Nachhaltige Textilien: Der nächste Schritt
Handel
Verpflichtende Maßnahmen für die internationale Textilindustrie
In den Industrieländern gibt es kaum noch eine Textilindustrie. Sie wurde nach Asien verlagert, wo Millionen Arbeitsplätze, meist von Frauen besetzt, ein enormes Potenzial für die Entwicklung des jeweiligen Landes bietet. Bieten könnte, wenn die Arbeiterinnen einen Lohn bekämen, von dem sie leben könnten, wenn sie in Fabriken arbeiten dürften, die sicher sind und mit Materialien, die sie nicht vergiften. Die Textilindustrie hat durch die Einstürze von Textilfabriken mit Hunderten von Toten deutlich an Image verloren. Das „Textilbündnis“ des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat vor zwei Jahren den Anstoß für eine Reform einer ganzen Wertschöpfungskette gegeben, die den Arbeiterinnen vor Ort ein normales Leben ermöglichen will und den Konsumenten in den Industrieländern eine Orientierung bei der Kaufentscheidung gibt.
Seit gestern läuft in Berlin die zweite Mitgliederverrammlung des Textilbündnisses, das in den kommenden Monaten das Fundament für den nächsten Schritt legen will. Mittlerweile ist die Liste der Teilnehmer von 30 auf 190 angestiegen.
„Der Grüne Knopf“
Mit den Teilnehmern aus der Industrie, mit Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften umfasst das Textilbündnis 55 Prozent des Umsatzes der deutschen Textilwirtschaft. „Wir haben viel erreicht, sind aber noch nicht am Ziel“, sagte Bundesminister Gerd Müller vor der Mitgliederversammlung. In den letzten Monaten wurden überprüfbare Prüfkriterien ausgearbeitet, die ein Signal setzen sollen. Das Indikatorenraster umfasst das Chemikalien- und Umweltmanagement der Firmen, Sozialstandards, existenzsichernde Löhne sowie Naturfasern. Gegenüber dem politischen Trend, Verbindlichkeiten auf freiwillige Basis zu stellen, sind die Kriterien verpflichtend und 2017 festzulegen. Jedes Mitglied muss sich mindestens 14 Ziele aussuchen und in einer Roadmap für die Umsetzung im Jahr 2020 veröffentlichen. Neben dieser Transparenz werden die Ergebnisse 2018 von einer externen Seite evaluiert. Diese Zusammenarbeit sei einmalig, erklärte Müller und will bereits im nächsten Jahr die größten Anstrengungen mit einem „Grünen Knopf“ als Verbrauchersignal belohnen. Was allerdings offen bleibt, denn ein aufwendiges Zertifizier- und Kontrollsystem wird es nicht geben.
Immerhin: Ende 2017 sollen 2.500 Einzelverbesserungen umgesetzt werden, erklärt Ingeborg Neumann, Präsidentin des Gesamtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie. Das Bündnis ist auf die Mitwirkung der Firmen angewiesen, denn „wir können nicht am grünen Tisch die Westindischen Textillöhne entwickeln“.
Am Scheideweg
Mit den Kriterien wurde für Marketingdirektorin des Global Textile Standards (GOTS), Claudia Kersten, ein Werkzeugkasten und eine glaubwürdige Kommunikation geschaffen. „Standards müssen Lösungen anbieten, sonst sind sie nutzlos“, sagte sie. Die offene Kommunikation fördere auch den Dialog der Unternehmen untereinander. Denn der Textilmarkt ist ein Käufermarkt. Wenn niemand nach nachhaltigen Textilien frage, biete sie auch niemand an, beschreibt Kersten die Pionierarbeit des Textilbündnisses. Wenn die Kosten internalisiert werden, kann der Massenmarkt ein großer Hebel mit Pulleffekten für die ganze Branche sein.
Der Blick in die Mitgliederliste fällt aber auch auf die umstrittene Primark Stores Limited. Die sorgt seit Jahren mit T-Shirts und Jeans für zwei bis sechs Euro für volle Läden. Ob bei den Preisen eine Nachhaltigkeit möglich ist wird bezweifelt. Von der Industrie selbst: Wegen dieser Zweifel ist die Firma MD Sportswear aus dem Bündnis ausgetreten und der Verband von Ingeborg Neumann sprach sogar von einer „Kaperung des Textilbündnisses“. Vor diesem Hintergrund wird 2017 spannend, ob ein T-Shirt für zwei Euro das gleiche leisten kann wie eines für 20 Euro.
Zusammengerauft
Bei den Verhandlungen zum Kriterienkatalog ging es „manchmal auch ruppig zu“, blickte Frank Zach vom Deutschen Gewerkschaftsbund zurück. Jetzt habe aber die Branche Gelegenheit, zu beweisen, welches Potenzial in ihr stecke. Berndt Hinzmann von INKOTA widerspricht der Kritik, dass die Kriterien reine Industriekriterien seien, da Entwicklungsorganisationen und Gewerkschaften als Vertreter der Zivilgesellschaft teilnehmen.
Das Bündnis braucht die Zeit, sich zu beweisen, denn die Bretter, die es zu bohren gilt, sind dick, sagte Josef Sanktjohanser, Präsident des Handelsverbandes Deutschland (HDE). Die Migrationsursachen resultieren aus dem Wohlstandsgefälle, für das die Weltgemeinschaft noch keine Antworten habe. Das Textilbündnis biete aber Einsteigern und Fortgeschrittenen in der Branche einen Baustein für die Entwicklung.
Zumal das Bündnis auch keinen Alleinvertretungsanspruch hat. Nach Sanktjohanser will Lidl bis 2020 bei Textilien und Schuhen der Eigenmarke auf alle von Greenpeace kritisierten Chemikalien verzichten. C&A ist bereits der weltgrößte Abnehmer von Biobaumwolle.
Lesestoff:
Roland Krieg