Nachhaltigkeit: Kulturwandel und Verantwortung
Handel
Berliner Nachhaltigkeitstag von B.A.U.M. und SRU
Der Montag stand in Berlin ganz im Zeichen der Nachhaltigkeit. Der Bundesdeutsche Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management (B.A.U.M) startete in eine zweitägige Fachtagung, die heute mit der Vergabe des Umweltpreises endet und der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) übergab sein jüngstes Umweltgutachten „Verantwortung in einer begrenzten Welt“ an das Umweltministerium. Der Titel der B.A.U.M. – Tagung lautet: „Nachhaltigkeit nur durch Kulturwandel“.
Ergänzend
Beide Tagungen sind sich ähnlicher gewesen als der erste Blick zuließ. Sowohl die Unternehmer als auch die Umweltwissenschaftler gehen von ökologischen Grenzüberschreitungen des Ressourcenabbaus aus, die durch den Klimawandel noch verstärkt werden. Beide sehen in einer großen Transformation die Lösung durch einen Werte- und Ökonomiewandel, der alles andere als das Ende des Wachstums bedeutet. Und beide sind auch trotz vieler Erfolge in den vergangenen Dekaden pessimistisch gegenüber der Geschwindigkeit der eingeschlagenen Entwicklungspfade. Das Wissen ist da, der Wille ist da, doch der Schalter wurde noch immer nicht umgelegt. Der SRU formuliert gemäß seines 40jährigen Auftrages unabhängige Empfehlungen an die Politik, die Unternehmer im B.A.U.M. setzen auf die Synergie der vielen kleinen und großen Projekte ihrer Firmen.
Mensch-Umwelt-Beziehung
In den letzten 20 Jahren hat nach Dr. Ignacio Campino,
Vorstandsbeauftragter für Nachhaltigkeit in der Telekom, das Umweltthema „eine
massive Wende“ erfahren. Seit 1993 ist der Telekommunikationsexperte Mitglied
im B.A.U.M. Waren die Themen abfall und Energie damals noch einzelne Aspekte,
werden sie heute in einem breiten gesellschaftlichen Kontext diskutiert.
Unternehmer sind dabei genauso gefragt, wie Bürger und Politik, ergänzte Martin
Oldeland, Vorstandsmitglied von B.A.U.M. Wer gibt den Impuls für den Kulturwandel?Die Menschen leben derzeit im Zeitalter der
Erdsanierung, so Prof. Dr. Götz Rehn, Gründer des Naturkosthandels Alnatura.
Das hätten die Menschen schon begriffen, doch gehen die Änderungen viel zu
langsam voran. Sie stellen den wirtschaftlichen erfolg noch immer über alles
andere und müssten den Wandel „neu denken“, neue Ziele formulieren. In der
arbeitsteiligen Wirtschaft arbeiten die Menschen noch immer für „Andere“ – für
andere Menschen oder für den Markt. Wenn sie erkennen, dass sie für sich arbeiteten,
dann führe das zu einem anderen Tun mit einem kulturellen Impuls. Der
biologisch-dynamische Landbau mache vor, wie andere Zielsetzungen helfen, die
„Performance der Erde“ zu optimieren und für alle das Beste und nachhaltigste
herauszuholen.
Nicht weit davon entfernt argumentiert die
Umweltpsychologin Prof. Dr. Lenelis Kruse-Graumann von der Universität
Heidelberg. Der Wandel von Lebensstilen im Dreieck Ökologie, Ökonomie und
Sozial sei schon immer ein soziologisches Konstrukt gewesen. Soziologen und Psychologen
wissen schon länger, dass vorhandenes Wissen nicht automatisch zur Umsetzung
führe. Nach Dr. Kruse-Graumann mangelt es an manchen Hochschulen an
Interdisziplinarität, die Einzelwissen in konzertierte Aktionen zusammen setzen
könnte. Dabei sei der einzelne Konsument völlig überfordert, wenn er auf der
einen Seite zwar immer Appelle an sein Handeln höre, im Fernsehen jedoch
Werbung für nicht nachhaltige Lebensmittel sehe. Der Appell an das Individuum
werde nicht zur Lösung führen. Das Wissen müsse in politische Rahmenbedingungen
münden, die den komplexen Bereich der Mensch-Umwelt-Beziehung verändere.
Derzeit erfinde jedes Unternehmen das Rad mit eigener Nachhaltigkeit immer
wieder aufs Neue.
Der Parameter fehlt
Doch ohne schwarze Zahlen werden die Unternehmer nicht folgen, schränkte Karl Falkenberg, Generaldirektor Umwelt der EU-Kommission ein. Es ist nicht neu, dass die negativen Umwelteffekte eingepreist werden müssen, doch fehle es an einem griffigen Parameter, wie es das Bruttosozialprodukt noch immer darstellt. Was sei ein Wachstum des Inlandsproduktes wert, wenn dabei 50 Milliarden Schmetterlinge ausgerottet wurden. Dafür will die EU einen Wert entwickeln, der in die Bilanzen eingebaut werden kann.
