabe ist, „die Kostenvorteile der Zerstörer zu beseitigen“. Weiger wird agrarpolitisch konkret, als er sich gegen die Empfehlung von Bundesagrarministerin Ilse Aigner wendet, die Veröffentlichungen der Direktzahlungen zu stoppen. Es sei falsch zu behaupten, dass die Veröffentlichungen Unfrieden in den Dörfern erzeuge, weil die Bauern sich untereinander kennen und wissen, wer was bekommt. Wichtig seien die Veröffentlichungen, damit die Steuerzahler sehen, wie Rheinbraun und andere Großunternehmen von den Zahlungen profitierten „und die kleineren Betriebe aus dem Wettbewerb schmeißen.“
Bezogen auf den Boom beim Treibstoff aus nachwachsenden Rohstoffen würden nur die Betriebe profitieren, die Fläche zur Verfügung haben und am Export beteiligt sind. Weiger forderte eine weltweite Zertifizierung von kleinen und regionalen Strukturen und weiß auch in welcher Intensität: „Wir müssen radikaler werden, d.h. grundsätzlicher.“
Als „Herzinfarkt der Globalisierung“ bezeichnet Buchautorin Christiane Grefe („Der globale Countdown“ und Zeit-Journalistin) die Krisen. Globalisierung sei jedoch nicht per se schlecht, denn die enge Verzahnung der verschiedenen Volkswirtschaften, habe vielen Regionen Frieden gebracht, weil die Länder nicht mehr ohne einander auskommen. Die Krisen stellen jedoch die Verhältnisse auf den Kopf und die Gelder für die Bankenrettungen würden ausreichen, die Millenniumsentwicklungsziele fünfmal zu finanzieren. Die Globalisierung habe in ihrer Ausformung die Ungleichheit manifestiert: Rund ein Prozent aller Menschen besitze derzeit 40 Prozent des Reichtums und durch die Rückzahlungen von Krediten, fließe heute mehr Geld vom Süden in den Norden, als umgekehrt.
Nicola Bullard von Focus of the Global South (Thailand) sieht in der Zusammenballung der Krisen das Aufmerken der Industrieländer. Erst wenn die Krisen die Machtzentren erreichen, dann werden sie thematisiert, obwohl, so Sara Larraín (Chile Sustentable, Santiago), die Menschen in Nord und Süd unterschiedlich getroffen sind. Im Norden sind die Krisen mehr ökonomischer Natur, während im Süden die Krisen die nackte Existenz bedrohen.
Die Philippinnen und Mexiko sind beispielsweise Länder, aus denen viele Menschen in Industrieländer migriert sind, um dort zu arbeiten. Auf den Philippinnen sind die Auslandsüberweisungen in die Heimat die zweitwichtigste, in Mexiko die drittwichtigste Devisenquelle des Landes, so Bullard. Jetzt verlieren die Menschen ihre Arbeit und wandern wieder zurück. Das erhöht die sozialen Spannungen vor Ort denn die ehemaligen Auswanderer kommen aus den Regionen, die keinen wirklichen Beitrag für die nationalen Ökonomien geleistet haben. Dort sind die letzten regionalen Wirtschaftsstrukturen verschwunden und müssen jetzt noch die Remigranten verkraften, so Larraín.
Auf der Suche nach der richtigen Ökonomie bricht Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung eine Lanze für die soziale Marktwirtschaft. Richtig ausgestattet, sei sie gut. Das erschreckende an der ökonomischen Krise sei ja gerade, dass sie nicht durch die entstandene Ungerechtigkeit des Neoliberalismus zwischen Arm und Reich ausgebrochen sei, sondern systemimmanent durch mangelnde Effizienz. Dem System fehlt es an Ordnung. Kemfert nannte auch ein Beispiel, wie die verschiedenen Krisen in Verbindung stehen. Durch die Finanzknappheit der Bankenkrise werden derzeit keine neuen Erdölförderstätten mehr erschlossen, was die Energiekrise in der nächsten Zeit noch verschärfen werde. Zudem werden zu wenig Investitionsmittel für erneuerbare Energien ausgegeben, was den Inkota AusstellungEffekt noch verstärkt. Hier müsse der Staat mehr die Initiative ergreifen und die Weichen für die Zukunft stellen. In der Politik sieht auch Nicola Bullard den Schlüssel für die Zukunft. Wichtiger als die Komplexität der Krisen seien die politischen Kräfte, die mit Strategien, Agenden und Ideen die Weichen stellen: „Die Lösung ist eine politische und keine intellektuelle Aufgabe.“

