Mit Nachhaltigkeit gewinnen
Handel
Verbraucher sind anspruchsvoller geworden
Die
Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ist auf den ersten Blick
erschreckend: Die Mengennachfrage auf dem Lebensmittelmarkt sinkt. Zwischen 2006
und 2012 um 3,9 Prozent. Auf dem zweiten Blick ist es verständlich, denn vor
dem Hintergrund eines gesättigten Marktes sinkt die Bevölkerung und wird älter.
Erst auf dem dritten Blick bietet die Statistik, die auf der ANUGA im Auftrag
der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungswirtschaft (BVE) erstellt wurde,
Chancen: Es wird nachhaltiger eingekauft. Wer Solche Produkte im Sortiment hat,
der kann auf Nachhaltigkeitsgewinne hoffen.
Zudem
hat sich das Konsumverhalten geändert. Vor allem zu Hause wird weniger
gegessen. Dr. Robert Kecskes von der GfK sieht das gemeinsame Familienessen auf
dem Rückzug. Schüler nehmen in den Ganztagsschulen ihr Mittagsmahl über einen
Caterer ein, die Kantinen in den Büros rüsten auf und bieten mittlerweile
reichhaltige Abwechslung. Seit 2005 ist die Zahl der Mahlzeiten zu Hause um 1,4
Milliarden gesunken. Pro Tag wird eine halbe Million Mal weniger zu Hause zu
Mittag gespeist. Es wird seit mehreren
Jahren auch weniger auf Vorrat eingekauft. Das Thema Lebensmittelverschwendung
findet erstmals einen Niederschlag in einer Handelsstatistik.
Bewusster Konsum
Die
LOHAS gelten noch immer als Kerngruppe des nachhaltigen Konsums. Das hatte die
GfK auch im Sommer im Bundesumweltministerium bereits festgestellt [1]. Das
Thema Nachhaltigkeit ist wichtig geworden, auch wenn jeder etwas anderes
darunter versteht, ergänzt Dietmar Eiden von der Koelnmesse. Die ANUGA hat in
diesem Jahr den fairen Handel als Trend in das Messeprogramm aufgenommen und
mehr als 500 Aussteller lassen sich diesbezüglich in die Karten schauen. Den einen Nachhaltigkeitstrend gibt es aber nicht.
Neben fair gehandelten Produkten stehen Bio, bewusster Einkaufen, Regionalität
und artgerechte Tierhaltung auf dem Programm. Manchmal ergänzen sie sich,
manchmal aber auch nicht.
Schreiben
sich die Kunden Nachhaltigkeit auf ihre Kassenbons, dann sind sie auch bereit,
mehr Geld dafür auszugeben. Sagen 16 Prozent, so die GfK.
Das
variiert je nach Sortiment erheblich. Für Obst und Gemüse zahlen LOHAS zu 59
Prozent mehr, für Molkereiprodukte sind 38 Prozent bereit, tiefer in die Tasche
zu greifen. Fertigprodukte und Tiefkühlkost haben deutlich geringere Chancen
und werden weniger eingekauft.
In
der Summe aus allen Nachhaltigkeitsstrategien verzehren die LOHAS weniger
Fleisch, ohne gleich den vegetarischen Lebensstil zu übernehmen. Wenn sie aber
Fleisch essen, dann zahlen sie deutlich mehr für Qualitätsware. Premiumprodukte
stehen auf der Einkaufsliste sowieso ganz oben. Auch Mehrwerthandelsmarken laufen
gut.
Die
nachhaltigen Kunden haben sich eine eigene Lebenswelt erschlossen. Die LOHAS
erschließen sich ihre eigene Welt ständiger Authentizität. Als Antidressivum
gegen den Markenburnout, so Dr. Kecskes. Die Schnelllebigkeit erfordert immer
neue Anreize und Abenteuer. Eine bayerische Molkerei bietet Kuh-Patenschaften
an, Friesland Campina hat mit „Landliebe“ einen „kuscheligen“ Namen mit
Sympathieeffekt platziert und der Tiefkühlexperte hebt sich trotz aller
Vorbehalte mit einem Reinheitsgebot von den Wettbewerbern ab und kann bei den
LOHAS punkten.
Und was isst die Basis?
Bei
all diesen Studien richtet sich das Augenmerk auf die kaufkräftige Gruppe, die
mengenmäßig aber die kleinere ist. Ob 20 oder 30 Prozent – die Mehrheit, auch
die LOHAS-affine Mitgesellschaft, liegt woanders. Dort können sich
beispielsweise durch geringe Löhne und steigende Mietkosten nicht alle Kunden Premiumware
leisten. Sie wollen sich aber auch gesund ernähren, betont Dr. Kecskes.
Daher
muss die Industrie auch ein abwechslungsreiches und qualitatives Basissortiment
anbieten, ergänzt Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer der BVE. Diese Kunden
dürfe der Handel nicht aus den Augen verlieren.
Wie
auch das Thema generell ein bereits bearbeitet ist. Die Industrie müsse viel mehr
darauf hinweisen, dass sie seit Jahren verschiedene Programme zum Thema Nachhaltigkeit
führt. Die GfK-Studie kann aber Hinweise geben, welche Felder noch zu bearbeiten
sind.
Nicht
aus der Hand geben
Im
Gespräch mit Herd-und-Hof.de betonte Minhoff, dass der Handel sich das Thema nicht
aus der Hand nehmen lassen will. Mehr als 400 Nachhaltigkeitslabel gibt es in Deutschland.
Auf der einen Seite bieten wenige Label aufwendige Produktionsstandards ohne
Markttiefe an, auf der anderen Seite werben Branchenlösung genau damit [2]. Es
sei besonders schwierig, Nachhhaltigkeit über verschiedene Stufen hinweg zu
organisieren, so Minhoff. Wer beispielsweise soziale Gerechtigkeit erfüllen
will, der hat auf den Plantagen der Entwicklungsländer einen andren Fokus als
der Produzent in Deutschland. Die Studie und die ANUGA zeigen jedoch, dass
Nachhaltigkeit längst kein Modetrend mehr ist. Es gelte, dass auch gegenüber
den Verbrauchern zu kommunizieren. Zur nächsten Grünen Woche werde die
Ernährungsindustrie das Thema in Berlin auf die Agenda setzen.
Der
Handel kannibalisiert sich aber auch selbst. Es gibt beispielsweise gesetzliche
Höchstwerte für Pflanzenschutzmittelrückstände. Inklusive
Sicherungsberechnungen, spiegeln diese Werte Gehalte an, die für die Gesundheit
ungefährlich sind. Doch nicht nur der Bio-Bereich wirbt mit „saubereren“
Lebensmitteln. Auch der konventionelle Handel verpflichtet seine Produzenten
auf eigene Standards unterhalb des Höchstwertes. Christoph Minhoff will die
selbstgewählte Falle des Handels, der den Grenzwert am Ende aushöhlt, nicht
aktiv beenden. Aber: Unterbietungswettbewerbe sind nicht zielführend. Industrie
und Handel müssen mit Transparenz und Ehrlichkeit das Vertrauen der Verbraucher
erwerben. Ein Wettstreit im Unterbieten von gesetzlichen Grenzwerten gehört
offenbar nicht dazu.
Lesestoff:
[2] Eigenmarken treiben TierwohlRoland Krieg; Foto: roRo