„Moving Rwanda“
Handel
Müller: „Wir brauchen eine internationale Verkehrswende“
„Ma tatu“ heißt „für drei“. Die Bezeichnung aus dem Suaheli bezeichnet drei Schillinge, die in Kenia für den Sammelbus bezahlt werden mussten – egal wie weit der Fahrgast will. Daraus wurde der Oberbegriff „Matatu“ für jeden Sammelbus in Ostafrika gebildet, die sich teils mit schrillen Farben und Disco-Musik durch die Großstädte hupen und per Handzeichen von jedem Fahrgast gestoppt werden können.
Aus Sicht der Verkehrssicherheit sind TÜV-Ingenieure heute froh, dass die rostigen und oftmals überladenen Busse durch modernere Verkehrsmittel ersetzt werden. In Kigali, der Hauptstadt Ruandas, sind sie aus dem Stadtgebiet verbannt und dürfen nur noch hinaus in die ländlichen Regionen fahren. Die Matatus waren schon ein Fortschritt, weil zuvor bis zu 20 Personen ungesichert hinten auf Pickups saßen.
Afrika mobil
Afrika ist in Bewegung. Die Mobilität auf dem Land und in den Städten wird immer wichtiger. Lkw brauchen für 80 Kilometer Entfernung je nach Wetterlage einen ganzen Tag. Die Infrastruktur ist für den längeren Weg frischer Produkte gar nicht ausgelegt. Immer mehr Menschen migrieren in die Städte, deren Nahverkehrsstrukturen längst überlastet sind. Mobilität ist ein zentrales Element einer sich entwickelnden Gesellschaft. Ungesteuerte jahrzehntelange individuelle Mobilität führt in Deutschland gerade zu Fahrverboten für Dieselfahrzeuge in den ersten Städten. In China dürfen Autos tageweise nur noch mit geraden oder ungeraden Ziffern in die Städte, um dem Smog ein wenig beherrschbarer zu machen. In Industrieländern und Schwellenländern zeigt die Mobilität gerade die Grenzen der Belastung auf. Afrika ist davon noch weit entfernt. Dort besteht aber die Möglichkeit, die Mobilität gleich auf eine nachhaltige Basis zu stellen. „Wir brauchen eine internationale Verkehrswende“, forderte im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) Minister Gerd Müller am Mittwoch in Berlin. Er gab den Start für das digitale Verkehrsprojekt „Moving Rwanda“ in der Hauptstadtregion Kigali.
Ruanda
Mehr als 20 Jahre nach dem Genozid hat sich das Binnenland in Ostafrika stark entwickelt. „In den verschiedenen internationalen Indices macht Ruanda eine ausgesprochen gute Figur“, schreibt Germany Trade & Invest (gtai) in seinem Wirtschaftsausblick 2017. Im Korruptionsindex steht das Land auf Platz 50 von 176 Ländern und hat manches EU-Mitgliedsland hinter sich gelassen. Erst im August 2017 wurde der seit 2000 amtierende Staatschef Paul Kagame wiedergewählt. Kagame genießt große Popularität und hat in dem Land für Stabilität und Wirtschaftswachstum gesorgt.
In den letzten Jahren gab es einen Boom im Land, der auf starke Investitionen des Staates basierte. Das Bruttoinlandsprodukt stieg in den beiden letzten Jahren um mehr als 5,1 Prozent. Die Prognose für 2018 liegt bei 5,5 Prozent. Doch auf die Dauer ist das nicht zu finanzieren und Kagame setzt vermehrt auf private Investitionen. Der Haushalt soll erst einmal konsolidiert werden. Doch das Land ist lediglich 26.300 Quadratkilometer groß. Im Vergleich zu anderen Ländern ist es bei rund 12 Millionen Einwohnern mit 468 Einwohnern je qkm dicht besiedelt. 1,2 Millionen leben in der Hauptstadt Kigali.
