Neue Zuckermarktordnung

Handel

EU stellt Reform vor

>Bereits im November 2004 positionierten sich die verschiedenen Verbände zur Reformperspektive der Zuckermarktordnung. In zwei Akten sah Rübenbauer Holger sein nahes Ende kommen. Seit gestern sind nun die lange erwarteten und befürchteten Beschlüsse auf dem Tisch.

Ausgangslage
Gegen die EU-Politik Überschusszucker mit Hilfe von Exporterstattungen auf dem Weltmarkt billig zu verkaufen, hatten Thailand, Brasilien und Australien vor der WTO geklagt und gewonnen. In den letzten 25 Jahren ist der Zuckerverbrauch und die Zuckerproduktion in der Welt um durchschnittlich 2,2 Prozent angestiegen. Beide Anstiege finden fast ausschließlich in den Entwicklungsländern statt, während in den Industrieländern Verbrauch und Erzeugung nahezu konstant bleiben. Die Preisschwankungen des Weltmarktes in den Entwicklungsländern, hervorgerufen durch knappes Angebot und steigender Nachfrage, merken die europäischen Verbraucher nicht. Zucker hat nur einen sehr geringen Kostenanteil am Haushaltsbudget. Bei steigenden Preisen reagieren die Verbraucher kaum mit geringerem Zuckerkauf. Allerdings reagieren die Bauern mit einer Produktionsausweitung und zusätzlichem Überangebot in der EU, worauf dann die Preise wieder tief in den Keller fallen. Die Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) führt in ihrer April-Studie über die Analyse zur Zuckermarktordnung als zweite Einflussgröße auf den Preis den Zuckerrohranbau in Brasilien an. Bei einem hohen Zuckerpreis raffinieren sie Zucker aus dem Rohr, bei steigenden Ölpreisen verwenden sie die Pflanze zur Ethanolproduktion. Steigt der Ölpreis also stärker als der Zuckerpreis, leitet Brasilien das Zuckerrohr in die Ethanolfabriken und verknappt das Angebot, was wiederum zu steigenden Zuckerpreisen führt.
Die EU hat seit der Zuckerselbstversorgung 1971 begonnen ihren Überschusszucker, zwei Millionen Tonnen sind es aus dem letzten Jahr, mit Subventionen versüßt, auf dem Weltmarkt abzusetzen – europäischer Rübenzucker ist dreimal teurer als Übersee-Rohrzucker. Das stört den Weltmarkt und kostet den Verbrauchern in Europa viel mehr Geld, als er für ein Päckchen Zucker im Laden bezahlen muss.

EBA-Regelung
Die ärmsten Länder der Welt, Least Developed Countries LDCs, werden ab 2009 im Rahmen der Alles-Außer-Waffen-Regelung (Everything but arms, EBA) Zucker zollfrei in die EU einführen dürfen. Das ist bei den aktuellen Preisen von etwa 700 Euro pro Tonne höchst lukrativ. Die zuckerproduzierenden LDCs werden ihre Exporte in die EU umlenken, ihren nationalen Verbrauch aus preiswerteren Weltmarktzucker decken und ihre Anbauflächen für den Export vergrößern – so erwartet es die FAL. Also müssen neben der Mengenregelung in der EU, Überschusszucker zu verhindern, auch der Preis runter. Dieser neue Preis soll dann die Ausstiegsschwelle sein, bei der die LDCs nicht mehr rentabel in die EU liefern können. Bangladesh und Jamaika stellen ihre Zuckerproduktion bereits bei einem Weltmarktpreis von 650 €/Tonne ein. Kuba bei 475 €, Malawi und Fidschi bei 400 € und die Länder mit den niedrigsten Produktionskosten, wie Äthiopien und Brasilien erst bei 250 €. Die FAL warnt allerdings, dass diese Zahlen, die der europäischen Kommission als Richtlinie dienen, nur aus einer einzigen, praktisch unveröffentlichten Studie einer britischen Consultingfirma stammen und wissenschaftlich ungeprüft sind.

