Neue Handelskultur

Handel

Slow Trade – Sound Farming

Über 2.000 Teilnehmer wies der Kongress McPlanet.com “Klima der Gerechtigkeit” in Berlin auf. Veranstaltet hatte ihn das Bündnis aus Attac, BUND, EED, Greenpeace und der Heinrich-Böll-Stiftung. Ein Thema war am vergangenen Samstag eine neue Welthandelskultur.

Slow Trade
Die Assoziation von Slow Trade zu Slow Food, der Bewegung, die der nachhaltigen Ernährung noch einen Schuss besinnliche Kultur mit Genuss beifügt, war auch dem Publikum geläufig, als Autor Wolfgang Sachs den Bericht der Heinrich-Böll-Stiftung über die „Handelsregeln für eine globale zukunftsfähige Landwirtschaft“ vorstellte. Das ist auch so gewollt, denn diese Anleihe „habe ich von dort gestohlen“, bekannte er in Berlin. So wie Slow Food die Kultur hervorhebt, so beinhaltet auch das Wort Agri-„kultur“ diese Sichtweise. Da bei den neuen Handelsregeln die Importe in den Vorgrund gerückt werden und die Menschen wieder ihre regionalen Produkte genießen sollen, gebe es eine direkte Beziehung zwischen fairen Handelsregeln und lokaler Genießer- und Esskultur.

Ergebnis zweier Jahre Regionalkonferenzen
Das Scheitern der WTO-Runde in Cancun 2003 habe die Landwirtschaft plötzlich in den Mittelpunkt der Handelsregeln gestellt und wurde zum gordischen Knoten aller übrigen Diskussionen, beschrieb Sachs die Initialzündung für die Regionalkonferenzen, deren Ergebnisse in dem Bericht zusammen gefasst sind. Dabei habe sich in den letzten Jahren gezeigt, dass die Landwirtschaft darüber entscheidet, ob alle „Menschen ein würdevolles Gastrecht“ auf der Erde genießen können. Zudem stehe die Landwirtschaft am Kreuzungspunkt zwischen Energie- und Nahrungslieferung und bestimmt mit der Art der Bewirtschaftung über die Artenvielfalt, Wasserverfügbarkeit und Bodenfruchtbarkeit. Der Klimawandel wirkt direkt auf die Landwirtschaft.
Allerdings spreche die WTO über Landwirtschaft nur gegenständlich und berücksichtige nicht Faktoren Armut und Ökologie. So wurden in zwei Jahren fünf jeweils drei Tage andauernde Regionalkonferenzen abgehalten, um die Handelsregeln anders zu gestalten: nachhaltig, fair, sozial und ökologisch: Slow Trade.

Vier Prinzipien für die Politik:
Sachs fasste aus dem Bericht vier Hauptprinzipien zusammen. Zunächst müsse der Spielraum nationaler Politiken erweitert werden. Man müsse von der Exportbetrachtung des Handels weg und die Importe betrachten. Grenzen zwischen den Ländern sollen weder Mauern noch offene Fenster sein, sondern eher Membrane der individuellen Bedürfnisse.
Es müsse weiterhin ein Qualitätsfundament für Ökologie gefasst werden. Der aktuelle Handel fördere die energieintensive Landbewirtschaftung. Aber, so Sachs, es ist noch offen, wer solche Standards bestimmen könne.
Als drittes forderte er eine „Produktkettendemokratisierung“. Sowohl die Agrarindustrie als auch internationalen Handelsketten verzerren durch ihre Marktmarkt die Märkte. Dadurch werden kleinere Wertschöpfungskreisläufe verdrängt. Diese Demokratisierung würde auch das vierte Prinzip, den Asymmetrieausgleich, erreichen. Die jeweils Schwächsten müssten systematisch bevorteilt werden. Beispielsweise Algerien im Handel mit der EU, aber auch gleichzeitig Mali im Handel mit Algerien.

Wie realistisch ist Slow Trade?
Letztlich muss auch eine Vision realisierbar sein, um nicht als Träumerei zu enden. Die Verfasser hegen gegenüber der WTO ihre Skepsis für bestehende Systeme. Im Bericht heißt es bei den Lösungsvorschlägen, dass sich „die WTO entweder selbst neu erfinden oder die Institutionalisierung von Handelsregeln anderen Einrichtungen der Vereinten Nationen überlassen“ werden muss. Martin Krohn, Direktor des Third World Network, sieht in der Verlagerung der Subventionen aus der verbotenen roten in die erlaubte grüne Box nur ein Verschiebespiel – keine grundsätzliche Aufhebung verzerrender Subventionen.
Nur: Wie kann man Chinesen oder Brasilianern am Verhandlungstisch die Vorzüge von Slow Trade nahe bringen?

„Wie und warum sollen wir für andere produzieren, wenn wir uns noch nicht einmal selbst versorgen können? wichtiger als Zugang zu ausländischen Märkten ist die entwicklung der lokalen Märkte. Deshalb ist es unbedingt notwendig, dass Länder sich vor Agrarimporten schützen dürfen.“
Eloi Nombré, Confédération Paysanne du Burkina Faso bei der Regionalkonsultation in Westafrika, Februar 2006

Das werde in den nächsten Jahren in einem „Followup“ Prozess noch bestimmt werden müssen, forderte Tobias Reichert von Germanwatch. Ulrike Höfken, Vorsitzende des Ausschusses für Landwirtschaft und Ernährung im Bundestag, zeigte sich auch skeptisch. Der Bericht zeige aber, in welche Richtung der Wandel des Handels gehen müsse. Es muss in die langandauernde Diskussion über Strategieregeln das Primat an die Politik gegeben werden. Soziale und faire Handelsregeln müssen sich an den Bedürfnissen der Armen und Hungernden orientieren. Eine neue Organisation hält sie für unrealistisch, aber eine Reform bestehender Strukturen für möglich. So könnten bei den WTO-Verhandlungen „Schutzboxen“ eingerichtet werden, um die Prinzipien zu realisieren.

Lesestoff:
Der Bericht „Slow Trade – Sound Farming. Handelsregeln für eine zukunftsfähige Landwirtschaft“ von der Heinrich-Böll-Stiftung, Misereor und dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie herausgegeben kann www.ecofair-trade.de heruntergeladen werden.

Roland Krieg

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