Nachhaltigkeit braucht kein Wachstum

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In Paderborn wurden alternative Zukünfte modelliert

Die Zukunft vorauszudenken, ist vor allem für Verantwortliche in der Wirtschaft eine ständige Herausforderung. Im Schatten der Wirtschaftskrise diskutieren auch Manager die Frage, wie nachhaltig das Wirtschaftswachstum sein kann. Unter Leitung von Fachleuten für die Erstellung von Szenarien suchte der Managementnachwuchs der Universität Paderborn zusammen mit Wirtschaftsvertretern nach Antworten auf diese Frage. Verblüffendes Ergebnis: Der Weg in eine nachhaltige Zukunft ist auch ohne Wirtschaftswachstum möglich. Welches der sieben errechneten Szenarien das wahrscheinlichste ist, blieb jedoch offen.

Paderborner Summer School
Die internationale Studentenorganisation oikos hatte zusammen mit dem Paderborner Beratungsunternehmen ScMI zu einer dreitägigen Summer School eingeladen, um möglichst viele Informationen und Einschätzungen zur Zukunft der Wirtschaft in die Berechnung von Modellen für das „Nachhaltige Wirtschaften 2030“ zu integrieren. In einem mehrstufigen, von mathematischen Berechnungsverfahren unterstützen Prozess, wurden sieben verschiedene Zukunftsprojektionen ermittelt. Die unterschiedlichen Ausprägungen von 18 Schlüsselfaktoren charakterisieren diese „Zukünfte“, die am dritten Tag der Veranstaltung von ScMI-Geschäftsführer Alexander Fink vorgestellt wurden. Für diese Ergebnisse interessierten sich auch Vertreter der Wirtschaft. So nahmen an der Ergebnisdiskussion der Vorstandschef des ökologischen Büromaterialversenders „memo“, Jürgen Schmidt, die Nachhaltigkeitsbeauftragte von IKEA Deutschland, Mareke Wieben, und der Vertriebsleiter des Großcaterers ARAMARK, Thomas Wilbrandt, teil.
„memo“-Chef Jürgen Schmidt zeigte sich zufrieden. „Wir können mit jedem Szenario gut leben.“ Dabei fielen die Zukunftsprognosen, die aus den Computern von ScMI kamen, durchaus unterschiedlich aus. Auf Basis der Diskussionen und Einschätzungen der angehenden Wirtschaftsmanager, Ingenieure und Marketingfachleute spuckten die Computer sowohl Szenarien eines weiteren globalen Wirtschaftswachstums auf Kosten der Umwelt und der Sozialstandards aus als auch Modelle einer schrumpfenden Wirtschaft, die mit dem Abstieg des Westens als Wirtschaftsfaktor verbunden ist. Die Mehrheit der Szenarien gab jedoch der Nachhaltigkeit eine Chance. Fünf von sieben Zukunftsentwürfen beschreiben eine Entwicklung hin zu mehr Umweltverträglichkeit und steigenden Sozialstandards im Wirtschaftssystem. Dabei zeigte sich aber auch: Es gibt eine mögliche Entwicklung, die wirtschaftlichen Rückgang und höhere Nachhaltigkeit miteinander verbindet.

Senkung des Wohlstandsniveau im Westen
Dieses Szenario geht allerdings auf Kosten der arbeitenden Menschen. Bei zurückgehendem Beschäftigungsgrad in der Wirtschaft steht die Einhaltung von Umweltstandards ganz oben. Getrieben von einem globalen Übereinkommen für ressourcen- und umweltschonendes Wirtschaften, das unter Führung der „emerging economies“ der Schwellenländer durchgesetzt wird, steigt die Energieeffizienz und profitiert der Umweltschutz weltweit. Im Westen bedeutet dies allerdings eine Senkung des allgemeinen Wohlstandniveaus (gemessen am Bruttoinlandsprodukt). Arbeitsmangel und ein negativ wirkender Freizeitstress führt allmählich zur Ausbildung regionaler und lokaler Selbsthilfeökonomien. Der globale wirtschaftliche Ausgleich fordert von den westlichen Gesellschaften eine demütige Haltung, mit der sie die jahrzehntelang behauptete Dominanz auf den Weltmärkten aufgeben. Die Bevölkerung im Westen trägt diese Entwicklung mit, weil nachhaltige Produkte und Lebensweisen zu einer entsprechenden Konsumhaltung geführt haben. Nachhaltigkeit hat eine hohe soziale Bedeutung und führt trotz abnehmendem finanziellen Wohlstand zu einer steigenden Nachfrage nach nachhaltigen Produkten.

„Ökologische Marktwirtschaft preist Nachhaltigkeit ein“
Konträr zu diesem Zukunftsszenario steht ein Modell, das man als „ökologische Marktwirtschaft“ bezeichnen könnte. In diesem Modell werde die Nachhaltigkeit sozusagen „eingepreist“ und durch die Kräfte des Marktes umgesetzt. Nachhaltigkeit hat in der Konsumbevölkerung eine geringe soziale Wertigkeit, „grüne“ Lebensstile werden nicht mehr wie heute aktiv gepflegt und in LOHAS-Communities verbreitet. Dennoch besteht eine hohe Nachfrage nach nachhaltigen Produkten, weil alles Nicht-Nachhaltige durch Emissionszertifikate und Strafaufschläge vom Markt zunehmend verdrängt wird. Umwelt- und nachhaltigkeitskonformes Handeln wird durch die Rahmenbedingungen des Marktes erzwungen, eine Konstellation, die durchaus zu steigendem Wirtschaftswachstum führt.

Nachhaltigkeit auch ohne Wachstum
Weil die Mehrheit der entwickelten Szenarien auf weiterem Wirtschaftswachstum basierte und diese Szenarien auch die weitaus höchste Zustimmung unter den Teilnehmern der Summer School fanden, wunderte sich der 47-jährige Öko-Unternehmer Jürgen Schmidt beim Abschlussplenum über den „ungetrübten Wachstumsglauben der jungen Generation“. Für den Szenarioexperten Alexander Fink bestand der größte Erkenntnisgewinn der Veranstaltung in der Auflösung des Entweder-Oder-Denkens, die durch die Szenariendiskussion erreicht wurde. Nachhaltige Lebensqualität sei anscheinend sowohl mit als auch ohne Wachstum erreichbar.

Marie-Luise Sierversen (stratum GmbH) / roRo; Grafik: stratum

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