Nachlese Bundesrat

Handel

Septembersitzung der Länderkammer

Mit 87 Tagesordnungspunkten startete der Bundesrat nach der Sommerpause mit Vollgas in die zweite parlamentarische Jahreshälfte.

Mehr Geld und mehr Lebensqualität

Deutschland entwickelt sich heterogen. Nicht nur zwischen Stadt und Land. Der Antrag Nordrhein-Westfalens und Bremens „Gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland schaffen“ fordert auch für „altindustrialisierte“ Regionen Hilfe. Trotz „erheblicher eigener Anstrengungen“ leiden diese Standorte unter unterdurchschnittlichem Wachstum und überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit. Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalens, fürchtet um eine Benachteiligung für die Stadtstaaten und einen Wirkungsverlust zeitlich begrenzter Entlastungen durch den Bund. Die Mittel sollen dynamisch angewandt werden dürfen. Am Freitag hat sich Ministerpräsident Bodo Ramelow aus Thüringen dem Antrag angeschlossen und wirbt für einen Prüfstand für alle Regionen. Das Altenburger Land leide unter deutlich zweistelliger Arbeitslosigkeit, während Gemeinden wie Sonnenberg mit ihrer Lage an der bayerischen Grenze mit 3,8 Prozent gute Werte aufweisen. Mit Blick auf den Bericht zur Deutschen Einheit, der in der vergangenen Woche vorgestellt wurde, könne der Blick auf die Ausgaben durch den Solidaritätsbeitrag auf alle Bundesländer ausgeweitet werden. Gefördert werden solle jetzt das „innere Wachstum“. Ramelow fürchtet durch den Brexit eine statistische Verschiebung, weil Deutschland jetzt als reichstes EU-Land gelte und die ärmeren Regionen im Vergleich zu anderen EU-Regionen reicher werden und aus der Förderung fallen. Wie die Unionstagung zum ländlichen Raum forderte, solle der Bund eine gesamtstaatliche Verantwortung wahrnehmen [1]. Mit Blick auf eine zweite Debatte zum Bundeshaushalt 2017 forder die Länderkammer ein neues Konzept zur Neuordnung der Finanzbeziehungen und zum Finanzausgleich. Schließlich habe der Haushalt zum Dritten Mal hintereinander „eine schwarze Null“ erwirtschaftet und weist für 2017 eine Erhöhung der Steuereinnahmen um 3,7 Prozent aus. Ohne neue Schulden kann der Bund nach Willen des Bundeskabinetts 328,7 Milliarden Euro mehr ausgeben. Der Antrag der Länder NRW, Bremens und Thüringen wurde in den Innenausschuss überwiesen. Doch nur Forderungen zu stellen reiche nicht. Ingbert Liebing, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik der Union, forderte Taten: „Es ist dabei zu begrüßen, dass die Länder sich zu ihrer Verantwortung für die Handlungsfähigkeit ihrer Kommunen bekennen. Allein das Bekenntnis reicht aber nicht aus. Es sind Taten gefordert! Die Länder müssen diese Verantwortung endlich auch in einer verantwortungsvollen Politik gegenüber ihren Kommunen umsetzen. Beim Bundesteilhabegesetz besteht jetzt die Chance, den Worten Taten folgen zu lassen. Es reicht nicht aus, immer nur nach dem Bund zu rufen und immer neue Forderungen nach Berlin zu senden.“ Krafts Forderung nach dynamischer und dauerhafter Hilfe lehnte er als „zynisch“ ab. Hier werde „schamlos davon abgelenkt, dass die vom Bund den Kommunen bereitgestellten Finanzmittel zu einem nicht unwesentlichen Teil in Landeshaushalten versickern.“ Vor allem NRW gehe als Initiator des Antrags „mit besonders schlechten Beispiel voran.“

Bundesrat „Ratzfatz“

In der so genannten Grünen Liste werden die Tagesordnungspunkte abgestimmt, die ohne Debatte gemeinsam entschieden werden. So stimmten die Länder der Erweiterung der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes  (GAK) zu [2]. Brandenburgs Landwirtschaftsminister Jörg Vogelsänger zeigte sich zufrieden: „Wir begrüßen dass als Schwerpunkt der Gewährleistungsfähigkeit ländlicher Gebiete, deren integraler Bestandteil eine umweltschonende und ressourcenschonende Land- und Forstwirtschaft ist, neu aufgenommen wurde. Neu ist auch, dass die GAK auch als Förderinstrument für Projekte im Naturschutz und der Landschaftspflege genutzt werden kann. Agrar- und Umweltpolitik, ohnehin in den meisten Bundesländern unter dem Dach eines Ministeriums, können so von der Gemeinschaftsaufgabe auch gemeinsam profitieren.“

Die Änderung des Begriffes Dauergrünland:. Es gilt nicht mehr als „sensibel“, wenn es in eine nichtlandwirtschaftliche Fläche umgewandelt wird und Umwandlung anderen Grünlands in eine nichtlandwirtschaftliche Fläche erfordert keine Neuanlage mehr.