Der Markt in Ruanda ist für zahlreiche Investitionspläne zu klein. Außerdem drohen immer wieder Grenzkonflikte zu Burundi und zur Demokratischen Republik Kongo. Das stört die Außenhandelsrouten, auf die das Binnenland angewiesen ist. Letzteres macht den Außenhandel zudem teuer.
Daran kann der Präsident nichts ändern. Umso mehr setzt er auf eine liberale und korruptionsarme Wirtschaft. Und das hat Erfolg, denn es finden sich kapitalstarke Unternehmen, wie VW, Siemens und SAP, die in die Infrastruktur in Kigali investieren wollen. Der Flughafen von Kigali kann als Drehkreuz für ganz Ostafrika ausgebaut werden, die Landwirtschaft wird nach Klärung von Landeigentumsrechten modernisiert und die fehlende Infrastruktur bietet ebenfalls Chancen für ein Engagement. Allerdings bleibt die Ausgangslage „bescheiden“ wie gtai wertet und das Regime von Kagame gilt den USA beispielsweise als repressiv. Trotzdem hat sich Symbion Power für den Bau eines 50-MW-Methan-Kraftwerkes erklärt.
Kigali
Die Hauptstadt gilt als einer der saubersten Städte in Afrika südlich der Sahara. Auf 200 km Asphaltstraßen ohne Stau, mit digitalen Ampeln und an jeder Kreuzung mit einem Verkehrspolizisten versehen, fahren etwa 560 Busse durch die Stadt. Doch was streckenmäßig gut klingt, ist für die Passagiere ein täglicher Kampf. Täglich müssen mehr als 380.000 Fahrgäste transportiert werden. Es gibt lange Warteschlangen an den Bushaltestellen und nicht jeder kommt pünktlich zur Arbeit.
Doch die junge Stadtbevölkerung ist zu mehr als 80 Prozent mit mobilen Telefonen ausgestattet. Dagegen besitzen nur vier Prozent der Hauptstädter ein Auto. Das wird sich in Ruanda auch nicht so schnell ändern. Die Nachfrage nach gehobenen Konsumgütern kann sich nur eine kleine Elite leisten, auch wenn der Mittelstand wächst. Was also liegt näher, als bei der Suche nach neuen Mobilitätskonzepten, beide Aspekte miteinander zu verbinden?
„Moving Rwanda“
Was in Berlin in Eckpunkten unterzeichnet wurde, wird bereits im Mai in Kigali umgesetzt. „Moving Rwanda“ verbindet die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit mit der Privatwirtschaft. Vertreter von VW, Siemens ,SAP, dem Ingenieurbüro Lackner, der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und die Republik Ruanda haben sich im Rahmen der seit zwei Jahren existierenden „Strategische Partnerschaft Digitales Afrika“ des BMZ zum Ziel gesetzt, ein nachhaltiges und digitales Mobilitätskonzept für Kigali zu realisieren. Hennig Jens von Volkswagen Südafrika erklärt auch, warum Kigali der Startpunkt für ein auf andere Großstädte übertragbares Konzept wird. Die Regierung hat eine klare digitale Agenda formuliert, die der jungen und technikaffinen Bevölkerung entgegenkommt. Zudem hat Kigali im Jahr 2009 einen Masterplan für die Stadtentwicklung aufgelegt. Die Stadt ist topografisch durch mehrere Hügel gegliedert, die in die Planung einbezogen werden müssen. Die Hügelkuppen sollen nach den Autoren Bock und Doevenspeck zu Knotenpunkten der Infrastruktur und Dienstleitungen und mit einem nachhaltigen Verkehrskonzept verbunden werden [1].