Elf Punkte für Altmaier
Das Umweltgutachten 2012 des SRU ist erstmalig kein
rückblickend zusammenfassendes, sondern will ein „Umweltradar“ sein. So hat es
der Vorsitzende Prof. Dr. Martin Faulstich formuliert. In den zurückliegenden
Dekaden ist der Himmel über der Ruhr wieder blau geworden und die Gewässer
haben keine Schaumränder mehr. Trotzdem reiche das alles nicht aus, denn die
Megatrends der menschlichen Handelns verlaufen alle gleich: Emissionen,
Rohstoffverbrauch und Energiekonsum oder Wassernutzung steigen in den letzten
Jahren dramatisch an. Scheinbar je stärker, desto endlicher die Ressource ist.
Deshalb leitet das SRU sein Gutachten auch mit einem
Exkurs über die Wachstumsdebatte ein. Ziel ist die Entkoppelung von Wohlfahrt
und Ressourcennutzung. Im Bereich des Lebensmittelkonsums könnte daher im Sinne
eines umweltbewussten Konsumstiles der reduzierte Mehrwertsteuersatz auf
Fleisch und tierische Produkte entfallen. Die Bundesregierung sollte auch
prüfen, ob das dänische Modell der Steuer auf gesättigte Fettsäuren auf
Deutschland übertragen werden könnte. Die kommerzielle Waldnutzung gefährde
andere Funktionen wie die des Lebensraums, als Senke für Emissionen und dem
lokalen Klimaschutz. Die Bundesländer sollten Schutzstrategien für die
natürliche Waldentwicklung auf zehn Prozent der kommunalen und Staatswälder entwickeln.
Da Moorböden einen wichtigen Beitrag für den Klimaschutz leisten, soll die
Bundesregierung einen Moorschutzplan entwerfen, der bis zum Jahr 2050 eine
Wiedervernässung vorsieht.
Das SRU hatte im November vergangenen Jahres eine Stellungnahme
zur Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik veröffentlicht1). Auf
dieser Basis fordert der Rat einen sektorübergreifenden Meeresschutz mit einem
neuen Meeresbundesamt.
Der dritte Teil des Gutachtens befasst sich mit
„integrativen Konzepten“ für eine erfolgreiche Umweltpolitik. Hier fordert der
SRU beispielsweise ein Anlagenzulassungsrecht, das sich an die
Industrieemissionsrichtlinie orientiert.
Umwelt bleibt eigenständiges Ressort
Was der neue Umweltminister Peter Altmaier für seinen
eigenen 10-Punkte-Plan übernimmt, bleibt offen. Aber er forderte den Rat auf,
der Politik zu widersprechen. Die Entscheidung bleibe zwar in der Politik, doch
Altmaier versprach ein Urteil „Im Zweifel für die Umwelt“. So wolle er den
Sprecher für liberale Wirtschaftspolitik Rainer Brüderle und den
Wirtschaftsminister Philipp Rösler daran erinnern, dass der Umweltbereich in
den 1970er Jahren zunächst im Innenministerium angesiedelt war, das damals
unter der Leitung von Hans-Dietrich Genscher (ebenfalls FDP) stand. Das Signal
ist stark. Das Umweltministerium soll sich unter Altmaier auch gegen die
Wirtschaft profilieren. Einem zuletzt stark diskutiertem Energieministerium gab
Altmaier ebenfalls eine Abfuhr: „Die Umwelt muss eigenständig bleiben!“
In den nächsten Wochen will der neue Umweltminister an
einer „Green Economy“ feilen, mit der er Deutschland auf der Konferenz Rio +20
als internationalen Vorreiter für die Energiewende in einem Industrieland
positionieren will.
Fünf Kernaussagen hat Altmaier in Berlin getroffen: Der
Atomausstieg ist irreversibel. Die Ausbauziele für erneuerbare Energien
bleiben; eine Analyse über den aktuellen Stand soll prüfen, ob Anpassungen
notwendig sind, damit die Strompreise auch wirklich sinken und Vorgaben auch
auf der EU-Ebene gedeckt sind. Versorgungssicherheit. Netzausbau mit
Berücksichtigung dezentraler Speichermöglichkeiten und nicht zuletzt: Die
Finanzierung der Energiewende. Zwar erhöhe der Kostendruck den Zwang zu
Innovationen, aber Energie müsse auch für die Menschen mit niedrigem Einkommen
bezahlbar bleiben.
Lesestoff:
1) Stellungnahme SRU zur
Fischereipolitik
MoorFutures in BB und MV
Die große Transformation
Roland Krieg (Text und Fotos)