Vorschlag und Reform
Der von der Kommission am 14. Juli 2004 vorgelegte Vorschlag sah folgendes vor: Die europäische Zuckerquote wird in vier Schritten um 2,8 Millionen Tonnen um 16 Prozent bis 2009 gekürzt. Der Rübenpreis sinkt von 43,60 auf 27,40 Euro pro Tonne um 37 Prozent. Der Zuckerpreis wird in zwei Schritten bis 2007 von 632 Euro (Interventionspreis) auf 421 € je Tonne gesenkt (entspricht dann der „Ausstiegsschwelle“).
Für die Absenkung des Rübenpreises gibt es einen Ausgleich in Höhe von 60 Prozent für alle Zuckerrübenanbauflächen, 250 Euro je zurückgekaufter Quotentonne Zucker und freier Anbau für Rüben, aus denen Ethanol gemacht wird.
Die Vorschläge von 22. Juni 2005 beinhalten folgendes:
Das Quotenrückkaufprogramm ist nicht mehr zwangsweise, sondern freiwillig. Wer im ersten Jahr (2006/07) aussteigt erhält 730 €/Tonne, während der Spätaussteiger im vierten Jahr nur noch 420 Euro bekommt. Rübenbauern, die ihre Produktion aufgeben müssen, weil ihre Zuckerfabrik ihre Rüben wegen der geringeren Quote nicht mehr annimmt, erhalten einen zusätzlichen Ausgleich. Der Zuckerpreis sinkt stärker als erwartet: Auf 385,50 Euro pro Tonne.

Reaktionen
Dr. Till Backhaus, Agrarminister aus Mecklenburg-Vorpommern ist enttäuscht. Da es innerhalb der Gemeinschaft keinen Quotentransfer geben wird, könne sein marktstarkes Bundesland keine Produktionsausdehnung vornehmen. Zwischen Elbe und Oderhaff gibt es rund 1.200 Rübenbauern. Bei einer etwaigen Schließung der beiden Zuckerfabriken Anklam und Güstrow gingen bis zu 60 Millionen Euro an Wertschöpfung verloren.
Hessens Landwirtschaftsminister Wilhelm Dietzel übt scharfe Kritik. In Hessen sind mehr als 3.000 Betriebe mit rund 18.000 Hektar Anbaufläche und zwei Zuckerfabriken von der Preissenkung betroffen. Dietzel fürchtet, dass in einigen Regionen die Rübenproduktion unrentabel wird und sieht über 500 Arbeitskräfte im vorgelagerten Bereich betroffen.
Der Deutsche Bauernverband (DBV) protestiert massiv gegen den in wesentlichen Kernpunkten völlig überzogenen Reformvorschlag. Der DBV sorgt sich um 46.000 Rübenbauern, 6.500 Arbeitskräfte in der Zuckerindustrie und 20.000 Beschäftigte in den vor- und nachgelagerten Bereichen. Die Preissenkung führe trotz des 60-prozentigen Ausgleichs zu extremen Einkommenseinbrüchen. Die Weigerung der EU-Kommission mit den Entwicklungsländern eine ausgewogene Mengenregelung auszuhandeln, sei nicht akzeptabel. Ohne Außenschutz sieht der DBV rund 40 Prozent der nun erlaubten 20 Millionen Tonnen Zuckererzeugung durch zukünftige Importe gefährdet.
Marita Wiggerthale sieht in ihrem Kommentar zur Zuckermarktordnung eine Entscheidung für die Zuckerindustrie und gegen die europäischen Bauern und der Industrie in den LDCs. Diese hatten in einem Kompromissvorschlag einen Preis von 505 Euro pro Tonne und eine Mengenregelung von 1,62 Millionen Tonnen bis zum Jahr 2012/2013 vorgelegt. Damit könnten fast alle europäischen Länder weiter Zucker produzieren und den LDCs Exporteinnahmen in Höhe von 400 Millionen Euro und weitere Einnahmen in gleicher Höhe erzielen. „Was der LDC-Vorschlag allerdings nicht berücksichtigt ist die entwicklungspolitische und WTO-induzierte Notwendigkeit der völligen Abschaffung der Exportsubventionen.“ So räumt das Papier ein, dass vollständig auf www.fairer-agrarhandel.de eingesehen werden kann.
Landwirtschaftsministerin Renate Künast begrüßt die Reformvorschläge, die mehr Klarheit bringen und daher grundsätzlich positiv zu bewerten sind. Die Ausgleichsmittel werden leicht um 11 Millionen auf 1,542 Milliarden aufgestockt, wovon Deutschland 278 Millionen erhält.

Wie geht es weiter?
Die europäischen Agrarminister werden sich am 18. Juli bei ihrem nächsten Treffen in Brüssel mit dem Vorschlag befassen. Alle 25 Länder müssen sich dann darüber einigen. Die EU-Kommission hofft, dass dieses bis November 2005 der Fall sein wird. Alle Beteiligten Verbände haben im Vorfeld der Reformvorschläge nie die Notwendigkeit einer Reform abgelehnt. Quoten- und Preiskürzungen sind nie in Frage gestellt worden – nur das Ausmaß ist in der Diskussion. Die Industrie prognostiziert für den Verbraucher sinkende Preise für Süßwaren. Hand aufs Herz: Ist das bei gesundheitlich angemessenem Süßwarenverzehr notwendig?

VLE

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