DigiNetz

Ähnlich schnell haben sich die Länder für ein „schnelles Internet für alle“ ausgesprochen. Das Gesetz wird jetzt dem Bundespräsidenten zugeleitet. Bei Neubau oder Sanierung von Straßen, Geh- und Fahrradwegen, können Glasfaserverbindungen gleich mit verlegt werden. Das soll notwendige Anreize als Synergieeffekte heben, bei öffentlich finanzierten Bauarbeiten sowie der Erschließung von Neubaugebeiten den flächendeckenden Ausbau der Glasfaserverbindungen voranzutreiben.

Mindestlohn

Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes können bestimmte Sonderleistungen wie Weihnachtsgeld, Urlaubsprämien und Zulagen auf den Mindestlohn angerechnet werden. Das war ursprünglich so nicht geplant. Deshalb sollte das Mindestlohngesetz entsprechend angepasst werden, um die Lohnbestandteile für den Mindestlohn klar zu stellen. Das allerdings fand keine Mehrheit, so dass die Klarstellung weiterhin unterbleibt [3].

Schulobst und Schulmilch

Die EU hat die beiden Programme Schulmilch und Schulmilch zusammengelegt. Der Bundesrat hat einen daraus notwendigen Gesetzentwurf zugestimmt und einen Verteilerschlüssel festgelegt. Für die Schuljahre 2017/18 und 2019/2020 gilt eine Kombination aus 75 Prozent des Anteils sechs- bis zehnjähriger Kinder je Bundesland und zu 25 Prozent der Anteil der EU-Hilfe auf die Länder. Danach gilt der einheitliche Schlüssel des Kinderanteils. Das Gesetz fand eine Mehrheit

Saatgut

Wie auch die Empfehlung des Agrarausschusses, bis zum 31. Dezember eine gebührenfreie Nachmeldung von Obstsorten oder deren Sortenbeschreibungen zu gewähren. Ab dem 01. Januar erhebt das Bundessortenamt eine Gebühr für den Eintrag. Bis dann muss die Bundesregierung die entsprechende Durchführungsrichtlinie der EU 2014/97/EU umsetzen. So müssen auch Sorten eingetragen werden, die an sich keinen Marktwert, aber eine hohe Bedeutung für die Biodiversität besitzen.

Jagd und Wald

Beim Jagdgesetz hat der Bundesrat nicht nur eine Regelungslücke zum Besitz- und Handelsverbot jagdbarer Arten geschlossen, in einer Entschließung gibt er dem Besitz bestimmter halbautomatischer Jagdwaffen einen Bestandsschutz. In einer zusätzlichen Entschließung wird die Notwendigkeit unterstrichen, die Falkner- und Jägerprüfung zwischen den Bundesländern zu vereinheitlichen. Eine „Sammelstelle“ für Wild sind die Wildunterführungen und Querungen geworden, an denen grundsätzlich nicht gejagt werden dürfe. Darüber hinaus wird die Jagd mit bleifreier Munition dringend empfohlen.

Noch wichtiger ist die Änderung des Bundeswaldgesetzes. Bis Jahresende müsste irgendetwas her, dass die Rundholzvermarktung im Sinne der Forstämter sicher stellt. Diese übernehmen für die privaten Waldbesitzer die Vermarktung mit, was dem Kartellamt nicht gefällt. Baden-Württemberg droht zu einem Präzedenzfall zu werden, bei dem die anderen Bundesländer nachbessern müssten [4]. Hessens Landwirtschaftsministerin Priska Hinz hat sich im Bundesrat noch einmal für eine Änderung des Bundeswaldgesetzes stark gemacht, weil der Wettbewerb erst ab dem Polter gelte. Vorher seien die Aufgaben der Landesforstämter wie der Umbau zu Mischwäldern und der Durchforstung gesellschaftlichen Aufgaben gegen den Klimawandel und für die Naherholung gewidmet. Besondere Kritik musste sich noch einmal Bayern gefallen lassen. Der Freistaat hatte einen entsprechenden Referentenentwurf platzen lassen, weil die Waldeigentümerstrukturen anders als in den übrigen Bundesländern aufgestellt sind. Weil wenig Zeit bleibt, hat Hinz den entsprechenden Antrag zur Änderung des Waldgesetzes an das Jagdgesetz gehängt. Für einen Umweg über den Vermittlungsausschuss bliebe keine Zeit mehr – „sonst schlägt das Kartellamt in Baden-Württemberg zu“. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hat in einer Protokollerklärung den Weg dafür frei gemacht, sofern keine anderen Änderungen des Bundeswaldgesetzes damit verbunden sind.

