Nachhaltigkeit ist schwierig

Handel

Zeitliche Präferenz des Konsums

>Sie mögen Schokolade – fast könnten sie sich „hineinlegen“, wie es so schön heißt? Aber dann steht jemand vor Ihnen mit einer Riesentafel Schokolade in der Hand und gibt ihnen eine Hälfte. Wenn Sie nach zwei Tagen noch die Hälfte ihrer Hälfte vorweisen können, dann bekämen Sie auch noch den Rest. Was tun? Aufteilen und mit der Hälfte ihrer Hälfte zwei Tage lang verreisen – oder nach zehn Minuten mit seligem Blick die Schokoladenreste mit der Zunge von den Lippen lecken und hoffen, dass Sie alles irgendwie doch noch bekommen?
Die Ökonomie bezeichnet dieses Dilemma als „Zeitliche Präferenz des Konsums“. Unbestritten ist der aktuelle Konsumverzicht nachhaltiger für eine Entlohung in der Zukunft. Die Menschen entscheiden jedoch vielfach anders.

Tauben wählen den Spatz in der Hand
Tierpsychologen der Ruhr-Universität Bochum um Dipl.- Psych. Tobias Kalenscher haben in "Current Biology" (15/7, 12. April 2005, S. 1-9) Entscheidungsverhalten an Tauben untersucht. Die Nervenzellen des Frontalhirns reagieren sowohl auf die Größe einer Belohnung als auch auf die Wartezeit, bis diese "ausgezahlt" wird. "Menschen entscheiden häufig impulsiv, lehnen ein für sie gewinnträchtiges, aber trotzdem unfaires Angebot ab, wenn sie mit ihrer Ablehnung den Anbieter für seine Ungerechtigkeit bestrafen können, oder wählen einen schnellen kleinen Gewinn, anstatt auf einen großen längeren zu warten", erklärt Tobias Kalenscher. Genauso verhalten sich die meisten Tiere.

Wartezeit bestimmt die Wahl
Tauben wurden mit zwei Scheiben konfrontiert, auf die sie picken konnten. Bei der einen erhielten die Vögel eine kleine Belohnung, bei der Auswahl der anderen eine große. So lange die Wartezeit für die Belohnungen gleich groß war, wählten die Tiere stets die große Belohnung. Kalenscher und seine Forschungskollegen aus Neuseeland verlängerten dann die Wartezeit für die große Belohnung: "Bis zu einem gewissen Punkt wählten die Tauben weiterhin die größere Belohnung, doch irgendwann entschieden sie sich doch für die kleine". Der Zeitpunkt an dem sich die Tiere umentschieden, war individuell unterschiedlich und variierte zwischen zweieinhalb und 28 Sekunden.

Aktive Nervenzellen
Warum die Tauben so reagieren untersuchte Kalenscher mit an das Frontalhirn angelegten Elektroden. "Von dieser Hirnregion war nur unspezifisch bekannt, dass sie bei der Erwartung und Reaktion auf Belohnung eine Rolle spielt, fraglich war jedoch, auf welche weise sie das tut." Das Geheimnis wurde nun gelüftet: Die Neurone des Frontalhirns reagieren sowohl auf die Größe der Belohnung als auch auf die Wartezeit. Die Nervenzellen feuerten Signale ab, sobald die Taube auf eine Scheibe pickte. "Aber je länger die Wartezeit war, desto geringer war die Aktivität, und zwar von Anfang an, d.h. die Tauben hatten gelernt, wie lange sie warten mussten und nahmen diese Wartezeit vorweg", so Kalenscher. An dem Punkt, an dem die Aktivität der Nervenzellen bei großer Belohnung durch die lange Wartezeit geringer wurde als bei der sofortigen kleineren Belohnung, entschieden sich die Tiere für die kleine. Die Neurone schienen also die subjektive Interpretation der erwarteten Belohnung unter Berücksichtigung der Belohnungshöhe und Wartezeit zu kodieren.

Rückschlüsse
"Diese Ergebnisse sind besonders interessant im Zusammenhang mit Erkrankungen wie dem Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom, Spielsucht, Drogenmissbrauch oder Hirnschäden in diesem Bereich", fasst Kalenscher zusammen. Den Betroffenen ist einbesonderes impulsives Verhalten gemein, sie tolerieren weniger lange Wartzeiten als gesunde Menschen.

Die Forschung zeigt jedoch auch, dass Nachhaltigkeit durchaus erlernbar ist, denn im Gegensatz zu Tauben erfährt der Mensch auch eine soziale Prägung und unterliegt gesellschaftlichen Leitbildern.

roRo

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