„Mit China gibt es keine Flitterwochen“
Handel
Verstehen Europäer die Chinesen richtig?
Vor einem Jahr wurde die längste Seebrücke der Welt eröffnet. Sie ist 55 Kilometer lang, hat acht Milliarden Euro gekostet und wurde innerhalb von neun Jahren fertig gestellt. Nicht jeder Stallneubau in Deutschland wird innerhalb dieser Zeit fertig. Die Chinesen haben Hongkong quer über das Meer mit Macau verbunden und nicht nur technische Bewunderung eingeholt. Wer auf solche Erfolge verweist, dem wird aktuell mit Hongkong die politische Voraussetzung für solche Bauwerke entgegen gehalten.
Moderne und Defizite
China ist schon lange nicht mehr beim Sprung in die Moderne, wie es bei den kleinen Tigerstaaten Südkorea, Taiwan, Singapur und Hongkong in Südostasien in den 1980er Jahren geheißen hat. Der große Drache ist zum Teil bereits in der Zukunft gelandet und macht die Weltwirtschaft nervös. Die Hongkong-Macau-Brücke ist Teil einer Region, die als „Greater Bay Area“ bezeichnet wird. Im Herzen der Region liegt das Delta des Perlenflusses. Die Oktober-Ausgabe Think:Act der Unternehmensberatung Roland Berger sieht bereits das „Silicon Valley“ in Kalifornien im Niedergang. Die technologische Fortschrittsküche liegt mittlerweile im Pearl River Delta.
Wer sich darunter ein kleines Dorf voller Computer-Nerds vorstellt – der irrt gewaltig. In der Greater Bay Area leben mit den Städten Hongkong, Shenzen, Macao, Guangzhou, Dongguan, Jiangmen, Foshan, Zhongshen, Huizhou und Zhaoqing 70 Millionen Menschen und werden im Jahr 2030 ein Bruttosozialprodukt von 3,3 Billionen US-Dollar erwirtschaften. Heute schon erzielt die Greater Bay Area 12 Prozent des chinesischen Bruttosozialproduktes und stellt 37 Prozent des gesamten Exports. Der amerikanische Professor für Stadtmanagement an der New York University vergleicht den aktuellen Status der Region mit London zur Zeit der industriellen Revolution. Nur eben größer.
Wo bleibt Europa?
Auf der anderen Seite, von Europa aus gesehen, liegt mit den USA noch immer eine große Wirtschaftsmacht. Mit einem Präsidenten für unvorhersehbare Zoll-Entscheidungen. Sind die Europäer mit ihrer Europäischen Union der 27,5 Mitgliedsstaaten der Käse im globalen Wirtschafts-Sandwich, oder haben sie das Zeug zur dritten Kraft? Am Mittwoch diskutierten Experten die Lage auf dem French German Business Forum von Les Echos und dem Handelsblatt in Berlin. Fazit: Die EU will kein Käse sein, braucht aber eine Anstrengung für den eigenen, souveränen Weg.
Handelsblatt-Herausgeber Hans Jürgen Jacobs forderte einen souveränen Umgang – mit China, aber auch mit Trumps Zollpolitik. Dr. Yuan Ding ist Vizepräsident und Dekan der China Europe International Business School (CEIBS) in Shanghai wurde wegen seiner klaren Sprache eingeladen und hat aufgezeigt, dass die Europäer China noch immer nicht verstehen.
„Mit China gibt es keine Flitterwochen“
Der Handelsstreit mit den USA währt mittlerweile seit eineinhalb Jahren. Nahezu jede Woche wird die Meldung über eine Einigung mit der Meldung über weitere Streitigkeiten konterkariert. Die USA werfen den Chinesen IP-Diebstahl, zu hohe Subventionen, eine Verschuldungsdiplomatie, Währungsmanipulation und Gefährdung der nationalen Sicherheit durch chinesische Netzbetreiber vor. Mit diesem Angriffsbündel stieg US-Präsident Donald Trump in den Handelsstreit ein. Nach Dr. Ding hätten die Anwürfe aber nichts mit dem Handel zu tun. Wie groß das Handelsdefizite ist, darüber gehen die Angaben auseinander. Ohne Handelsdefizit wäre aber jeder Handel auf null gestellt, weiß Chefökonom Prof. Dr. Rudolf Minsch von Netzwerk „economiesuisse“ [1].
Dr. Ding kritisiert Trump, dass dieser lediglich auf den Güterhandel schaut. Trump hatte gleich nach seinem Amtsantritt das Transpazifische Abkommen TTP aufgekündigt und sich von Ökonomen die Kritik anhören müssen, dass TTP vielmehr Serviceleistungen regelt und keine Waren mehr [2]. Dieser Sektor hat es in den präsidialen Betrachtungshorizont bis heute nicht geschafft. Nach Dr. Ding erhöht sich das Handelsdefizit durch amerikanische Dienstleistungen auf chinesischer Seite. Im Jahr 2016 haben die US-Firmen in China mit Dienstleistungen 55 Milliarden US-Dollar Umsatz erzielt.