Der Weg für COP21 ist frei

Damit die Bundesregierung auf der nächsten Vertragsstaatenkonferenz zum Klimawandel in Marrakesch mit gutem Gewissen anreisen kann, ist der Bundesrat dem schnellen Beschluss des Bundestages zur Umsetzung des Klimavertrages ohne Weiteres gefolgt [5]. Nicht ohne zu meckern. NRW-Umweltminister Johannes Remmel kritisiert, dass die vorliegenden Selbstverpflichtungen nicht für das Zwei-Grad-Ziel reichen würden und hat ein Landes-Klimaschutzgesetz gemacht. Auch Thüringen ist schon dabei, stellte Thüringens Umweltministerin Anja Siegesmund heraus. Das Land will den Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 halbieren und bis 2050 auf 90 Prozent gegenüber 1995 reduzieren. Warum der Bund für unklare Ziele (Remmel) verantwortlich gemacht wird, bleibt offen. Denn eigene Klimaschutzgesetze gibt es bereits in Bremen, Baden-Württemberg, Hamburg, NRW, Hessen und Rheinland-Pfalz. Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel folgt der allgemeinen Kritik, dass die Bundesregierung die Kohleverstromung nicht gestrichen hat. Positiv sieht es Umweltministerin Claudia Dalbert aus Sachsen-Anhalt. Das Bundesland sieht die Energiewende als Chance, „Wertschöpfungspotenziale vor Ort zu nutzen“.  Jetzt fehlt noch die EU. Bundesumweltstaatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter verweist auf die Sondersitzung des EU-Umweltrates am 30. September. Dort wird die Vorbereitung der EU-Ratifizierung  für den Pariser Klimavertrag erwartet, die dann in der folgenden Woche das Europaparlament passieren soll. Bis zum 07. Oktobermuss die Ratifikationsurkunde in New York bei den Vereinten Nationen vorliegen. Sonst wird Deutschland nicht aktiv in Marrakesch teilnehmen können.

Dorsch in der westlichen Ostsee

„Sie kommen nach Mecklenburg-Vorpommern und wollen Dorsch essen. Und es gibt keinen mehr“. Dieses Schreckensbild zeichnete Landwirtschaftsminister Till Backhaus im Bundesrat nach. Hintergrund ist nicht, dass der Bestand seit Jahren gefährdet ist, wie Backhaus zugibt. Hintergrund ist die Gefahr für die kleine Küsten- und Kutterfischerei, der im nächsten Jahr eine Quotenkürzung in Höhe von 88 Prozent droht. Übrig blieben 98 Tonnen Dorsch. Am 20. Oktober werden die Quoten festgelegt und Backhaus ist im seltenen Dissens mit der EU. Zwischen 1990 und heute hat sich die Zahl der Fischereiunternehmen zwischen der Lübecker Bucht und Usedom von 1.400 auf 250 reduziert. Die Unternehmen leiden schon unter sinkenden Heringsquoten. Backhaus betont jedoch, dass die Gemeinsame Fischereipolitik der EU nicht korrigiert werden solle. Er selbst hat die Reduzierung als unvermeidlich beschrieben, vielleicht noch eher als zu drastisch. Der Minister fordert Ausgleichshilfen für die Fischerei und die Einbeziehung der privaten Angler, die mittlerweile mehr Fische aus der Ostsee fangen als die Erwerbsfischer. „Es sei Zeit, dass wir zu einer sachgerechten Lastenaufteilung kommen“, sagte Backhaus. Der Antrag für Hilfen wird von Schleswig-Holstein unterstützt. Ein wenig deutlicher hat sich die dortige Finanzministerin Monika Heinold ausgedrückt. Der Dorsch ist in der westlichen Ostsee ist in Bedrängnis durch die Ignorierung der Fangquoten in den letzten Jahren geraten. Dorsche können bis zu 20 Jahre alt werden. Wissenschaftler haben Fehleinschätzungen veröffentlicht und Angler sich zu einem Mitbewerber der Erwerbsfischerei gemacht Fallen dann mal ein oder zwei Jahrgänge aus, dann wächst der Bestand kaum nach. Die deutliche Quotenkürzung resultiert aus dem Ausfall der Jungfische im letzten Jahr. Bis 2020 soll ein Gesamtkonzept, wie die EU es mit dem nachhaltigen Dauerhochertrag umsetzen will, fertig sein. Für die Überbrückungszeit müssten den Fischern Bundeshilfen zur Verfügung gestellt werden. Maria Flachsbarth, Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium will sich im Rahmen des Möglichen für eine „deutlich moderate Kürzung“ in Brüssel einsetzen. Doch die Kernfrage, wie es 2017 weiter geht, bleibe. „Um eine deutliche Senkung“ komme Deutschland nicht herum. Das BMEL weiß, dass die Freizeitfischerei ein starker Wirtschaftsfaktor geworden ist, aber nicht von einem Beitrag ausgelassen werden kann: Im Ärmelkanal sind beispielsweise Schonzeiten und Höchstmengen für Freizeitangler beim Wolfsbarsch vorhanden. Der Bundesrat hat in einer sofortigen Sachentscheidung den Antrag der beiden Küstenländer zugestimmt.