„Wir haben Hunger“
Hohe Lebensmittelpreise gab es bereits 1997. Doch die Weltgemeinschaft hat sich darüber nicht so echauffiert wie im Jahr 2008 als in Haiti die Unruhen zu einem Regierungswechsel geführt haben, beklagte Rudolf Buntzel vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED). Insgesamt gab es 36 Aufstände, die unterschiedliche mediale Aufmerksam erreichten. So wurde kaum über die 170 Toten in Kamerun berichtet, als dort jungen Menschen mit nur dem Slogan „Wir haben Hunger“ auf die Straße gingen. Haiti hingegen hat bewirkt, dass die Politik das Thema schnell auf die Tagesordnung gesetzt und seit dem viele Konferenzen durchgeführt hat – allerdings, so kritisiert Buntzel, mit immer nur den gleichen Inhalten. Wie zuletzt beim G8-Agrargipfel gehe es nur um Investitionen in die Agrarproduktion zur Deckung eines Angebotsdefizits im Rahmen der Globalisierung. Das habe 68 Ländern den Status des Nahrungsexporteurs gekostet, die mittlerweile Lebensmittel importieren müssen. Dabei gehe es bei der gerechten Entwicklung der Kleinbauern in den ländlichen Räumen um Agrarmethoden, die sie selbst beherrschen können, um sich in den Status der Ernährungssouveränität zu versetzen.
Das Forum „Wege aus der Nahrungskrise“ zeigt jedoch auch die Plausibilität anderer Ansätze. Willi Kampmann vom Deutschen Bauernverband erinnerte daran, dass die Preise für Nahrungsmittel in den letzten zwei Dekaden kontinuierlich gesunken sind und erst jetzt wieder auf ein Niveau kommen, auf dem die Bauern Geld verdienen könnten. Die steigenden Preise sieht Kampmann als Chance für eine Produktionsausrichtung, die Menschen in den größer werdenden Städten ernährt. Nach Kampmann gibt es ein ganzes Ursachenbündel für die steigenden Preise: Wachsende Bevölkerung, veränderte Verzehrsgewohnheiten in Richtung westlicher Diät in asiatischen Ländern, weltweiter Abbau der Lagerbestände, Missernten durch Trockenheit und Spekulationen an der Börse. Kampmann nannte auch das „unbequeme Thema“ schlechter Regierungen in den Entwicklungsländern selbst, bei denen Finanzhilfen versickern und die den Bauern vor Ort Zugang zu Produktionsressourcen versperren. Außerdem habe er die Beobachtungen gemacht, dass in manchen Land NGOs, die Kirchen und Ministerien voneinander getrennte Entwicklungsprojekte durchführen und sich nicht zu einem Gesamtkonzept vernetzen. Der Kritik, dass die Entwicklungsländer durch Zollvorschriften von den Industrieländern benachteiligt werden, kam er zuvor: Es mangele an einem Süd-Süd-Handel, weil sich die Länder untereinander oftmals mit höhere Zöllen und Besteuerungen abschotten.
Für Flavio Valente von FIAN International ist der Handel kein neutrales Instrument. Wer über die Ernährungskrise rede, der rede über Macht, so Valente. Hunger gebe es bereits seit Jahrzehnten und die Wirtschaftsweise in dieser Zeit habe die Probleme angehäuft, statt sie zu lösen. Ziel müsse ein Ausgleich der Ressourcen sein, denn es gebe genug Nahrungsmittel auf der Welt.
70 Prozent der Hungernden sind Kleinbauern und Landlose, die es in der Politik zu adressieren gilt und der Norden sollte begreifen, dass er ein Teil des Problems ist.
Was der richtige Weg aus der Armut ist, darüber gibt es wenig Konsens. Begriffspaare Kleinbauern und industrielle Produktion, ökologische und konventionelle Produktionsverfahren wurden gegeneinander ausgetauscht. Dabei sind viele Grundsatzfragen nicht geklärt. Ein Teilnehmer im Forum war sich sicher, dass für die Versorgung über die ökologische Produktionsweise sehr viel mehr Menschen Landwirtschaft betreiben werden müssten, als heute bereits tätig sind. Ein anderer Teilnehmer aus Indien beschrieb, wie der Konsumdruck der Städte auf das Land ausstrahlt und die Bauern „zwinge“ schnell viel Geld zu verdienen.
Wie komplex die Situation ist, fasste Flavio Valente kurz zusammen: Wer auf den kleinen Betrieben des ländlichen Raums Wohlstand erzielen möchte, der muss die Lebensmittelpreise nach oben setzen. Wer die Lebensmittelpreise hochgesetzt hat braucht in den Städten höhere Löhne, damit die Menschen sich die Nahrung auch leisten können. Wer höhere Löhne in den Städten durchsetzen will, der darf keine Arbeitslosigkeit haben. Dabei gab Willi Kampmann noch zu bedenken, dass es vielleicht wünschenswert wäre, überall nur Kleinbauern mit nur fünf Kühen zu haben – doch für die Sicherung dieses Bestands gebe es keine politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

Am Freitag folgt der zweite Teil: Biopiraterie; Lohas; Fleischverzehr

Roland Krieg (Text und Fotos)

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