Basis Privatkonsum
China exportiert und importiert Waren aus andern Staaten. Die internationalen Geschäfte gehen beim Anteil am Bruttosozialprodukt zurück. Seit einigen Jahren ist der Privatkonsum die wichtigste Säule der chinesischen Wirtschaft geworden [3]. Aktuell stellt er drei Viertel des BSP und China hat 2018 die USA als größten Verbrauchermarkt der Welt abgelöst. Die Gründe? Die Chinesen haben die Finanzkrise der westlichen Demokratien gesehen, verfolgen Trumps Wirtschafts- und Sozialpolitik und wissen um den Brexit Bescheid. In China hätten sie Wohlstand, Wachstum und Sicherheit. Die Verbraucher kümmerten sich solange weniger um die Politik. Dekan Ding kennt die europäischen Befindlichkeiten genau. Er hatte „klare Worte“ angekündigt.
Doch genau solche Betrachtungen vor dem Hintergrund von Hongkong und Tiananmen lassen Europäer erschaudern. China bleibt ein Rätsel. Peking hat für 2020 ein neues Gesetz für Direktinvestitionen erlassen. Ausländische Investoren sollen den chinesischen gleich gestellt werden, es gebe keine Enteignung mehr. Bei Firmen in China sind ausländische Mehrheitsbeteiligungen zu gelassen und China öffnet weitere Freihandelszonen. Dr. Ding warnt, auf China nicht nur schwarz oder weiß zusehen. Machte aber auch klar: Bei Geschäften mit Chinesen wird es keine Flitterwochen geben.
Europas eigener Wert
Das Käse-Beispiel stammt von Clément Beaune. Der Berater des französischen Präsidenten Emmanuel Macron beschreibt die Europäer als ständige Zweifler über ihre eigene Rolle. „Der Eindruck über die eigene Zerbrechlichkeit sei tief europäisch“ und resultiere aus der Beziehung der Europäer zu ihrer eigenen Geschichte. Die EU sei ein zerbrechliches Wunder der Geschichte. Die Fortwährende Integration und Erweiterung habe durch den Brexit einen neuen Schub Zweifel über die eigene Richtung ausgelöst. Zu den Zweifeln paare sich die Angst, die USA und China entwickelten sich ohne die Europäer weiter.
Der digitale Wandel, der Klimawandel und der technische Fortschritt sind jedoch globale Herausforderungen, die schnelle Lösungen erfordern. Die EU leistete sich bislang den Luxus der langsamen Entwicklung von aktuell noch 28 Staaten. Der Blick ist nach Beaune nach innen gerichtet, was die Stärkung der sozialen Kohäsion in der umfangreichen EU gefördert habe. Die Amerikaner und Chinesen sind bei ihren Entscheidungen schneller.
Beaune will das nicht als falschen Rhythmus der EU verstanden wissen, sondern basiere auf der geschichtlichen Entwicklung Europas. Jetzt aber müssten die Europäer den Blick mehr nach außen richten. Die EU könne mit Stärkung der bisherigen Entwicklung eine eigene Rolle in der Welt einnehmen. Die EU müsse lauter werden, wie sie es gegen die US-Strafzölle auf europäischen Stahl bereits gezeigt habe. Die Vorteile Binnenmarkt und Handelspolitik könne die EU für den Außenhanel mit einer Außenpolitik gleich setzen und schaffe dabei einen dritten Weg zwischen Washington und Peking. Die EU müsse auf dem Weg weg vom Käse enthusiastischer werden. Beaune könnte sich als Symbol für den neuen Weg einen ersten Menschen auf dem Mars aus der EU vorstellen. Als erste Welt-Region der Energiewende würde es vermutlich auch schon tun.
Der Achse Paris-Berlin weist Beaune eine besondere Rolle zu. Immerhin sei aus den gemeinsamen wirtschaftlichen Anstrengungen der Euro hervorgegangen. Zwischen den Zeilen der Silmutanübersetzung klang ein französisches „Wir schaffen das“ heraus.
Gemeinsam, nicht einzeln
Am 04. November reist Präsident Macron zur Export-Import-Messe nach Shanghai und hat neben einer Wirtschaftsdelegation auch Vertreter der Kommission dabei. Bundeskanzlerin Angela Merkel war Anfang September in China. Jährliche Besuche in Peking hält Clément Beaune für gut, doch die Mitgliedsstaaten müssten mehr mit einer europäischen Stimme und nicht nur für sich selbst nach Peking reisen.
Aktuell könnte aus dem französisch-deutschen Batterie-Industrieprojekt, dem Polen jüngst beigetreten ist, ein europäisches Batterie-Projekt werden. Beaune hält solche wechselnden Tandems für sinnvoll in einem neuen Europa.
Lesestoff:
[1] Blog-Beitrag: Ist China schuld am Handelsbilanzdefizit der USA? Vom 02.09.2019 https://www.economiesuisse.ch/de/artikel/handelsbilanzdefizit-der-usa
[2] Pfand verspielt: https://herd-und-hof.de/handel-/welthandelskarten-werden-neu-verteilt.html
[3] Der chinesische FMCG-Markt wächst: https://herd-und-hof.de/handel-/konsum-in-china-steigt.html Binnenkonjunktur in China trägt: https://herd-und-hof.de/handel-/china-baut-auf-seine-konsumenten.html
Roland Krieg