Manipulationssichere Kassen

Eine Eisdiele in Rheinland-Pfalz hat mit jahrelanger Kassenmanipulation 1,6 Millionen Euro zusätzliche Einnahmen erwirtschaftet, bis das Finanzamt den Betrug aufspürte. Moderne Kassensysteme sind nicht ohne Weiteres betrugssicher [6]. Schleswig-Holstein und Hamburg haben einen Antrag in den Bundesrat gebracht, Manipulationen zu erschweren. Eine vollständige Sicherheit gegen Manipulationen werde es wohl nicht geben, schränkte Monika Heinold ein. Geheime Zweitkassen oder Rechnungsabläufe die nicht eingegeben werden, bleiben offen. Wer aber hinter der Kasse steht, der soll das, was er eingibt auch versteuern müssen. Der Bundesrat unterstützt zwar die Gesetzesinitiative der Bundesregierung, werde aber keine vollständige Dokumentation des Verkaufsverfahrens abbilden. Zudem fehlen Belegabgabepflicht und die zentrale Registrierung der verwandten Sicherheitskomponenten. Hamburg hat so ein zertifiziertes System für Taxameter, das von der Bundesregierung noch nicht einmal als Alternative betrachtet werde. Weil daher ein neues System entwickelt werden müsse, könne das Schutzsystem nicht vor 2020 eingeführt werden.

Keine Stärkung der Biokraftstoffe

Der Bundesrat hat zwar eine Entschließung zur Stärkung der emissionsarmen Mobilität gefasst und erwartet von der Binnenschifffahrt bis zum Bike-Sharing ein umfassendes Konzept, hält aber an der Begrenzung der Biokraftstoffe im Rahmen der Decarbonisierung fest. Der Bundesrat will für alle Formen der Biokraftstoffe indirekte Landnutzungsänderungen begutachtet wissen. Die Union zur Förderung von Oel- und Proteinpflanzen (UFOP) zeigte sich anschließend enttäuscht. Es sei unverständlich, „dass in Zeiten der Milchpreiskrise und von Niedrigpreisen bei Getreide, Ölsaaten, Zucker und Pflanzenöl Umwelt- und Entwicklungsorganisationen immer noch nicht müde werden, den Rapsanbau bzw. die Rapsölverwendung für die Biokraftstoffproduktion in Deutschland mit dem Thema indirekte Landnutzungsänderung (iLUC) wie zum Beispiel die Urwaldrodungen in Verbindung zu bringen.“ Dieses Modell bleibt wissenschaftlich umstritten. 80 Prozent der Rohstoffgrundlage für Biodiesel sind zertifizierter Rapsanbau in Deutschland. Ohne Biokraftstoff könne der Antrieb nur noch aus der Steckdose kommen. Doch: „Der erneuerbare Strombedarf ist gewaltig.“

Lesestoff:

[1] Was machen wir mit dem ländlichen Raum?

[2] GAK künftig nicht nur Landwirtschaft

[3] Urteil Bundesarbeitsgericht Az. 5 AZR 135/16

[4] Rundholzvergleich gescheitert

[5] COP 21 passiert den Bundestag

[6] Manipulationssichere Kassen

Roland Krieg

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