Milch: Brunner allein auf weiter Flur

Handel

Milch: Hoffen auf die EU

Auf Initiative des Bayerischen Landschaftsministers Helmut Brunner trafen sich am Mittwoch Nachmittag die Länderagrarminister zu einer Sondersitzung in Berlin. Ziel ist gewesen, Ilse Aigner den Rücken zu stärken, damit sie am kommenden Montag im Brüsseler Agrarrat die von allen Beteiligten herbeigesehnte Entspannung der Situation am Milchmarkt herbeizuführen. Kritiker frozzelten angesichts der ausgelegten Beschlussvorlagen und Ergebnispapiere: „Die Papierindustrie boomt.“

Maßnahmen ergriffen
Zwischen der Magdeburger Erklärung auf der letzten Agrarministerkonferenz, dem Ergebnis des Runden Tisches Lebensmittelkette und der aktuellen Fassung wurden die meisten Wünsche und Ziele wiederholt. In so kurzer Zeit kann auch kaum etwas neues hinzugekommen sein. Petra Wernicke, Landwirtschaftsministerin aus Sachsen-Anhalt konnte zumindest auf angehobene Ausgleichszahlungen, den PLANAK-Beschlüssen und Erleichterungen bei Investitionsvorhaben verweisen.

MilchbauerndemoLage unverändert
Die Ausgangssituation hingegen hat sich nicht geändert: Rund 115 Prozent Milch werden in Deutschland produziert. Rund 105 Molkereien versuchen den Überschuss auf fünf große Handelsketten zu verteilen, die „diese Situation schamlos ausnutzen“, so Brunner und trotz Versprechen auf dem letztjährigen Milchgipfel ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht nachkommen. Die Preise fallen auf 20 Cent. Am Rande der AMK sagte Hans Foldenauer vom European Milkboard (EMB) zu Herd-und-Hof.de, der Versuch mehr Milch in das Ausland zu exportieren sei von vorne herein zum Scheitern verurteilt gewesen. Russland und China haben mit einer eigenen Milchproduktion begonnen und Indien hat sich in den letzten Jahren zu einem Milchexporteur gewandelt. Der EMB sei aber immer falsch verstanden worden. Er sei nicht gegen den Export. Doch mit nur Milch könne Deutschland nicht gegen andere Exporteure konkurrieren. Hingegen könnten veredelte Produkte Erfolg haben. Daher fordere der EMB nur so viel Milch zu produzieren, wie der heimische Markt aufnehmen kann und das Ausland Käse oder Joghurt auch tatsächlich abnimmt. Ansonsten melken die Bauern gegen die sinkenden Preise an, was in einer Abwärtsspirale endet.

„Wir wollen den Bauern in dieser schwierigen Situation helfen und gemeinsam mit ihnen einen Weg aus der Krise finden. Gerade jetzt möchten wir den Landwirten die bestmögliche Beratung anbieten. Bei Fragen der Umschuldung alter Kredite bis hin zur Umstellung des Betriebes auf andere Produktionsfelder stehen fachkundige Ansprechpartner beim Landesbetrieb Landwirtschaft bereit“, teilte Hessens Agrarministerin Silke Lautenschläger am Mittwoch mit. Kontaktdaten und Infos gibt es unter www.llh-hessen.de

Fünf Prozent aussetzen?
In Bayern steht jeder zweiter Milchviehbetrieb. Der Bauernverband hatte sich auf dem Bauerntag in Bamberg erfolglos gegen den Beschluss des Deutschen Bauernverbandes gewehrt, für den Quotenausstieg der EU zu sein. So hat sich nun auch Brunner nicht durchsetzen können, fünf Prozent der aktuellen Milchquote auszusetzen, damit das Marktgleichgewicht wieder hergestellt werden kann. Frankreich und Österreich machen das gerade vor. Brunner sieht sogar schon die alte EU-Agrarpolitik am Horizont: Mit Subventionen erzeugte Überschüsse werden mit subventionierten Exporterstattungen und Interventionen wieder vom Markt genommen. Das hatte letztlich zur Einführung der Milchquote 1985 geführt. Fünf Prozent aussetzen würde aber Sachsen-Anhalt ganz anders treffen, denn dort wird die Quote nur zu 94 Prozent ausgeschöpft, so Wernicke.

Alle Betriebe gleich
Die Situation ist für alle Betriebe gleich. Zwar kann der Familienbetrieb durch Nebenerwerb und Lohnverzicht länger durchhalten als der große Lohnbetrieb, doch Erzeugerpreis und Produktionskosten liegen so weit von einander entfernt, dass kein Betrieb mehr rentabel Milch produziert.
Brandenburgs Agrarminister Dr. Dietmar Woidke vergleicht die Situation in seinem Land mit der vor zwanzig Jahren. Vergleichbar sind die Arbeitsplätze in den Betrieben gefährdet, soziale Verwerfungen auf dem Land drohen. Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern fordern ein soziales Begleitprogramm.