Das Konzept steht nach Jens auf drei Säulen. Geplant ist ein Car Sharing Angebot mit und ohne Fahrer, ein Ride Hailing System, bei dem private Fahrer für eine Wegstrecke gebucht werden können und ein Shuttle Service. „Da ist für jeden etwas dabei“, sagte Jens. Das decke den unterschiedlichen Bedarf an Convenience für jeden Geldbeutel. Der Clou an der Geschichte: Alle drei Varianten können über eine einzige App gebucht werden, die von einem Startup aus Kigali programmiert wurde und mittlerweile 12 Beschäftigte aufweist. „Made in Ruanda“, betont Jens. Die Wolfsburger steuern mit dem Polo, dem Passat und einem SUV drei Automodelle bei. Etwa 500 Fahrzeuge mit extra ausgebildeten Fahrern werden die Flotte bewegen. VW wird in den nächsten Jahren zusätzlich rund 20 Millionen Euro in den Aufbau einer Fertigung in Kigali investieren. Für VW ist das ein guter Testmarkt, der auch in anderen Regionen Afrikas übertragen werden kann.
„Transformative Urbane Mobilität“
Die Umsetzung der Sustainable Development Goals kostet etwa 600 Milliarden Euro jährlich. Eine Summe, die öffentliche Entwicklungsgelder und Tausende von Nichtregierungsorganisationen nicht zusammenbringen, unterstreicht Entwicklungsminister Gerd Müller. Der neue Koalitionsvertrag sieht für diesen Bereich ein Entwicklungs-Investitionsgesetz vor, das die privaten Investitionen besser in die staatliche Arbeit einbindet. Das private Kapital brauche aber größere Sicherheiten und verlässliche Partnerschaften. Seit Jahren gibt es bereits eine Wende in der Entwicklungszusammenarbeit weg von der Gießkannenhilfe hin zu einer Reformpartnerschaft. „Wir wollen Fortschritte sehen“, wie es Müller formulierte.
Neben den „klassischen“ Bereichen Landwirtschaft, Umwelt und Klima rückt die Mobilität in den urbanen Zentren in den Fokus. 2050 werden rund 80 Prozent der Menschen in Städten leben. Eine einfache Übertragung der Fahrzeuge und Konzepte aus den Industrieländern in die Städte des Südens „werde keine Lösung sein“, so Müller. „Wir brauchen eine internationale Verkehrswende.“ Weltweit gibt es rund 1,28 Milliarden Autos. Lediglich 45 Millionen davon fahren in Afrika. Dort, wo sich die junge Bevölkerung bis 2050 nahezu verdoppeln wird und natürlich auch vom eigenen Auto träumt. Im Marshallplan für Afrika hat das BMZ die „Initiative für Transformative Urbane Mobilität“ formuliert. Auf 100 Einwohner kommen derzeit nur vier Fahrzeuge in Afrika. Der deutsche Vergleichswert liegt bei 68. Allein bis 2030 werden nach Consulting-Berechnungen in Afrika weitere zehn Millionen Fahrzeuge verkauft werden. Doch schon heute sind die Städte der Zuwanderung vom Land infrastrukturell nicht mehr gewachsen und suchen dringend nach Lösungen, die präventiv weder chinesischen Smog noch deutsche Fahrverbote nach sich ziehen.
Das beginnt nach Jens auch schon bei der Fahrzeugwahl, obwohl der Benziner in Afrika in den nächsten Jahren dominieren wird. Das BMZ will für die richtigen Wege der Zukunft gerüstet sein. Digitalisierung und technischer Fortschritt können die Zukunft des Kontinents sichern. Deswegen wird gleichzeitig auch Wert auf die Schaffung von Arbeitsplätzen gelegt.
Skeptiker werden die enge Verbindung zur deutschen Wirtschaft kritisieren. Doch: Die Nachfrage wird unerbittlich sein. Stehen keine VW, Daimler und BMW zur Verfügung, fahren die Afrikaner asiatische Modelle – aber ohne Mobilitätskonzept. In diesem Sinne sind Müllers Worte nicht nur wirtschaftlich, sondern auch konzeptionell zu verstehen: „Wer die Chancen heute nicht sieht, zählt morgen zu den Verlierern.“
Lesestoff:
[1] Bock und Doevenspeck (2015):Kigalis Stadtumbau als Showroom ruandischer Fortschrittsvisionen. In: Geografische Rundschau, Band 67, Heft: 10, S. 16 – 22
Roland Krieg; Fotos: roRo