Neubewertung der Energiewende
Handel
Welchen Einfluss hat der russische Krieg auf die Energiewende
Bundeskanzler Olaf Scholz sprach in Bezug auf Nord Stream 2 von einer Neubewertung. Mit dem Zurückziehen des Versorgungsberichtes durch das Bundeswirtschaftsministerium hat die Bundesnetzagentur keine Grundlage mehr für eine Zertifizierung.
Das ist allerdings erst der Anfang und was alles „neu bewertet“ wird, sondiert die Regierung zunächst im Hintergrund.
Erdgassanktionen der Westallianz
Erdgas wird keine 2.000 Euro je Kubikmeter kosten. Hinter diesem Satz von Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew steckt geballte Unkenntnis. Hohe Gaspreise gelten auch in Russland. Schon jetzt muss Moskau gestiegene Futtermittelpreise subventionieren, soll eine Exportsteuer Getreide im Land lassen und wie lange die Gewächshäuser noch heizen können ist offen. Die Pistole zeigt immer zurück ins eigene Land.
Das hat das Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW) am Mittwoch aktuell ausgerechnet. Sollte der Westen Produkte aus Russland boykottieren, wirkt sich auf bei den Westallierten mit 0,1 Prozent kaum auf das Bruttosozialprodukt aus. Die russischen Bürger aber müssen heftig leiden.
Sollten keine Automobile und Ersatzteile mehr exportiert werden belastet das die russische Wirtschaft mit 0,3 Prozent, bei einem Ölboykott sinkt das Moskauer Bruttosozialprodukt um 1,2 und bei einem Erdgasboykott sogar um 2,9 Prozent.
Hendrik Mahlow vom IfW sagt zwar, die Zahlen sind modellhafte Berechnungen, aber zeigten deutlich auf, dass Handelsembargos gegen Russland das Land langfristig deutlicher treffen als die Länder der Westallianz. „Der Stopp von Nord Stream 2 ist eine nachvollziehbare Entscheidung“, sagte Mahlow.
Energiewende
Unter diesem Begriff ist nicht nur die Stromversorgung gemeint. Es geht um die Wärmewendung und die Zukunft der fossilen Energiequellen. Muss die Bundesregierung ihre ambitionierten Ziele durch den Russlandkrieg jetzt auch generell neu bewerten und ändern?
Für Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ist der Stopp von Nord Stream 2 ebenfalls richtig: „Wir brauchen diese Pipeline nicht, daher ist sie auch für die Sicherung der Energieversorgung nicht notwendig. „
„Wir sollten besser auf eine Diversifikation der Gasbezüge setzen und können auch auf Flüssiggas ausweichen, da in Europa mehr Kapazitäten vorhanden sind. Es gibt ausreichende Flüssiggas-Terminals in Europa, auf die auch Deutschland zugreifen kann. Die Frage ist eher, ob es zu einem generellen Lieferstopp von Gas aus Russland kommt. Auch dies könnten wir überbrücken, zumindest für einen gewissen Zeitraum.“
Dennoch ist Deutschland schlecht vorbereitet. Es muss nach Kemfert eine strategische Gasreserve angelegt werden, die wie beim Öl für 90 Tage reicht. Die Ökonomin rechnet mit weiter steigenden Gaspreisen, aber nicht wegen des Pipeline-Stopps, sondern wegen der geopolitischen Situation.
Die beste Antwort auf fossile Energiekriege ist nicht eine Laufzeitverlängerung von Atom und Kohle, sondern die beschleunigte Energiewende mit einem schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien und dem deutlichen Energiesparen. Der Ausbau erneuerbarer Energien muss Priorität haben und Versorgungssicherheit erste Priorität. Planungs- und Ausbauverfahren sollten beschleunigt werden mit der Begründung der Sicherstellung der Versorgungssicherheit. Wir brauchen einen Booster für erneuerbare Energien und Energiesparen insbesondere im Gebäudebereich.“
Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH fordert ein höheres „Maß an Sensibilität gegenüber politischen Risiken. In den Sektoren besteht eine unterschiedliche Abhängigkeit und Reaktionsfähigkeit, kurzfristig Alternativen zum Einsatz von Erdgas zu finden. Während diese im Bereich Industrie und Wärmeversorgung, die beide einen ganz erheblichen Teil der Erdgasnachfrage ausmachen, sehr begrenzt sind, besteht bei der Stromerzeugung die Möglichkeit – verbunden mit dem Nachteil deutlich höherer CO2-Emissionen – auf Kohlekraftwerke auszuweichen, zumindest dort, wo Erdgaskraftwerke nicht zur Versorgung von Fernwärmesystemen notwendig sind.“
Die Politik müsse mehr auf Energieeffizienz und langfristig auf den grünen Wasserstoff setzen. Fehlt der Strom werde es zwangsläufig zu mehr Einsatz bei Kohlekraftwerken kommen. „Die noch laufenden drei Kernkraftwerke sind seit langem auf ein Abschalten Ende des Jahres 2022 ausgelegt und müssten ertüchtigt werden, um länger laufen zu können, was Geld und Zeit kostet. Neue Kernkraftwerke sind in Deutschland aus Gründen der gesellschaftlichen Akzeptanz nicht umsetzbar.“
Michael Sterner von der Forschungsstelle Energienetze und Energiespeicher (FENES) an der Ostbayerischen Technischen Hochschule in Regensburg sieht in Wind- und Solarenergie für Deutschland das größte Potenzial. Mit einem Stopp der Gaslieferungen aus Russland würden auch ganze Industriezweige wie die Chemie ihre Produktion stoppen. Diese massive Abhängigkeit können und sollten wir über die Energiewende beenden. Wind- und Solarstrom kosten mit vier bis sechs Cent pro Kilowattstunde nur ein Drittel von fossilem Strom aus neuer Atom-, Kohle- oder Gaskraft. Zudem haben wir das Entsorgungsproblem von Atom- und CO2-Müll nicht gelöst, was Kohle, Erdgas und Atom zu den teuersten Energieformen macht, die wir je genutzt haben.“
„Alle, die in den letzten Jahren konsequent auf Wind und Solar gesetzt haben, berührt der Anstieg der Energiepreise wenig: Hauseigentümer, Gewerbetreibende und Industrieunternehmen. Erdgas ist zu schade, um es in den Häusern zur Wärmeerzeugung zu verbrennen. Entsprechend sollten Neubauten auf Wärmepumpen umgestellt werden, die im Sommer auch kühlen können, und alle Dächer eine Solaranlage bekommen.“
Roland Krieg, VLE
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