Die mehrarmige Waage
Das Milchforum auf dem Bauerntag verdeutlichte gestern welche mehrarmige Waage in der Balance gehalten werden will.
Die Erzeuger: Die Bauern schimpfen auf die Preise. 540 Betriebe überschreiten ihre erlaubte Produktionsmenge zu 15 Prozent und weitere 490 Betriebe zu 10 Prozent, beklagte Albert Große Frie, Vorstand der Humana Milchunion. Diese Milch wird quasi den Molkereien vor die Tür gestellt, die verarbeitet, verkauft und verzehrt werden muss. In Italien, Spanien und Frankreich gelangt "Schwarzmilch" auf den Markt, welche die "erlaubte" Milch verdrängt.
Die Bauern klagen über zu hohe Produktionskosten. Krankheitsbedingt scheiden Hochleistungstiere im Bundesdurchschnitt bereits nach 2,5 Nutzungsjahren wieder aus der Produktion aus. Fruchtbarkeitsstörungen, Klauenprobleme und Eutererkrankungen sind die wesentlichsten Krankheitsbilder. Tiere mit weniger Leistung können gesünder bleiben und brauchen nicht so schnell ausgetauscht zu werden.
Die Verarbeiter: Campina ist eine Genossenschaft und ein weltweit handelndes Unternehmen. Zwar soll die Milchabnahme und Bezahlung für den Erzeuger an seine Produktionsbedingungen gebunden sein, also kostendeckend, aber als erste Aufgabe und Herausforderung für die Zukunft nannte Bert Jansen, Vizepräsident von Campina Kostensenkung und internationales Wachstum.
Der Weltmarktpreis für Milch liegt bei etwa 22 Cent.
Der LEH: Hubertus Pellengahr vom Hauptverband des Deutschen Einzelhandels nimmt die Discounter Aldi und Lidl in Schutz. Wenn sie an einem einzelnen Tag Aktionsprogramme mit Milchprodukten fahren, sei das nicht das Problem. Der Milchüberschuss sei das Problem. Aldi hat niedrige Kosten, ist ein harter Verhandlungspartner und nimmt große Mengen ab. Somit kann er dauerhafte Niedrigreise anbieten und verhalte sich marktkonform.
Aber: Der LEH hat ein Flächenproblem. Etwa 50 Prozent der genutzten Fläche sind überflüssig und kosten unnötig Miete und Betriebskosten. Dadurch steigt der Kosten- und Wettbewerbsdruck.
Die Politik: Die Verbraucher schimpfen über die hohen Ausgaben der EU für die Landwirtschaft. Stellvertretend hatte Herman Versteijlen, Abteilungsleiter Milch der EU Kommission, einen schweren Stand. Die Verbraucher vergessen, dass Infrastruktur und Gesundheit auch sehr viel Geld kostet, aber aus den nationalen Töpfen bezahlt werden. Im Vergleich zu diesen Geldern falle die Agrarsubvention deutlich geringer als gefühlt aus. Der EU-Export ist in den vergangenen Jahren bereits von 40 auf 25 Prozent zurückgegangen und entlaste die Exportkasse. Diese Zurückhaltung käme auch nicht den Entwicklungsländern zugute, denn Australien, Neuseeland und Ozeanien haben sich dieses Handelsvolumen erobert. Zudem wollen alle exportorientierten Länder in die EU liefern, weil das Preisniveau hier rund 30 Prozent über dem Weltmarktpreis liege.
Eine Preissenkung, auch mit Hilfe zusätzlicher Quote, als Selbstverteidigungssystem der EU?
Die Verbraucher: Zwischen 40 und 50 Prozent der Lebensmittel werden mittlerweile über die Discounter vermarktet. Trotzdem belegen Befragungen immer wieder, dass der Verbraucher bereit ist, ein paar Cent mehr für kostendeckende Preise zu bezahlen. Aber Pellengahr führte auch an, dass 43 Prozent aller Haushalte nach Abzug aller Kosten inklusive Lebensmitteleinkauf, nur noch 100 Euro zur freien Verfügung stehen. Um diesen Brosamen streiten Urlaubsanbieter, Kulturschaffende und Bauern.
Bauerntag Rostock 2005; roRo

EU und Selbstdisziplin
Ilse Aigner hat die leise Hoffnung, dass sich auf europäischer Ebene etwas ändert. In Frankreich und einigen Beitrittsländern sei die Situation vergleichbar, was möglicherweise mehr Länder den Quotenausstieg überdenken lässt. Zuletzt hatte der französische Agrarminister Barnier eine Prüfung für 2010 gefordert. Aigner weiß aber auch, dass damit der gefasste Health Check geändert werden müsste, wozu die Stimmen aller 27 EU-Mitgliedsstaaten notwendig wären. Sie wolle jedoch dafür eintreten, dass die Marktanalyse für 2010 schon in diesem Jahr durchgeführt wird.
Die Forderung nach der Vor-Auszahlung der Direktzahlungen hat sich in der Zwischenzeit als schwieriger entpuppt, als gedacht. Die Gelder können lediglich auf den 16. Oktober vorgezogen werden, um der jetzigen Förderperiode nicht in die Quere zu kommen. Wollen Bauern bereits ab dem 01. Juni Geld haben, müssen sie „einzelbetrieblich individuell“ die Gelder beantragen. Ob dann die Lücke zwischen Juni und Oktober auch wirklich überbrückt werden kann, ist auch von der Zustimmung des Finanzministeriums abhängig.
Bleibt der Appell an die Selbstdisziplin, denn die Milchbauern überliefern die Quote. Weitestgehend einig sind sich die Agrarminister darüber, dass die Überlieferungen mit deutlicheren Abzügen bestraft werden sollen, damit der Anreiz verloren geht. Foldenauer sieht in der Abschaffung jeglicher Saldierungsmöglichkeiten eine Lösung. Dafür gibt es auf der AMK keine Mehrheit.
Drastische Maßnahmen unternehmen derzeit die USA, die rund 100.000 Rinder schlachten, um den Milchmarkt wieder ins Lot zu bringen. Brunner würde lieber andere Maßnahmen vorziehen. Ihm zeigt das Beispiel jedoch, dass auch die Amerikaner mit der Situation am Milchmarkt zu kämpfen haben.

Roland Krieg; Foto: roRo

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